Argentinien: IWF-Kandidat und Ultrarechter in Stichwahl
Sergio Massa, Kandidat der regierenden peronistischen Partei Frente Renovador, gewann am Sonntag die erste Runde zur argentinischen Präsidentschaftswahl. Er geht damit in die Stichwahl gegen den ultrarechten Kandidaten Javier Milei. Die trotzkistische Wahlfront kann neue Sitze gewinnen.
Massa, derzeit Wirtschaftsminister im Kabinett von Alberto Fernández, erhielt 36,6 Prozent der Stimmen, trotz seiner Anpassungen an den Internationalen Währungsfond (IWF), also der fortgesetzten Zahlung der Auslandsschulden und der unkontrollierten Inflation. Nach schwachen Umfragen konnte er Boden gutmachen, indem er sich als kleineres Übel gegen die Rechten positionierte. Der ultrarechte und libertäre (marktradikale) Kandidat Javier Milei von La Libertad Avanza hielt mit 30 Prozent praktisch die gleichen Prozentsätze wie bei der Vorwahl im August. Die rechte Kandidatin Patricia Bullrich von Juntos por el Cambio, Parteikollegin des früheren Präsidenten Mauricio Macri, kam mit 23,8 Prozent auf den dritten Platz. Ein weiterer peronistischer Kandidat mit konservativem Profil, Juan Schiaretti, mit 6,8 Prozent auf den vierten. Die sozialistische Wahlfront Front der Linken und der Arbeiter:innen – Einheit (Frente de Izquierda y los Trabajadores – Unidad, FITU), mit ihren Spitzenkandidat:innen Myriam Bregman und Nicolás del Caño (beide Mitglieder unser Schwesterpartei in Argentinien Partido de Trabajadores Socialistas, PTS), erhielt 2,69 Prozent und gewann damit einen weiteren Sitz im Nationalen Kongress für die Provinz Buenos Aires und einen weiteren Sitz im Parlament der Autonomen Hauptstadt Buenos Aires, womit sie ihre parlamentarische Vertretung erweiterte.
Die Überraschung des Wahlabends war das Comeback von Sergio Massa. Trotz der Anpassungsmaßnahmen des IWF, trotz der steigenden Inflation, die die Wirtschaft ins Chaos stürzt und die 138 Prozent pro Jahr übersteigt, trotz der Armutsquote von 40 Prozent, konnte der aktuelle Wirtschaftsminister von der Angst vor den Rechten profitieren. Der ultrarechte Milei schürte selbst die Sorge vor einem noch größeren wirtschaftlichen Absturz. Dies wurde deutlich, als der marktradikale Kandidat die dramatische Abwertung des Peso als Weg zu einer möglichen Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft feierte. Er schlug vor, Peso-Einlagen nicht zu erneuern, also Mechanismen zur Absicherung der Währung, damit Unternehmen und Privatpersonen ihre Gelder nicht in Dollar umwandeln. Damit trieb er viele Sparer zu den Banken, die schleunigst versuchten, ihr Geld abzuheben. Solche Äußerungen, die den brutalen Charakter seines Wirtschaftsplans offenbaren, müssen für einen Teil der Wähler:innen eine starke Abschreckung gewesen sein. Die enorme Unterstützung, die Patricia Bullrich durch Medien und die Unternehmen genoss, konnte die allgemeine politische Dynamik nicht verändern. Die Kandidatin von Juntos por el Cambio kam mit 23,8 Prozent auf den dritten Platz und schaffte es nicht, alle Wähler, die an der Vorwahl teilgenommen hatten, für ihre Koalition zu gewinnen.
Neue Sitze für die trotzkistische Linke
In einem im Wesentlichen konservativen politischen Szenario erreichte die Linke einen ähnlichen Prozentsatz wie bei den Vorwahlen. Die von Myriam Bregman und Nicolás del Caño angeführte sozialistische Wahlfront, Front der Linken und der Arbeiter:innen – Einheit, erhielt 2,69 Prozent der Stimmen. Mit diesem Prozentsatz gewinnt sie einen neuen nationalen Abgeordneten und einen neuen Abgeordneten in der Stadt Buenos Aires, wodurch sie ihre parlamentarische Vertretung insgesamt ausbauen kann.
Christian Castillo, ein bekannter landesweiter Anführer der linken Front und Mitglied unserer Schwesterpartei, tritt in die Fraktion im Kongress ein, die damit nun erstmals fünf Abgeordnete hat. Celeste Fierro von der Movimiento Socialista de los Trabajadores (MST) wird in der Stadt Buenos Aires mit vier Abgeordneten der FIT-U vertreten sein. Wie schon seit der Gründung der Front zwischen verschiedenen Parteien der argentinischen Linken im Jahr 2011 werden dies neue Kampfpositionen sein, um der kommenden Politik im Sinne des IWFs entgegenzutreten. Eine Politik, die die fortgesetzte Unterwerfung unter die Forderungen des internationalen Finanzkapitals bedeutet.
Eine intensive Kampagne zur Verängstigung
Die Regierungspartei konnte dieses Ergebnis erreichen, nachdem sie eine systematische Kampagne durchgeführt hat, um Millionen von Menschen mit den möglichen Folgen eines Sieges von Milei zu verängstigen. Sie wurde mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und auf allen Ebenen durchgeführt. Angefangen von der systematischen Flutung sozialer Netzwerke bis hin zu öffentlichen Kampagnen, wie diejenige, die „ankündigte“, wie viel der Transportdienst im Falle der Abschaffung von Subventionen kosten würde (was Milei durchsetzen möchte).
Diese breit angelegte politische Kampagne ignorierte zwei Tatsachen, die dem offiziellen Diskurs widersprechen. Die erste war die peronistische Mitarbeit bei der Aufstellung der Kandidatenlisten von La Libertad Avanza, der Partei von Milei, für die Vorwahlen, ein Umstand, der nie bestritten wurde. Der zweite Punkt ist die ausdrückliche Aufforderung von Sergio Massa an die Partei von Milei, sich an einer „Regierung der nationalen Einheit“ zu beteiligen. Ein öffentlicher Aufruf, der während der Präsidentschaftsdebatten vor einem Millionenpublikum erfolgte.
Mileis eigener Wahlkampf trug aktiv zu diesem Ergebnis bei, denn er förderte mit seinen Erklärungen und seinem Programm nicht nur die Tendenzen zu einem größeren Wirtschaftschaos. Er leugnete aktiv die Diktatur, indem er behauptete, dass es keine 30.000 Verschwundenen gab, die von der Diktatur ermordet wurden. Diese völlig reaktionäre Position wurde in den Präsidentschaftsdebatten vor einem Millionenpublikum verteidigt.
Anlauf zur Stichwahl
Javier Milei sprach kurz nach 22 Uhr von der Wahlparty von La Libertad Avanza, umgeben von der Vizepräsidentschaftskandidatin Victoria Villarruel und den wichtigsten Anführer:innen der Rechten. Als erstes versuchte er, das Wahlergebnis als ideologisches Votum zugunsten seiner Partei darzustellen. Dies entspricht jedoch nicht der Realität. In seiner Rede nannte er weder seinen künftigen Gegner Massa noch den Peronismus als politische Strömung. In Anlehnung an Patricia Bullrich nannte er jedoch sieben Mal den Kirchnerismus. Mehrmals appellierte er an ihr Rechtsbündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel) und zeigte damit, wo er nach Stimmen suchen wird, um die Stichwahl zu gewinnen. Sein Diskurs war gegen die „politische Kaste“ gerichtet, zu der er selbst jedoch beste Beziehungen unterhält. Nachdem er die Bildung von Listen mit Teilen des Peronismus ausgehandelt hat, bemüht er sich nun verzweifelt um die Stimmen der Macri-Rechten.
Sergio Massa sprach öffentlich erst nach Milei, ganz allein auf der Bühne. Er nannte zu keinem Zeitpunkt die Regierung, der er angehört, so als wolle er die Geschichte „zurücksetzen“, so als wolle er die Realität „vergessen“: die Anpassung an den IWF, die Armut und die Politik seiner Partei, die das Wachstum der Rechten begünstigte. In seiner Rede stellte er einmal mehr die gravierende soziale und wirtschaftliche Lage von Millionen als etwas dar, für das seine Regierung keinerlei Verantwortung trägt.
Als glühender Verfechter der Politik der US-Botschaft überraschte er, indem er in mehreren Passagen seiner Rede vom „Heimatland“ sprach. Etwas, das nicht zu seiner ständigen Ausrichtung auf die vom IWF verordnete Anpassung passt. Wie Milei nutzte auch Massa seine Rede, um auf Stimmenfang für den Urnengang zu gehen. Er forderte „das Ende der Spaltung“ und wiederholte den Ruf nach „mehr Ordnung“, den Patricia Bullrich so stark in den Vordergrund gestellt hatte. Er kam auch auf seinen Vorschlag zurück, „die Besten aufzurufen“, wie er es in den Präsidentschaftsdebatten vorgeschlagen hatte, darunter Juntos und La Libertad Avanza, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.
Politische Zersplitterung
Die Präsidentschaft wird schließlich am Sonntag, den 19. November, in einer Stichwahl bestätigt. Die bereits bekannten Ergebnisse geben jedoch einen Vorgeschmack auf das künftige nationale politische Leben. Die Parlamentswahlen haben ein Szenario der politischen Zersplitterung gezeichnet. Dieses Bild spiegelt die Konturen der Realität besser wider als das, das aus der Wahl zwischen Massa und Milei hervorgehen wird. Der neue Kongress wird von einer Vielzahl von Blöcken und Fraktionen geprägt sein, die diese Zersplitterung symbolisieren werden. Die politischen Abläufe im Senat und in der Abgeordnetenkammer werden zu einem großen Teil von der mühsamen Aufgabe abhängen, Vereinbarungen und Konsens zu finden.
Wer auch immer die Wahl gewinnen wird, muss versuchen, eine gemeinsame Basis zu finden, wenn es darum geht, Gesetzesvorhaben voranzutreiben. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan. Die Zersplitterung selbst ist ein Beweis für die Krise der Repräsentation, von der die politischen Mehrheitskoalitionen betroffen sind. Sie verdeutlicht die begrenzte Unterstützung, die sie in der politischen Führung haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein Szenario zu erwarten, in dem es mehr Spannungen als Konsens gibt.
Die verbleibenden drei Wochen bis zum 19. November dürften auf sozialer und ökonomischer Ebene angespannt sein. Die großen Mehrheiten der Arbeiter:innenklasse werden weiterhin unter den Auswirkungen eines sozialen und wirtschaftlichen Sturms leiden, der sowohl Gewinner als auch Verursacher hat. Zu den Gewinnern gehören der IWF und diejenigen, die das Abkommen, das die Verschuldung Macris legalisiert, gebilligt oder zugelassen haben. Die Verursacher sind Großkapitalist:innen, die ihre Profite auf Kosten der Löhne und der Volkseinkommen von Millionen ausgedehnt haben.
Dieser Artikel erschien zuerst auf unserer argentinischen Schwesterseite La Izquierda Diario. Unsere Redaktion hat ihn für ausländische Leser:innen angepasst.