Argentinien: Polizeigewalt, Verhaftungen und Demonstrationen in Jujuy

21.06.2023, Lesezeit 7 Min.
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Foto: La Izquierda Diario

Gouverneur Gerardo Morales hat im Eilverfahren und hinter verschlossenen Türen eine Verfassungsreform durchgesetzt. Dagegen gab es am Dienstag massive Demonstrationen auf den Straßen, auf die die Regierung mit heftiger Repression antwortete.

An der Nordgrenze Argentiniens, an der Grenze zu Bolivien und Chile, liegt die Provinz Jujuy. Seit mehreren Tagen steht sie im Mittelpunkt massiver Proteste von Arbeiter:innen, indigenen Gemeinschaften und verarmter Massen gegen Repression und autoritäre Maßnahmen der Provinzegierung von Gerardo Morales von der rechten Koalition Juntos por el Cambio („Gemeinsam für den Wandel“).

Am Dienstag, einem argentinischen Feiertag, wollte das Provinzparlament von Jujuy am Nachmittag über die neue Verfassung abstimmen. Doch der Gouverneur Gerardo Morales zog die Abstimmung auf den Vormittag vor, da er wusste, dass eine Demonstration gegen die Reform stattfinden würde.

Als bekannt wurde, dass die Abstimmung, wie zwischen der Regierungskoalition und dem Peronismus in Jujuy vereinbart, vorverlegt worden war, versammelte sich eine von Lehrer:innen angeführte Massendemonstration um das Parlamentsgebäude, um gegen die Reform zu protestieren. Morales‘ Befehl, die Demonstration mit Tränengas und Gummigeschossen zu unterdrücken, ließ nicht lange auf sich warten. Das Vorgehen der Polizei wurde stundenlang live im nationalen Fernsehen übertragen: Sie schossen direkt auf die Köpfe der Demonstrant:innen, griffen Journalist:innen an, und Hunderte von Polizist:innen drangen ohne Uniform in die Demonstration ein, um illegale Verhaftungen vorzunehmen.

Dutzende von Menschen wurden verletzt, darunter ein Demonstrant, der von einer Tränengaskapsel am Kopf getroffen wurde und sich in einem ernsten Zustand befindet. Die Zahl der Verhafteten, von denen viele durch Polizist:innen in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen festgenommen wurden, war bis zum späten Abend unbekannt. Die Provinz befindet sich de facto im Belagerungszustand, da die Repressionskräfte versuchen, die Bevölkerung einzuschüchtern.

Jujuy ist heute eine Provinz, in der die Wut gegen Gouverneur Morales und den lokalen Peronismus explodiert ist, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Proteste in den nächsten Tagen aufhören werden. Die Gewerkschaften haben für Mittwoch und Donnerstag zu einem Generalstreik in der gesamten Provinz aufgerufen und die Straßensperren bleiben bestehen.

Die Repression wurde von internationalen Organisationen wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) verurteilt. In einer Erklärung äußerte sich die IACHR besorgt über „die Maßnahmen, die zur Auflösung der Proteste in der Provinz Jujuy, einer der Provinzen mit der größten selbstidentifizierten indigenen Bevölkerung, durchgeführt werden“.

Das repressive Vorgehen begann vor einigen Tagen. Am vergangenen Samstag ging die Regierung von Jujuy mit einem Großaufgebot gegen Demonstrant:innen vor, die Straßen in der Provinz blockierten. Die Polizei nahm 27 Demonstrant:innen fest, unter ihnen Natalia Morales, Provinzabgeordnete in Jujuy für die PTS in der Frente de Izquierda. In Jujuy ist die Linke ein wichtiger politischer Bezugspunkt für große Teile der Arbeiter:innenklasse und der Bevölkerung, die die Regierung Morales und das autoritäre Regime der politischen Kaste der Provinz (Morales‘ Partei UCR und der Peronismus) ablehnen.

Die wichtigsten Anführer:innen der argentinischen Linken sprachen sich schnell gegen die Repression aus und antworteten dem Gouverneur Gerardo Morales, der versuchte, die Frente de Izquierda in Jujuy für die von ihm angeordnete Repression verantwortlich zu machen.

„Sie sind ein Unterdrücker. Dutzende von Menschen wurden verletzt und verhaftet. Seit Tagen unterdrücken Sie das Volk, das seine Angst vor Ihnen verloren hat. Ihre Lügen werden nicht mehr geglaubt. Hoch mit den Löhnen und Rechten. Nieder mit der Reform“, postete Nicolás Del Caño, nationaler Abgeordneter der PTS in der Frente de Izquierda, im sozialen Netzwerk Twitter.

„Diejenigen, die sich seiner antidemokratischen Reform widersetzen, sind die indigenen Gemeinden, die Arbeiter:innen, die große Mehrheit der Bevölkerung von Jujuy“, antwortete Myriam Bregman, nationale Abgeordnete der PTS in der Frente de Izquierda.

Provinzgouverneur Morales, der dem rechten Oppositionsbündnis Juntos por el Cambio angehört, versuchte, die Ereignisse zu nutzen, um erneut gegen die nationale peronistische Regierung von Alberto Fernández zu polarisieren und beschuldigte auch die Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Der Gouverneur von Jujuy verschwieg in seiner Anschuldigung, dass die Unterstützung der peronistischen Partei in der Provinz selbst für das Vorantreiben seines Plans zur Verfassungsreform entscheidend war und dass sein Vizegouverneur mit dem nationalen Wirtschaftsminister Sergio Massa verbunden ist.

Die nationale Regierung und verschiedene Sektoren des Peronismus reagierten nach mehreren Tagen des Schweigens auf die Anschuldigungen von Morales und prangerten die Repressionen an. Die verschiedenen Präsidentschaftskandidaten der rechten Koalition Juntos por el Cambio beendeten für einen Moment den internen Streit, um die repressiven Maßnahmen der Regierung von Jujuy zu unterstützen.

Den ganzen Tag über verteidigte Morales seine Verfassungsreform, doch in Wirklichkeit musste er bei zwei sehr umstrittenen Artikeln, die die indigenen Gemeinschaften auf den Kriegspfad gebracht hatten, einen Rückzieher machen. Es handelt sich um Artikel 36 über das Recht auf Privateigentum und Artikel 50. Diese Änderungen, die „Mechanismen und Schnellverfahren“ für die Räumung im Falle nicht einvernehmlicher Besetzungen vorsahen, gaben den multinationalen Bergbauunternehmen freie Hand, die das Land der Gemeinden zur Ausbeutung von Lithium und anderen natürlichen Ressourcen nutzen wollten.

Was der Gouverneur nicht aufgeben will, ist die Einschränkung des Rechts auf Protest. Die neue Verfassung verbietet es, Straßen zu blockieren oder andere Maßnahmen zu ergreifen, die in den letzten Wochen in der Provinz bei Demonstrationen gegen die Reform und für eine bessere Bezahlung der Lehrer:innen eingesetzt wurden.

Am Ende des Tages gingen weiterhin Meldungen über vermisste und unrechtmäßig inhaftierte Personen ein. Menschenrechtsanwält:innen, Provinzabgeordnete und Vertreter:innen sozialer Organisationen versammelten sich an der Seite von Angehörigen, um die Freilassung der Inhaftierten zu fordern, die direkt in Gefängnisse in verschiedenen Bereichen der Provinzhauptstadt gebracht wurden.

Die Provinz bereitet sich auf einen zweitägigen Generalstreik vor, der sich gegen die Unterdrückung, die Verfassungsreform und für die Freilassung der Gefangenen richtet. Diesen Forderungen schließen sich die Lehrer:innen und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes an, die angesichts des Kaufkraftverlustes und der Löhne, die in der Provinz nahe an der Armutsgrenze liegen, eine Gehaltserhöhung fordern.

Der nationale Abgeordnete der PTS in der Frente de Izquierda von Jujuy, Alejandro Vilca, fasste zusammen: „Heute hat das Volk von Jujuy wieder einmal Nein zur Reform von Morales und der PJ gesagt. Die Antwort waren Gummigeschosse, Gas und Verhaftungen. Wir fordern die sofortige Freilassung aller Verhafteten. Totale Ablehnung der Repression“.

Vilca fügte in einem Beitrag auf dem sozialen Netzwerk Twitter hinzu: „Die CGT von Jujuy hat einen 48-stündigen Streik ausgerufen. Alle zum Streik und zur Mobilisierung. Er muss andauern, bis die Reform fällt und sie auf alle Forderungen reagieren. Ein nationaler Streik der CGT und der CTA zur Unterstützung der Bevölkerung von Jujuy ist unerlässlich. Nach Tagen des Kampfes und der Repression in Purmamarca sind die Worte des Präsidenten und der Vizepräsidentin der Nation angekommen. Ihre Partei hat die Reform von Morales unterstützt und heute waren sie noch im Plenarsaal und haben geschworen, dass es eine schlechte Reform ist, während sie das Volk unterdrücken. Nieder mit der Reform. Hoch mit den Löhnen und Rechten. Freiheit für alle Verhafteten und Inhaftierten. Generalstreik, bis die Verfassungsreform von Morales und der PJ fallen gelassen wird“.

Dieser Artikel erschien zuerst am 20. Juni 2023 auf Spanisch bei La Izquierda Diario.

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