Argentinien: Hunderttausende demonstrieren für die öffentliche Bildung
Die ultrarechte Regierung von Javier Milei in Argentinien kürzt radikal Ausgaben für die staatlichen Universitäten und bedroht ihr Fortbestehen. Deswegen protestierten am Dienstag bis zu eine Million Menschen im ganzen Land für öffentliche Bildung und gegen den Kürzungsplan der Regierung.
„Öffentliche Bildung ist ein Recht, keine Ware“, „Ohne öffentliche Bildung keine Zukunft“, „Bildung wird verteidigt, nicht verkauft“. Dies waren einige der Slogans, mit denen Studierende, Dozierende, Schüler:innen, Forschende und Demonstrierende an dem Protest zur Verteidigung der öffentlichen Bildung in Córdoba teilnahmen. Die zweitgrößte Stadt Argentiniens liegt im Herzen des Landes und ist Sitz der ältesten Universität, der Nationalen Universität Córdoba (UNC). 1918 fand hier die radikale Universitätsreform ihren Ursprung, die das liberale Bildungssystem bis heute prägt.
Landesweiter Protest
Vom äußersten Norden im Andenhochland in San Salvador de Jujuy bis nach Ushuaia in Feuerland versammelten sich fast eine Million Menschen, um gegen die Kürzungen im Bildungsetat sowie gegen die allgemeine Sparpolitik der ultrarechten Regierung von Javier Milei zu protestieren. Der mit der Kettensäge symbolisierte Kahlschlag der Milei-Regierung hat den Haushalt der 66 staatlichen Universitäten um 70 Prozent gekürzt, was von der Hochschulleitungen als existenzielle Bedrohung für die Aufrechterhaltung von Lehre und Forschung kritisiert wird. An der Universität Buenos Aires (UBA), der größten des Landes, musste bereits der Stromverbrauch reduziert werden, Professor:innen und Dozierende verdienen 29 Prozent weniger als noch im vergangenen Jahr.
In Córdoba waren bereits am Vormittag Zehntausende auf dem Universitätscampus zusammengekommen und drängten sich in einer nicht enden wollenden Menschenmasse von dort aus bis ins Stadtzentrum. Um die Transparente der Studierendenzentren (mit den Fachschaften in Deutschland vergleichbar) sammelten sich die Studierenden und Dozierenden sowie die wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der jeweiligen Fakultäten. Die Blöcke der Philosophischen und der Sozialwissenschaftlichen Fakultät waren besonders groß und wurden mit Trommeln und Gesängen angeheizt.
Dazu kamen Schüler:innen staatlicher Schulen, Arbeiter:innen, Vertreter:innen der Universitätsleitung und verschiedener politischer Parteien, die wie der Gewerkschaftsdachverband CGT zu der Demonstration aufgerufen hatten. Auch die trotzkistischen Parteien, die in der Front der Linken und Arbeiter:innen (FIT-U) versamelt sind, beteiligten sich an der Protestaktion. Von der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) war die Kandidatin und Dozentin Laura Vilches zusammen mit Hunderten Schüler:innen, Studierenden, Lehrer:innen und Arbeiter:innen aus dem öffentlichen Dienst und verschiedenster Betriebe präsent.
Die größte Demonstration fand am späten Nachmittag und Abend in der Hauptstadt Buenos Aires statt, wo Hunderttausende versuchten, den zentralen Plaza de Mayo zu erreichen. Unzählige Studierende und Dozierende aus den verschiedenen Fakultäten der Hauptstadt und den Universitäten der Vorstädte schlossen sich diesem Protest an. Die Masse der Teilnehmer:innen sorgte einmal mehr, dass das das repressive Demonstrationsprotokoll der „Sicherheitsministerin“ Patricia Bullrich völlig wirkungslos blieb. Spürbar war die große Sympathie, die die Studierenden und Dozierenden für die Verteidigung der öffentlichen Bildung erhielten, unterstützt von Gewerkschaften, sozialen, Menschenrechts- und politischen Organisationen. Auch die nationalen Abgeordneten der PTS in der Front der Linken Myriam Bregman, Nicolás del Caño, Alejandro Vilca und Christian Castillo nahmen an dieser Mobilisierung teil.
Die zentralen Forderungen drehten sich um die Verteidigung der öffentlichen Bildung, die seit 1949 komplett kostenlos für Menschen jeglicher Herkunft ist. Milei und Vertreter:innen seiner politischen Kraft sprachen sich immer wieder explizit gegen die öffentliche Bildung aus, stellten die Schulpflicht infrage und forderten die Einführung von Studiengebühren. In einem Versuch, die Demonstrationen zu stoppen, versprach die Regierung die Erhöhung einiger Budgetposten, ohne jedoch von dem allgemeinen Sparplan im Bildungssektor Abstand zu nehmen. Der massive Protest im ganzen Land ist ein klares Zeichen, dass die breite Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend die öffentliche Bildung gegenüber den Angriffen der Regierung verteidigt.
Die Bildungsbewegung an vorderster Front im Kampf gegen die Milei-Regierung
Neben den Forderungen in Bezug auf die Universitäten kritisierten die Demonstrierenden in ihren Plakaten und Gesängen auch die allgemeine Ausrichtung der ultrarechten Regierung, die in den vergangenen vier Monaten brutale Kürzungen von Renten, Löhnen und allen öffentlichen Ausgaben im Dienste des Finanzkapitals vorangetrieben hat. Diese Politik hat zu einem rapiden Anstieg der Armut und der extremen Armut geführt und die wirtschaftliche Aktivität gestoppt, mit hunderttausenden Entlassungen alleine im Bausektor. Aktuell versucht die Regierung mit Gesetzesvorhaben die Wirtschaft zu deregulieren und mit einer Arbeitsmarktreform den Lohnabhängigen ihre erkämpften Rechte zu nehmen, um dem internationalen und nationalen Großkapital Investitionen im Bergbau- und Energiesektor (vor allem der Abbau von Öl-, Gas- und Lithium-Vorkommen) schmackhaft zu machen.
Besonders die linken Organisationen machten daher die Verbindung der aktuellen Demonstrationen zur Verteidigung der öffentlichen Bildung und dem allgemeinen Kampf gegen die marktradikale Politik der Milei-Regierung deutlich. Daher grenzten sie sich deutlich von den Sektoren der bürgerlichen Opposition ab (sowohl der Peronismus als auch die „radikale“ UCR), die sich zwar an den Bildungsprotesten beteiligen, der Regierung im Parlament jedoch die nötigen Stimmen verschaffen, um mit ihren Reformprojekten voranzukommen.
Der massive Bildungsprotest hat die breite soziale Unterstützung der öffentlichen Bildung deutlich gemacht. Der Konflikt mit den Hochschulen könnte sich daher zu einem ernsthaften Kräftemessen mit der Politik der Milei-Regierung insgesamt entwickeln, wenn sich die Studierenden, Lehrenden, Forschenden und Beschäftigten weiter selbst und unabhängig von den kompromissbereiten Führungen organisieren und sich dabei mit den Sektoren verbinden, die wie die entlassenen Arbeiter:innen, armen Rentner:innen, oder die Frauen- und Menschenrechtsbewegung bereits gegen die unnachgiebige Regierung kämpfen. Der von den Gewerkschaften angekündigte Generalstreik am 9. Mai kann ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.