Argentinien: Rechtsruck, aber revolutionäre Linke mit 1,3 Millionen Stimmen so stark wie nie

23.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Bei der Wahl der Legislative in Argentinien am vergangenen Sonntag ergibt sich ein gespaltenes Bild: Während die konservative Macri-Regierung deutlich zulegt und der Kirchnerismus stark verliert, kann die revolutionäre Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) mit 1,3 Millionen Stimmen das beste Ergebnis seit ihrer Gründung 2011 erreichen.

In den argentinischen Parlamentswahlen versagt der „Kirchnerismus“ um Cristina Fernández gegen die neoliberale Regierungskoalition „Cambiemos“ von Mauricio Macri. Diese legt im Vergleich zu den Vorwahlen um fünf Punkte zu und gewinnt auf Landesebene über 40 Prozent der Stimmen. Trotz des Rechtsrucks schafft es die Linke, sich in mehreren Provinzen zu konsolidieren. Mit diesem Ergebnis erobert die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) mindestens zwei Sitze in der Abgeordnetenkammer, sowie mehrere Landtagsabgeordnete.

In mehreren Provinzen, wie Chaco, Santa Fe und Salta, schafft es die verschiedenen Spielarten von Cambiemos, im Vergleich zu den Vorwahlen zu wachsen und den Kirchnerismus in seinen Bastionen zu besiegen. In der Provinz Buenos Aires, wo 40 Prozent der Bevölkerung leben und die Wahl „die Mutter aller (Wahl)kämpfe“ genannt wird, besiegt der „Macrismus“ sogar Cristina Fernández selbst, die zwar in den Senat gewählt wird, jedoch die wichtigste ihrer historischen Bastionen verliert.

Dies deutet auf zwei Dinge hin: erstens, dass sich das Land in einem Rechtsruck befindet und zweitens dass der „Peronismus“ (benannt nach dem Ex-Präsidenten Juan Domingo Perón), von dem der Kirchnerismus nur eine Spielart ist, sich in einer tiefen Krise befindet.

Wie konnte es zu diesem Rechtsruck kommen?

Kurzfristig half Macri die Justiz, mit dem Richter Gustavo Lleral, und die großen Medien, Clarín und La Nación, die Wut der Bevölkerung wegen des Todes Santiago Maldonados im Zaum zu halten. Hunderte Fake-News und Lügen der Regierung und Justiz erschwerten es der Zivilgesellschaft, sich eine klare Meinung zu machen, obwohl hunderttausende den Staat und die Militärpolizei verantwortlich machen.

Mittelfristig unterstützte der Peronismus Macri seit seiner Amtsübernahme 2015 in all seinen Formen beim Regieren. Obwohl sich seine linke Variante um Cristina Fernández als einzige Opposition darzustellen versuchte, hatten sie die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat und hätten Duzende der arbeiter*innenfeindlichen Gesetze stoppen können.

Die Erhöhung der Diäten der Parlamentsabgeordneten in einem Land mit zunehmender Armut, das Ansteigen der Fixkosten von Gas, Wasser und Strom hätte durch die Stimmen der falschen Opposition verhindert werden können. Das verursachte Misstrauen von Teilen der Bevölkerung in den Peronismus, die ihre Stimme lieber der „neuen Kraft“ gaben. Hierzu kommt der Burgfrieden zwischen der Regierung und der Bürokratie des Gewerkschaftsverbands CGT, die nicht gegen die Angriffe auf die Arbeiter*innen mobilisiert.

Außerdem schaffte es Macri, die öffentlichen Ausgaben graduell zu senken, und somit die Wirtschaft zu stabilisieren, ähnlich wie Schäubles Politik der „schwarzen Null“.

Diese Krise des Peronismus erklärt auch, wieso die FIT sich so stark konsolidieren konnte. Der Erfolg dieser ist trotzdem erstaunlich, wenn man bedenkt, dass eine „Polarisierung“ vorgetäuscht wurde, unterstützt seitens der großen Medien. Diese bestand seitens des Kirchnerismus daraus, sich als einzige Oppositionskraft darzustellen. So solidarisierte sie sich mit den entlassenen Arbeiter*innen von PepsiCo und behauptete, dass sie in ihrer Regierungszeit keine Proteste von Arbeiter*innen unterdrückt hätte. Seitens der Medienkonzerne wurde die Linke oft einfach ignoriert: Beispielsweise wurden ihre Werbespots weniger gezeigt und Kandidat*innen weniger als Politiker*innen anderer Listen ins Fernsehen eingeladen.

Obwohl es das beste Wahlergebnis der 2011 gegründeten Front ist, verliert sie jedoch aufgrund der „Polarisierung“ einen Platz im Parlament. Statt jeweils einem Sitz in Salta, Mendoza und Buenos Aires wie 2013 kommen diesmal zwei Abgeordnete aus der Provinz Buenos Aires ins Parlament. In den anderen Provinzen schafften es die bürgerlichen Kräfte, die vor vier Jahren in einer strukturellen Krise waren, sich wieder neu zu formieren.

Jedoch misst sich das Ergebnis der Wahlen nicht nur mit den Abgeordneten im Kongress. In mehreren Provinzen wächst die Zahl der Wähler*innen, die sich für eine klassenunabhängige Alternative der Arbeiter*innen und der Jugend entschlossen haben. In Jujuy eroberte Alejandro Vilca, indigener Arbeiter im städtischen Reinigungsbetrieb, 19 Prozent der Stimmen, und macht somit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der historischen peronistischen Partei „Partido Justicialista“. Zweifelhaft ist hier jedoch, dass in der Provinz die Leerstimmen bei unglaubwürdigen 13 Prozent liegen. Noch am Sonntagabend deuteten die Prognosen auf einen Sieg Vilcas hin, es ist also nicht unwahrscheinlich, dass der Staatsapparat die Wahlen manipuliert hat, um keinen revolutionären, indigenen Arbeiter im Kongress zu haben.

In der Autonomen Stadt Buenos Aires schafften es die Spitzenkandidatin und Menschenrechtsanwältin Myriam Bregman und der zweite Kandidat, Gabriel Solano, in das Gemeindeparlament und erreichten somit ein historisches Ergebnis in der Hauptstadt.

Doch warum tritt eine revolutionäre Front zu den Wahlen eines kapitalistischen Staates an? Aus dem Programm der FIT wie auch aus ihrer Praxis, dem ständigen Begleiten und Unterstützen der Kämpfe der Arbeiter*innen, der Frauen und der Jugend, geht hervor, dass es nicht um Regierungsbeteiligungen und ein Verwalten des Kapitalismus geht. Genauso wenig wird die Politik benutzt, um sich selbst zu bereichern. Die Sitze im Kongress und den Provinzen werden benutzt, um mehr Schlagkraft für die kommenden Kämpfe gegen die Kürzungen der Regierung von Mauricio Macri zu bekommen und dafür eine Öffentlichkeit zu schaffen.

Der Spitzenkandidat und neugewählte Abgeordnete der Provinz Buenos Aires, Nicolás del Caño, sagte auf der gestrigen Pressekonferenz.

Die Regierung prüft bereits, wie sie das Wahlergebnis für die weiteren Kürzungen nutzen kann, liegt jedoch falsch, wenn sie glaubt, dass sie einen Blankoscheck hat. Viele Sektoren haben nicht für ständige Kürzungen, Repression und Straffreiheit gestimmt. Deshalb bestehe ich auf die Einladung auch an die, die nicht für uns gestimmt haben. Wir laden sie ein, gemeinsam mit der Front der Linken für die Rückeroberung der Gewerkschaften, für die öffentliche Bildung in jedem Studierendenzentrum und jeder Schule , für die Bestrafung derjenigen, die sich des Verbrechens an Santiago Maldonado schuldig gemacht haben und mit den Genossinnen der Frauenbewegung für Ni Una Menos zu kämpfen. In all diesen Sektoren wird die FIT diesen Kampf anführen. Wir rufen die Arbeiter*innen, die Jugend und Frauen dazu auf, diese Kämpfe gemeinsam zu führen.

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