Argentinien: Sozialistin macht extrem-rechten Kandidaten in der TV-Debatte fertig
Am vergangenen Sonntag diskutierten fünf Kandidat:innen zu den argentinischen Präsidentschaftswahlen live im Fernsehen. Die Sozialistin Myriam Bregman zeigte, dass der extrem-rechte Ökonom Javier Milei, der überraschend die Vorwahlen gewonnen hat, kein „libertärer Löwe“ ist – sondern ein „Schmusekätzchen der Reichen und Mächtigen“.
Am 22. Oktober gehen die Argentinier:innen an die Wahlurnen. Am Sonntagabend traten fünf Präsidentschaftskandidat:innen bei einer Fernsehdebatte in Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gegeneinander an. Millionen Menschen verfolgten die Debatte im Fernsehen, per Online-Streaming und in den sozialen Medien.
Sergio Massa ist der Kandidat, der der derzeit regierenden peronistischen Koalition, die sich jetzt „Union für das Vaterland“ nennt, am nächsten steht; Patricia Bullrich vertritt die rechte Koalition des ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri. Alle Augen richteten sich jedoch auf den rechtsextremen Kandidaten Javier Milei, der bei den Vorwahlen im August überraschend über 30 Prozent der Stimmen erhalten hatte.
Milei wird manchmal als „ultraliberal“ bezeichnet, aber der beste Begriff ist eigentlich „trumpistisch“ – und das nicht nur wegen seiner bizarren Frisur und seines bissigen Sprachstils. Milei gelingt es, extreme neoliberale Vorschläge mit Angriffen auf die korrupte politische „Kaste“ zu verbinden, die Argentinien regiert, unabhängig davon, ob eine „Mitte-Links“- oder eine „Mitte-Rechts“-Koalition an der Macht ist. Da die Inflation außer Kontrolle geraten ist, haben Millionen von Menschen in Argentinien unter der peronistischen Regierung eine Verschlechterung ihres Lebensstandards erlebt. Viele wenden sich dem selbsternannten „libertären Löwen“ zu, der radikale Veränderungen verspricht. Er feiert die „Freiheit“ und lobt gleichzeitig die Diktatur von 1976-1983, die mehr als 30.000 Menschen tötete. Er gibt dem Feminismus die Schuld an den Problemen des Landes und will deshalb die Abtreibung wieder unter Strafe stellen und den Sexualkundeunterricht an den Schulen abschaffen.
Glücklicherweise waren nicht nur bürgerliche Politiker:innen auf der Bühne. Myriam Bregman, eine Menschenrechtsanwältin und Präsidentschaftskandidatin der „Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit“ (FIT-U), stach mit ihrer grünen Jacke hervor, der Farbe der feministischen Massenbewegung, die das Recht auf Abtreibung erkämpft hat. In ihrer Eröffnungsrede machte sie deutlich, dass sie sich radikal von den anderen Kandidaten unterscheidet:
Guten Abend. Ich bin Myriam Bregman. Ich bin Anwältin, ich bin Sozialistin, und ich kämpfe jeden Tag dafür, diese Gesellschaft an ihren Wurzeln zu verändern. Heute bin ich hierher gekommen, um Sie zu bitten, nicht zu resignieren. Es gibt einen anderen Weg. Denn wir, die Arbeiter:innen, sind die große Mehrheit. Und wenn wir uns zusammenschließen, haben wir die Kraft, die Geschichte auf den Kopf zu stellen. Wir Frauen haben bereits bewiesen, dass wir, wenn wir auf die Straße gehen, unaufhaltsam sind. Unser Land befindet sich in einer Krise, und bestimmte Leute sind dafür verantwortlich: der Internationale Währungsfonds, die Reichen und ihre Politiker:innen. Heute hört man sie Wahlversprechen machen, sogar untereinander streiten, aber sie sind alle in den ‚Schokoladenskandal‘ [Korruptionsskandal um einen peronistischen Abgeordneten mit dem Spitznamen „Chocolate“, A.d.Ü.] in der Legislative der Provinz Buenos Aires verwickelt. Während sie das Volk aushungern, fahren sie mit ihren Luxusjachten nach Europa. Wir sind nicht gekommen, um Wahlversprechen zu machen, sondern um uns zum Kampf zu verpflichten.
Der Moment des Abends, der die meisten Memes hervorbrachte, war, als Bregman Milei direkt ansprach:
Milei ist so weit gekommen, weil er gegen ‚die Kaste‘ gesprochen hat. Er ist nicht ‚die Kaste‘, aber er verbündet sich mit [dem korrupten Gewerkschaftsboss] Barrionuevo. Er ist nicht ‚die Kaste‘, aber er stellt zusammen mit Sergio Massa Wahllisten auf. Er ist nicht ‚die Kaste‘, aber er hat eine Vizepräsidentschaftskandidatin aus der Militärkaste. Er ist nicht ‚die Kaste‘, aber er ist wie viele der Politiker:innen, die er kritisiert, in eine Gated Community gezogen. Milei ist ein Angestellter schwerreicher Unternehmer:innen. Sie haben in den letzten Jahren Millionen verdient, manche leben vom Staat, und sie erwarten, dass sie noch mehr verdienen werden. Milei ist kein Löwe – er ist das Schmusekätzchen der Reichen und Mächtigen.
Überall auf der Welt prangern rechtsextreme Politiker die Korruption der liberalen Eliten an. Donald Trump hat die US-Präsidentschaft mit dem Versprechen gewonnen, „den Sumpf trocken zu legen“. Hillary Clinton hatte darauf keine Antwort, weil sie in der Tat unzählige Millionen von Großkapitalist:innen angenommen hat. Sie hatte kein Interesse daran, den Vorwurf zu entkräften, denn das würde bedeuten, zuzugeben, dass beide Flügel der bürgerlichen Politik korrupt sind.
Bregman hingegen hat immer nur das Gehalt einer Lehrerin bezogen. Sie wohnt in einem Arbeiter:innenviertel und schickt ihre Kinder auf eine öffentliche Schule. Sie kann daher auf Mileis Demagogie über „die Kaste“ antworten, indem sie darauf hinweist, dass er ein korrupter kapitalistischer Politiker wie alle anderen ist.
Victoria Villarruel, Mileis Vizepräsidentschaftskandidatin, ist der Spross einer Familie voller rechter Militäroffiziere. Sie hat ihre Karriere damit verbracht, die Verbrechen der Diktatur zu relativieren, und hat Bücher geschrieben, in denen sie die Linke des „Terrorismus“ beschuldigt, was den Militärs keine andere Wahl gelassen habe, als zum Massenmord zu greifen.
Die Menschenrechtsanwältin Bregman ist das genaue Gegenteil: Sie hat jahrzehntelang die Massenmörder der Diktatur verfolgt und sogar den derzeitigen Papst Jorge Bergoglio (Franziskus) wegen seiner Rolle beim Verschwinden von kritischen Priestern vor Gericht befragt.
In ihrem Schlusswort erklärte Bregman:
Wie ich eingangs sagte, konnte keine:r der Kandidat:innen, abgesehen von einigen leeren Phrasen, die Tatsache verbergen, dass sie alle Kompliz:innen der Reichen und Mächtigen sind. Sie wissen, dass wir das nicht sind, denn unser Ziel ist es, eine Gesellschaft ohne jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung aufzubauen. Ihr seht uns in jedem Kampf. Lasst uns am 22. Oktober zeigen, dass es viele von uns gibt, die nicht wollen, dass der IWF weiterhin mit dem Hunger der Menschen bezahlt wird. Viele von uns wollen nicht, dass die Arbeiter:innen weiterhin verlieren. Wir wollen nicht, dass sie weiterhin den Planeten zerstören, denn es gibt keinen Planeten B. Die Frauen können nicht länger warten.
Resigniert nicht. Wählt mit euren Überzeugungen. Lasst uns mit der Linken voranschreiten, im ganzen Land, auf der Straße und im Kongress.
„Und noch etwas“, fügte sie als Antwort auf Mileis Geschichtsrevisionismus hinzu, „es waren 30.000 Menschen und es war ein Genozid.“
Bregman stand auf der Bühne, weil sich Sozialist:innen in Argentinien unabhängig von allen bürgerlichen Parteien organisiert haben. Die „Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit“ (FIT-U) ist ein Bündnis von vier sozialistischen Organisationen mit einem klassenkämpferischen Programm. Sie nutzen die Wahlen, um Millionen von Arbeiter:innen sozialistische Ideen vorzustellen und Proteste gegen den Internationalen Währungsfonds und alle kapitalistischen Politiker:innen zu organisieren.
Und das mit Erfolg: Bregman war während der Debatte ein Trending Topic auf X (vormals Twitter). Allein ein Tiktok-Video von ihr hat zwei Millionen Aufrufe. Am 8. Oktober wird es eine zweite Präsidentschaftsdebatte geben, bei der Bregman erneut die Möglichkeiten eines Programms der Klassenunabhängigkeit aufzeigen kann, das die Kapitalist:innen bekämpft.
Dieser Artikel erschien erstmals am 2. Oktober 2023 bei Left Voice.