Argentinien steht still
// Der Generalstreik am 10. April richtete sich gegen die Sparpakete der Regierung //
10. April in Buenos Aires. Das pulsierende Herz Argentiniens wirkt wie ausgestorben. Die Metropole steht still. Die wichtigsten Wege ins Innere der Stadt werden blockiert. Ab 5 Uhr morgens stehen Streikposten vor Betrieben und an Schlüsselstellen der Infrastruktur.
Im Norden von Buenos Aires, einem der wichtigsten Industriegebiete, ziehen über 1.000 ArbeiterInnen auf die Panamericana-Autobahn. Sie werden bereits von Polizeitruppen und Tränengas erwartet. Einer der Streikenden ruft in sein Megaphon: „Die Panamericana gehört uns!“ Lauter Jubel ist die Antwort. Die ArbeiterInnen lassen sich von der Repression der Regierung nicht unterkriegen.
Der zweite Generalstreik gegen Präsidentin Christina Fernández de Kirchner fiel nicht einfach vom Himmel. Anfang Januar wertete die argentinische Regierung die Landeswährung Peso um 18 Prozent ab, was eine Inflation von bis zu 50 Prozent zur Folge hatte. Strom und Gas verteuerten sich um bis zu 400 Prozent. Für die argentinischen Massen bedeutet die abnehmende Kaufkraft eine unglaubliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen.
Kirchner, die sich gerne ein linkes Image gibt, fuhr zwei Strategien: Zum einen schob sie Verhandlungen über höhere Löhne auf und verkaufte dies gemeinsam mit der rechten Gewerkschaftsbürokratie als Erfolg, „um die Märkte zu beruhigen“. Zum anderen sorgte sie dafür, dass sich einige GewerkschaftsbürokratInnen gegen den landesweiten Streik am 10. April aussprachen.
Als Anfang März in Buenos Aires ein sehr kämpferischer, 17-tägiger Streik der LehrerInnen begann, war das für die Regierung ein Schlag ins Gesicht. In einer der wichtigsten Gewerkschaften radikalisierten sich die ArbeiterInnen massiv und konnten kleine Lohnerhöhungen erkämpfen. So zeigten sie, dass man die Regierung zum Einlenken zwingen kann.
Daraufhin riefen die trotzkistische Organisation PTS und ihr nahestehende Betriebsgruppen und ArbeiterInnen Mitte März zu einem landesweiten Treffen der kämpferischen GewerkschafterInnen auf, an dem über 4.000 ArbeiterInnen teilnahmen.1 Beschlossen wurde, Druck auf die Gewerkschaftsführungen für einen Generalstreik gegen die Angriffe von Kirchner aufzubauen.
Kämpferische GewerkschafterInnen und politische Organisationen, insbesondere die PTS, organisierten demokratische Streikversammlungen im ganzen Land. Dort konnten die Forderungen der ArbeiterInnen und der Jugend abgestimmt werden. Sie setzten sich für Straßensperren auf den wichtigsten Zufahrtsstraßen von Buenos Aires und insbesondere im Norden der Stadt ein. Dadurch konnten nicht nur Prekarisierte und Arbeitslose ihren Forderungen aktiv Ausdruck verleihen: Auch Fabriken, in denen die Bürokratie Mehrheiten hatte, wurden damit bestreikt. Denselben Effekt hatte der Stillstand der U-Bahn von Buenos Aires.
Auf demokratischen Streikversammlungen hielten die ArbeiterInnen ein Programm gegen die Gewerkschaftsbürokratie hoch. Diese hatte kein Interesse daran, ernsthaft etwas gegen die Sparpakete zu tun und versuchte nur, die ArbeiterInnen still zu halten.
Am 10. April standen der Transport- und der Dienstleistungssektor komplett still, wie auch der größte Teil des Industriesektors. Weiterhin streikten tausende LehrerInnen. Im Norden von Buenos Aires wurden beispielsweise Betriebe wie Kraft, Pepsico und Unilever bestreikt. In Córdoba beschlossen die Bosse der Renault-Fabrik, den 10. April zum arbeitsfreien Tag zu erklären – sie wussten, dass ihre Fabriken sowieso komplett bestreikt würden.
Die Regierung versuchte, den Streik zu denunzieren. Innenminister Florencio Randazzo behauptete, der Streik sei „erpresserisch“ und viele ArbeiterInnen wollten eigentlich arbeiten, was durch das Lahmlegen der Transportmittel verhindert worden sei. Aber im Gegenteil konnten viele prekarisierte ArbeiterInnen die Straßenblockaden als „Entschuldigung“ nutzen, um der Arbeit fernzubleiben – was sie sich sonst nicht getraut hätten.
Die Wahlen von 2013 und der großartige Erfolg der FIT zeigten, dass es Hunderttausende ArbeiterInnen in Argentinien gibt, die in Opposition zur Regierung stehen und die für eine Perspektive der Klassenunabhängigkeit eintreten. Der Generalstreik war ein wichtiger Schritt, dieses Bewusstsein zu fördern und die strategische Wichtigkeit der ArbeiterInnenorganisationen aufzuzeigen.
Die Strategie der PTS beschränkt sich nicht auf politische Agitation, denn das würde zu einer Perspektive des Elektoralismus, der Beschränkung auf Wahlen, führen. Genauso falsch wäre es, sich nur auf den Kampf in den Gewerkschaften zu beschränken, denn das führt zum Syndikalismus. Die Strategie der PTS besteht darin, Arbeitskämpfe mit einem revolutionären Programm zu verknüpfen. Das beinhaltet den Aufbau einer revolutionären Massenpartei, die die besten Teile der Avantgarde der ArbeiterInnenklasse versammelt, konsequent für die Selbstorganisierung der Kämpfe eintritt, und letztendlich für die sozialistische Revolution und den Kommunismus.
Fußnoten
1. K.A. Stern: Argentinien: Treffen der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung.