Argentinien: Regierung brennt bei Massenräumung von Landbesetzungen Hütten nieder
In den vergangenen drei Monaten wurde ein großes leeres Grundstück in Guernica, Argentinien, zur Heimat von Tausenden von Menschen, die aufgrund der sich verschärfenden Wohnungskrise des Landes von Obdachlosigkeit betroffen sind. Am Donnerstagmorgen schickte die "fortschrittliche", peronistische Regierung der Provinz Buenos Aires die Polizei, um die Besetzung gewaltsam zu räumen, die Unterkünfte der Menschen in Brand zu setzen und Tausende von Familien zu vertreiben.
Am frühen Morgen des 29. Oktober vertrieben mehr als 4.000 Polizist:innen Tausende von Menschen, die in Zelten und selbstgebauten Hütten auf einem leeren Grundstück in Guernica, eine Stunde südlich der Stadt Buenos Aires in Argentinien, lebten. Die Operation wurde von Axel Kicillof koordiniert, dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires und engen Verbündeten der ehemaligen Präsidentin (und derzeitigen Vizepräsidentin) Cristina Fernandez de Kirchner.
Wohnraum war in Argentinien schon immer ein kritisches soziales Thema, aber in den letzten zwei Jahrzehnten hat dies eine neue Dringlichkeitsstufe erreicht. Nach den Schätzungen der Regierung lebt jede dritte Familie in prekären Wohnverhältnissen, wozu alles vom Mangel an Kanalisation und anderen grundlegenden Dienstleistungen bis hin zur völligen Obdachlosigkeit zählt. Die Pandemie und die Wirtschaftskrise haben diese Zustände nur noch verschärft.
Ende Juli waren Tausende von Familien nicht mehr in der Lage, ihre Miete bezahlen zu können und sahen sich daraufhin gezwungen, nach einer Alternative zu suchen. Allein im Monat Juli fanden Dutzende von Landbesetzungen in der Provinz Buenos Aires und anderswo im Land statt. Im Fall von Guernica bauten etwa 2500 Familien – etwa 10000 Menschen, viele davon allein erziehende Mütter und Kinder – Zelte und Hütten aus Holz und Planen. Mehr als drei Monate lang, inmitten des argentinischen Winters, hielten diese Familien die Landbesetzung aufrecht, wobei sie nachts mit eisigen Temperaturen und alle paar Tage mit heftigen Regenfällen konfrontiert waren.
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Die Familien, die in Guernica lebten, haben auf diesem unbesetzten Land eine Gemeinschaft für sich geschaffen; Entscheidungen wurden demokratisch in Ausschüssen und Versammlungen getroffen, die von den vier verschiedenen Stadtteilen der Siedlung organisiert werden. Im größten, „La Lucha“ („Der Kampf“), wurde sogar ein eigenes Frauenkomitee gegründet, das sich mit kritischen Fragen der Besetzung befasst. Diesem Frauenkomitee gelang es mit Unterstützung sozialer und politischer Organisationen in Argentinien, eine kleine Schule für die in Guernica lebenden Kinder einzurichten. Durch seine geduldige, aber unerbittliche Arbeit und seinen unnachgiebigen Kampf hat das Komitee zum täglichen Leben in Guernica beigetragen und die Anliegen der dort lebenden Frauen und Kinder aufzugreifen.
Von Anfang an erhielt die Besetzung starke Solidaritätsbekundungen von verschiedenen Organisationen, Gruppen und Gemeinschaften. Militante Strömungen in den kämpferischsten Gewerkschaften von Buenos Aires, politische Organisationen, Menschenrechtsorganisationen sowie politische Persönlichkeiten der Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT) organisierten unzählige Spenden von Lebensmitteln, Kleidung und anderen Notwendigkeiten für die in Guernica lebenden Familien. (Werdende) Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen richteten ein Gesundheitszelt für Vorsorgeuntersuchungen und die medizinische Grundversorgung der Bewohner:innen ein.
Obwohl das Grundstück seit Jahren leer steht, befindet es sich zum Teil im Besitz von Immobilienentwickler:innen wie Bellaco Ltd, die „Pläne“ für den Bau von gated communities und Luxuswohnungen für Familien mit hohem Einkommen haben. Die Regierung hat sich von Anfang an auf die Seite dieser Immobilieninteressen gestellt und auf die Besetzung mit Feindseligkeit reagiert. Die Polizei wurde geschickt, um die Besetzer:innen einzuschüchtern und zu schikanieren, und ein Richter blockierte kürzlich einen Antrag, Baumaterial in die Siedlung zu schicken, um die Lebensbedingungen der dort Lebenden zu verbessern.
Die Regierung hat seit Beginn der Besetzung ein doppeltes Spiel gespielt: Einerseits hat sie einigen partielle, unzureichende Lösungen angeboten und so versucht, die Menschen im Lager zu spalten. Andererseits hat sie die permanente den Besetzer:innen ständig mit der Räumung gedroht, die Familien eingeschüchtert und belästigt und versucht, sie zu demoralisieren.
Ihr letztes, „bestes“ Angebot war die Bereitschaft, der Hälfte der Familien ein Stück Land an einem vorübergehenden (nicht näher benannten) Ort zu gewähren, auf das diese zudem sechs Monate hätten warten müssen. Aber ohne eine schriftliche Vereinbarung stellten dies nichts als leere Versprechungen dar. Als die Delegierten einen konkreteren Vorschlag verlangten und dass das Angebot auf alle Familien in der Besetzung ausgedehnt wird, gab die Regierung die Verhandlungen völlig auf und kündigte an, dass eine Räumung unmittelbar bevorstehe.
Am Donnerstag um 6 Uhr morgens fegte ein massiver Polizeieinsatz von Tausenden von Beamt:innen über das Gebiet hinweg, die Gummigeschosse und Tränengas auf die Besetzer:innen und in ihre Unterkünfte abschossen. Bulldozer verwüsteten einige der selbstgebauten Häuser; andere wurden zusammen mit dem gesamten Hab und Gut der Bewohner:innen in Brand gesteckt. Selbst die Anwesenheit von Kindern stellte für Sicherheitsminister Sergio Berni kein Hindernis dar, rücksichtslose Repression zu entfesseln und Tausende von Familien aus dem Gebiet zu vertreiben und damit wieder in die Obdachlosigkeit zu drängen. Die Polizei war auch schnell dabei, Verbündete zu unterdrücken, die sich solidarisch zeigten und die Räumung stoppen wollten, darunter Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Allgemeinen Studierendenausschüssen sowie Kongressabgeordnete wie Claudio Dellecarbonara von der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS).
Unzählige Menschen wurden während der Repression verletzt und Dutzende verhaftet, darunter mehrere Studierende, die ihre Körper zum Schutz der Besetzung aufs Spiel setzten. Die Regierung von Axel Kicillof hat mit der Unterstützung von Cristina Fernandez de Kirchner einmal mehr gezeigt, dass in Krisenzeiten die Spekulationsgewinne der Immobilienunternehmen wichtiger sind als die Grundbedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Hinter der Menschenrechtsrhetorik, den progressiven Reden und ihrem Diskurs von einer „Regierung für die Massen“ ist Argentiniens „Mitte-Links“-Regierung im Kirchnerismus nur eine weitere Regierung im Dienste des Kapitals.