Argentinien: Dutzende Universitäten besetzt

11.10.2024, Lesezeit 5 Min.
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Abstimmung an der Technischen Universität Buenos Aires. Foto: Nicolás Ale / X

In Argentinien ist eine Rebellion an den Universitäten gegen die Kürzungen im öffentlichen Bildungswesen ausgebrochen.

Das Veto des Präsidenten Javier Milei ist bestätigt. So entschied am vergangenen Mittwoch das Unterhaus des argentinischen Kongresses. Ein von ihm blockiertes Gesetz sah vor, die Finanzierung der öffentlichen Universitäten an die dreistellige Inflation im Land anzupassen. Medien berichten, dass Universitätsgehälter rund 40 Prozent ihrer Kaufkraft durch die Geldentwertung verloren haben. Gegen das Gesetz legte der ultrarechte Präsident letzten Monat sein Veto ein – und konnte dieses nun im Unterhaus bestätigen lassen.

Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) verfügt nur über 38 der 257 Sitze des Parlaments. Um das präsidentielle Veto aufzuheben, bedarf es allerdings einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Unterstützung bekam das rechte Lager dabei von der konservativen Propuesta Republicana (PRO), die an Mileis Regierung beteiligt ist, und konnte so die nötige Sperrminorität erreichen. Eine Aufhebung des Vetos wäre ein „sehr schlechtes Signal für die Märkte“ gewesen, rechtfertigte PRO-Vertreter Alejandro Finocchiaro den Schritt, laut Berichten von Reuters.

Die de facto Kürzungen im Bildungswesen finden im Zuge von Mileis anhaltender Austeritätspolitik statt, die darauf abzielt, die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Die Streichung von Geldern betrifft die komplette Bandbreite staatlicher Ausgaben. Erst im Juni hat der argentinische Machthaber das umstrittene Grundlagengesetz (ley bases) mit dem Knüppel durchgesetzt, wie Klasse Gegen Klasse berichtete. Dieses beinhaltete Sonderbefugnisse für den Präsidenten sowie Kürzungen und Privatisierung wichtiger Staatsunternehmen. Milei, der seine Hunde nach libertären Ökonomen wie Milton Friedman benannt hat, welcher seinerzeit den chilenischen Diktator Augusto Pinochet wirtschaftlich beraten hatte, nennt sich selbst einen überzeugten Anarcho-Kapitalisten. 

Die Jugend steht auf

Doch reibungslos verlief Mileis Politik der Bosse bisher nicht. Das Grundlagengesetz geht auf einen Gesetzesvorstoß vom letzten Dezember zurück, der als Omnibus-Gesetz bekannt wurde. Das Vorhaben sah mit 664 Artikeln Umwälzungen in scheinbar allen Bereichen vor, um – so die Selbstbeschreibung – die wirtschaftliche Stabilität zu sichern. Rentenkürzungen, Lockerungen im Umweltschutz, Änderungen der Sozialleistungen und eine Steuerreduktion für die Wohlhabendsten sind nur einige der Maßnahmen, die neben Kriminalisierung von Protest und Freifahrtscheinen für Polizeigewalt zur autoritären und reaktionären Neugestaltung des Landes beigetragen hätten.

Damals mobilisierten Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen umfassend. Nach vier Tagen massiven Protests und Straßenkämpfen sowie eines Generalstreiks am 24. Januar scheiterte das Vorhaben im Parlament. Myriam Bregman, von der Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS) und damalige Abgeordnete für die Front der Linken (FIT-U), kommentierte: „Wir haben das Gesetz innerhalb und außerhalb des Kongresses konsequent bekämpft.“ Die Kämpfe führten zu Modifizierungen vonseiten der Regierung und weiteren Niederlagen für ihr Vorhaben. 

Mileis Veto im Bildungsbereich treibt die Mobilisierungen jetzt auf einen neuen Höhepunkt. Angeführt von Studierenden, Dozierenden und Unibeschäftigten protestierten allein in Buenos Aires Hunderttausende. Laut La Izquierda Diario gibt es Aktionen an 38 Universitäten in Buenos Aires, Córdoba, Mendoza, Jujuy, Tucumán, Salta, Río Negro, San Juan, San Luis und anderen Provinzen – davon mindestens 25 Besetzungen, Tendenz steigend. Es kam zu Straßenblockaden, Versammlungen, Besetzungen von Fakultäten und Konfrontationen mit den Behörden. Mit dieser Rebellion zeigt die Jugend deutlich: Sie haben kein Vertrauen in die Regierung. Im Medienecho werden die Proteste „historisch“ genannt, die Versammlungen und Besetzungen seien „enorm“. PTS-Abgeordneter Nicolás del Caño auf X: „Lang leben die Studierenden!“

Mit gemeinsamen Versammlungen setzen die Universitätsmitglieder auf eine Ausdehnung ihres Kampfes in andere Sektoren. Besetzungen, Unterricht im öffentlichen Raum und Versammlungen werden als Maßnahmen der selbstorganisierten Demokratie gegen das autoritäre Regime verstanden. Auf X kommentiert eine Professorin der Uni Buenos Aires: „Die Universität von La Matanza ist wegen des Streiks geschlossen, aber die Studierenden sind trotzdem hingegangen und haben öffentliche Vorlesungen organisiert. Es scheint, dass der Wille da ist, gegen Mileis Regierung zu kämpfen!“ 

In diesem Kontext strebt die PTS einen Übergang in die Offensive an:

Wir setzen darauf, dass es im Laufe des Montags und Dienstags Versammlungen und Besetzungen in allen Fakultäten geben wird, um am Mittwoch einen großen nationalen Tag mit Aktionen, Straßenprotesten und öffentlichen Vorlesungen an jeder Universität zu veranstalten. Gleichzeitig fordern wir einen Dritten Nationalen Bildungsmarsch JETZT! Denn auf der Straße erkämpfen wir unsere Rechte […] Wir wollen wieder auf die Straße gehen, um zu sagen: Verteidigung der öffentlichen Bildung, Ablehnung des Vetos, Erhöhung des Budgets und der Gehälter der Lehrkräfte und Beschäftigten jetzt! Wir müssen weiterhin die größtmögliche Einheit zwischen den verschiedenen kämpfenden Sektoren, den Beschäftigten des Gesundheitswesens, den Rentner:innen, den Beschäftigten in der Luftfahrt, den Studierenden und Lehrkräften fördern. Für einen nationalen Streik und einen Kampfplan, um die Sparmaßnahmen der Regierung Milei und des IWF zu besiegen.

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