Argentinien: Der schlafende Riese erwacht
Milei und seine Regierung haben die Studierendenbewegung geweckt, viele von ihnen haben ihr Studium online begonnen und unternehmen nun wichtige Schritte zur Organisierung. Ein Funke ist entfacht, auch wenn einige ihn löschen wollen.
Die letzten Wochen waren wie ein Wirbelsturm: Am 4. Oktober, einem Freitagmorgen, kursierten Nachrichten in den sozialen Netzwerken, die die Schließung des Bonaparte-Krankenhauses ankündigten, des einzigen Krankenhauses im ganzen Land, das auf psychische Gesundheit und Suchtkrankheiten spezialisiert ist. Noch am selben Tag und während des gesamten Wochenendes wurden kulturelle Aktivitäten, öffentliche Vorlesungen der Universität von Buenos Aires (UBA), Suppenküchen, Versammlungen von Anwohner:innen und Besucher:innen sowie die Koordinierung von Kämpfen organisiert, um die Entscheidung der Beschäftigten des Krankenhauses zu unterstützen, das Krankenhaus friedlich zu besetzen, um die Schließung zu verhindern. Am Nachmittag des 8. Oktober wurde klar, dass sich kämpfen lohnt: Die Verträge aller Beschäftigten wurden verlängert und es wurde bestätigt, dass die Schließung nicht stattfinden würde. Dasselbe hatten die Rentner:innen bereits mit ihren Mobilisierungen jeden Mittwoch zum Kongress bewiesen. Es begann sich etwas zu ändern, der Wille, den Angriffen zu begegnen und sich von unten zu organisieren, wuchs. Es war für die Regierung ein schlechter Zeitpunkt, sich in die Universitäten einzumischen.
Als dann am 10. Oktober das Veto des Präsidenten Javier Milei gegen die Erhöhung der Gehälter der Universitätsdozent:innen und des nicht-akademischen Personals vom Parlament bestätigt wurde, hatte das schnelle Konsequenzen und Milei lernte schnell, dass Gewinnen manchmal Verlieren bedeutet. In den meisten Universitäten wurde im Einklang mit dem neuen Wind, der durch das Land wehte, in Versammlungen die Besetzung von Fakultäten und Rektoraten beschlossen, wodurch der Widerstand einen neuen Aufschwung nahm. An der UBA wurde die Besetzung von Fakultäten wie Medizin, Jura und Ingenieurwesen bekannt gegeben, die sich der von der Psychologie, den Sozialwissenschaften und der Philosophie und den Literaturwissenschaften ausgelösten Welle anschlossen. In Córdoba war die Besetzung der juristischen Fakultät ein Novum, das es zuvor noch nie gegeben hatte. In La Plata wurden nicht nur das Rektorat und mehrere Fakultäten besetzt, sondern auch die größte Demonstration in der Geschichte der Stadt organisiert. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, denn sie füllte sich schnell mit Meilensteinen: In diesem Artikel geben wir eine Chronologie der Ereignisse.
Der Funke ist übergesprungen
Die Studierendenschaft ist ein gesellschaftlicher Sektor, der sich in Institutionen konzentriert, in denen wichtige nationale und internationale Probleme diskutiert werden. Die Studierenden sind politischer als der Durchschnitt und genießen eine größere Organisationsfreiheit als am Arbeitsplatz, wo das Risiko einer Entlassung oder von Repressalien besteht. Sie können daher die Leidenschaften, die Unzufriedenheit und die Gefühle der Gesellschaft in verstärkter Form zum Ausdruck bringen und in der Hitze des Gefechts vibrieren. Es handelt sich um einen Sektor, der über eine große gesellschaftliche Legitimität verfügt, und wenn er zu einem Zeitpunkt kämpft, zu dem andere Sektoren noch nicht dazu entschlossen sind, wird das wohlwollend betrachtet. Diese Bereitschaft, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren und den eigenen Platz zu verteidigen, kann den Funken entzünden, der ein Feuer entfachen kann. Dieses Potenzial, das wir heute in der breiten Unterstützung für unsere Bewegung sehen, lässt sich aufgrund der Ausweitung der öffentlichen Universität verstehen, die in den 1990er Jahren einsetzte. Heute gibt es etwa 2,5 Millionen Studierende im ganzen Land, von denen zwei Millionen an öffentlichen Universitäten studieren. Da es sich um eine Massenuniversität handelt, wird sie nicht mehr nur wie früher von den wohlhabenden Mittelschichten besucht, sondern erreicht auch die Kinder von Arbeiter:innenfamilien, Studierende, die selbst arbeiten, oder Arbeiter:innen, die nebenbei studieren – daher kann dieses Potential auch auf sie einwirken. Das Erwachen der Studierendenbewegung wirkt sich auf die Gefühls- und Denkweise derjenigen aus, die beginnen, sich zu organisieren, wie beispielsweise Teile der Arbeiter:innen, die sich in Versammlungen zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze zusammenschließen.
Der Grad der Unterstützung für die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens hat zu Szenen geführt, die noch vor wenigen Monaten undenkbar schienen: Die 97-jährige Schauspielerin Mirtha Legrand, die sich für das öffentliche Bildungswesen einsetzt, oder der Slogan „Universidad de los trabajadores y al que no le gusta se jode“ (dt. „Universität der Arbeiter:innen, und wem das nicht gefällt, der kann sich verpissen“), der sogar bei der Verleihung des Martin-Fierro-Preises für Radio und Fernsehen angestimmt wurde. Aber über das Anekdotische hinaus spiegelt sich die Unterstützung in jeder Meinungsumfrage wider und drückt sich in der massiven Beteiligung an jeder Aktion aus, zu der auf der Straße aufgerufen wird, wie bei den massiven bundesweiten Universitätsmärschen oder bei den Mobilisierungen in La Plata, Córdoba und Tucumán zu sehen war. Die Rentner:innen markierten mit ihren Demonstrationen den Weg, dem wir Studierende uns später anschlossen, um die systematische Kürzungspolitik der Regierung Milei zu konfrontieren. Denn diese Regierung, die noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, hat bereits Hunderttausende von Entlassungen, Hungerlöhnen und Anpassungspolitik hervorgebracht und fördert Verschwörungstheorien und Sexismus. Dies waren die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten und zur Studierendenrevolte führten.
Wir müssen uns jedoch darüber im Klaren sein, dass die Studierendenschaft ein heterogenes und vielschichtiges gesellschaftliches Subjekt ist, das sowohl Kinder von Arbeiter:innen als auch von Kapitalist:innen umfasst und in dem es über seine soziale Zusammensetzung hinaus einen internen Streit gibt:
Soll die Studierendenschaft an der Aufrechterhaltung einer antidemokratischen und ausgrenzenden Universitätsstruktur mitwirken, in der nur sehr wenige ihren Abschluss machen, weil sie arbeiten oder studieren müssen? Oder soll sie sich vornehmen, eine maximale studentische Beteiligung zu entwickeln, unseren Kampf mit dem der Arbeiter:innenklasse und der Sektoren, die unter Angriffen leiden, zu vereinen und für alle unsere Rechte zu kämpfen, wie wir von der Jugend der PTS (Partei Sozialistischer Arbeiter:innen) vorschlagen?
Diese Auseinandersetzung hängt in hohem Maße vom Weg der Studierendenbewegung ab, die der aktivste Sektor dieser zwei Millionen ist. Mit großer Sympathie vieler Kommiliton:innen, die noch nicht den Schritt zur Aktivierung gemacht haben, wie es in den massiven öffentlichen Vorlesungen im ganzen Land zu sehen war, führt die Studierendenbewegung heute die Organisation und die Maßnahmen des Kampfes an. Aber sie ist immer noch ein kleiner Teil des Riesen, der sich, wenn er sich in Bewegung setzt, nicht nur vornehmen kann, die Universität zu verteidigen, sondern sich auch mit den Arbeiter:innen zu vereinen, um die Pläne dieser Regierung und des Internationalen Währungsfonds zu besiegen.
Strategien im Wettstreit
Der Kampf zur Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens ist ein gemeinsames Banner, das von den unterschiedlichsten Sektoren aufgegriffen werden kann, denn zumindest in einem Punkt scheinen wir uns fast alle einig zu sein. Diese ersehnte Einigkeit, die wertvoll ist, weil Einigkeit Stärke bedeutet, muss jedoch konkretisiert und gestaltet werden. Diese Fragen sind wichtig, denn mit dem Fortschreiten des Hochschulkonflikts wird immer deutlicher, dass es in diesem Kampf um unterschiedliche Strategien geht, die wiederum von unterschiedlichen politischen Perspektiven abhängen und nicht alle den gleichen Interessen entsprechen.
Das anschaulichste Beispiel lieferte in den letzten Tagen der Rektor der Nationalen Universität San Luis, Víctor Moriñigo, ein Mitglied der kleinbürgerlich-sozialliberalen Radikalen Partei und Präsident des Nationalen Interuniversitären Rates (CIN). Diese Institution vereint die Rektor:innen aller Universitäten des Landes und ist ein wichtiger Akteur in dem Konflikt, den wir erleben. In Erklärungen gegenüber der Tageszeitung DiarioAR sagt Moriñigo über den Konflikt und den Prozess der studentischen Organisierung, dass „er seinen schlimmsten Moment bereits hinter sich hat“ und dass er zurückgehen werde, weil „die Logik der Besetzungen nicht zu einer kurzfristigen Lösung führt“. Der Rektor setzt unseren Kampf herab und stellt sich auf die Seite von Milei, um das Feuer, das wir entfacht haben, zu löschen. Er macht deutlich, dass unsere Organisation für ihn nicht der Weg nach vorne ist. Es bleibt die Frage, wie wir seiner Meinung nach gewinnen können. Hier gibt er die Antwort: „Wir sind noch weit davon entfernt, eine Einigung zu erzielen, aber wir sind zuversichtlich, dass wir im Haushalt eine Erhöhung bekommen werden. Dass die Obergrenze von 3,8 Billionen Pesos (umgerechnet ca. 3,5 Milliarden Euro) für den Universitätshaushalt eine Untergrenze und keine Obergrenze ist, halte ich für gut. Je näher wir an die sieben Prozent des Haushalts herankommen, desto besser wird der Konflikt gelöst.“ Als ob das noch nicht genug wäre, räumt er ein, dass „die Gehälter in diesem Jahr leider nicht angeglichen werden können; wir haben die Universitätsangestellten für die Kürzungen zahlen lassen“.
Wäre dies die Aussage eines libertären Youtubers, der uns bei einer Demonstration provozieren will, könnten wir ihn rauswerfen. Aber dies ist die höchste Autorität einer der wichtigsten Institutionen, die sich die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens auf die Fahne schreibt und mit zu den beiden landesweiten Universitätsmärschen mobilisierte. Auf welcher Seite stehen also die (radikalen und peronistischen) Rektor:innen und Universitätsleitungen wirklich? Ein tragikomisches Beispiel ereignete sich in Tucuman: Der radikale Rektor der nationalen Universität traf sich mit Jaldo (peronistischer Gouverneur der Provinz), nachdem dieser als Held gefeiert worden war, weil er das Veto von Milei im Kongress garantiert hatte. Offenbar war es ein sehr „fruchtbares“ Treffen, bei dem er versprach, die Haushaltsmittel für die Universitäten zu erhöhen. Seit Jahren verhandelt der CIN unter allen Regierungen über Anpassungsbudgets für die Universität, und unter Milei hat er nach der Mobilisierung vom 23. April eine Erhöhung des Betriebsbudgets der Universität ausgehandelt, das die Gehälter nicht einschließt, wodurch die Lehrkräfte und das nicht-akademische Personal wieder einmal auf der Strecke blieben.
So sehr sich die Radikalen durch die Bildung neuer Blöcke im Kongress reinwaschen wollen, besteht die Strategie dieses politischen Sektors, um diesen Konflikt zu „gewinnen“, weiterhin darin, sich auf Versprechungen der Regierung zu verlassen. Es macht Sinn, dass die Studierendenorganisation der Radikalen Partei, Franja Morada (dt. „Lila Streifen“), in so vielen Universitäten Versammlungen, Besetzungen und verschiedene Kampfmaßnahmen abgelehnt hat (eine Position, die sie in vielen Universitäten mit dem Peronismus teilt). Sie verhindern jeglichen Raum für demokratische Debatten, in dem die Studierenden darüber diskutieren können, ob diese Strategie, die seit langem gescheitert ist, sinnvoll ist oder nicht.
In jeder Fakultät sagen wir von der PTS-Jugend und unseren Gruppierungen, zusammen mit vielen Aktivist:innen und selbstorganisierten Studierenden, deutlich, dass unsere Forderungen und die unserer Dozierenden nicht auf ihre Hinterzimmerverhandlungen warten können, dass sie uns nicht überzeugen werden, den Abgeordneten und Senator:innen der Mehrheitsparteien zu vertrauen, die nicht aufhören, uns zu verraten, und dass wir nicht bereit sind, einige Brösel des Universitätsbudgets zu erhöhen (gegen die der Präsident immer sein Veto einlegen kann), wenn dies auf Kosten der Fortsetzung der Anpassungspolitik gegen die Arbeiter:innen und die verarmten Massen geht.
Wir verteidigen auch die politische Unabhängigkeit, sowohl von den Universitätsbehörden als auch von diesen Parteien, um die Hände frei zu haben, um zu kämpfen und nicht zu allem zu schweigen. Die Entwicklung einer echten Studierendenbewegung setzt voraus, dass immer breitere Teile der Studierendenschaft zu Protagonist:innen werden, zu aktiven Subjekten, die sich aber nur auf ihre eigenen Kräfte stützen und sich denen entgegenstellen, die sich unserer Organisation widersetzen.
In der CIN gibt es auch peronistische Rektor:innen. Ihre politischen Führungen und die Universitätsleitungen tun alles, um diese Bewegung zu ersticken. Sie warten darauf, dass sich die Besetzungen abnutzen, sie setzen sich für die Demoralisierung der Bewegung ein. In der Tat haben die radikalen Universitätsleitungen der Psychologie an der UBA und die peronistischen Universitätsleitungen an der Nationalen Universität der Künste (UNA) begonnen, Repressalien gegen Dozierende anzudrohen, die sich an öffentlichen Vorlesungen beteiligen. Stattdessen wollen sie die Kurse online stattfinden lassen, um eine weitere Ausbreitung des Konflikts zu verhindern.
Es geht aber nicht nur um die Universitätsleitungen. Zu ihnen gehören auch mehrere Gewerkschaftsdachverbände, die keine Kampfpläne aufstellen, nicht zum Streik aufrufen und Dozierende und Nicht-Dozierende getrennt kämpfen lassen, obwohl die Kampfmaßnahmen starke Auswirkungen auf den Kampf um die Gehälter haben könnten. Ihre Studierendengruppen stehen auf der Seite der Fakultätsleitungen. Sie sind Teil der Frente Universitario (dt. „Universitäre Front“), in der alle Gewerkschaften der Universität zusammengeschlossen sind, die mit ihrem Veto die Politik des CIN begleiten, den Aufruf zu einer neuen, einheitlichen landesweiten Mobilisierung zu verzögern. Während die Studierendenbewegung mit ihrer eigenen Kraft von unten explodiert, versuchen sie nur, Illusionen in die Schacherei im Kongresses für den Haushalt 2025 zu säen.
Wir hingegen rufen ausgehend von den Fakultäten zur gemeinsamen Ablehnung des Budgets 2025 von Milei und dem IWF auf, das die gesamte Wirtschaft dazu verdonnert, die Auslandsschulden zu bezahlen, und wir fordern den dringenden Aufruf zu einem dritten landesweiten Bildungsmarsch, um für eine sofortige Erhöhung des Universitätsbudgets und der Gehälter von Dozierenden und Nicht-Dozierenden zu kämpfen. Wir wollen nicht, dass unsere Massenmobilisierungen wieder dazu benutzt werden, Druck für Verhandlungen auszuüben. Wir brauchen einen entschlossenen Kampf, um zu gewinnen.
Mit ihren Studierendengruppen (La Cámpora, Evita, Patria Grande und mehreren Gruppen, die mit den peronistischen Bürgermeister:innen und lokalen peronistischen Organisationen verbunden sind) führen sie je nach Standort unterschiedliche Politiken durch. Schauen wir uns das Beispiel der UBA an: Der Kirchnerismus (eine linke Variante des Peronismus, A.d.Ü.) führt derzeit vier Studierendenzentren (vergleichbar mit dem AStA, A.d.Ü.) an, und an diesen Orten verfolgen sie jeweils eine unterschiedliche Politik, die sich an das Kräfteverhältnis anpasst, das in jeder Fakultät zum Ausdruck kommt, wobei sie ihre Linie an das Gewicht anpassen, welches sowohl wir als oppositionelle Gruppen der Linken als auch der Aktivismus ausüben. An diesem Wochenende waren die kirchneristischen Gruppen zum Beispiel beteiligt, die universitätsübergreifende studentische Versammlung der Universität von Buenos Aires, der Nationalen Universität der Künste, der Nationalen Technikuniversität, der Fachhochschulen und der Universitäten der Vororte von Buenos Aires, die in Versammlungen abgestimmt worden war, zu boykottieren, um die ausgetretenen Pfade der FUBA (Föderation der Studierendenzentren der UBA) nicht zu verlassen, deren Führung sie sich mit der Franja Morada teilen.
In der Philosophischen Fakultät, der Sozialwissenschaftlichen Fakultät und der Mathematischen Fakultät der UBA nehmen sie an den Versammlungen teil, wo über die Besetzungen abgestimmt wird, nur in der Architektur-Fakultät (FADU) weigern sie sich systematisch, Versammlungen einzuberufen und ignorieren die Basissektoren Fadu En Lucha. Dieses Studierendenzentreum, das von der kirchneristischen Gruppe La Cámpora geführt wird, ist nur schwer von einem der Franja Morada. Es wurde von der Ex-Präsidentin Cristina Kirchner in einem ihrer letzten Briefe als Vorbild erwähnt. In der Rechtswissenschaft waren La Cámpora und die ebenfalls kirchneristische Front Patria Grande an der Einberufung einer Veranstaltung mit den Universitätsleitungen, der Franja Morada und Nuevo Derecho (von der sozialdemokratischen Sozialistischen Partei von Roy Cortinas) beteiligt, um die Spannungen zu entschärfen, während zum gleichen Zeitpunkt in den meisten Fakultäten des Landes zu Versammlungen aufgerufen wurde und sie der selbstorganisierten Versammlung, in der über die Besetzung der Fakultät abgestimmt wurde, den Rücken kehrten. An anderen Orten, wie der Universität La Matanza im Umkreis von Buenos Aires, musste eine Versammlung entgegen der peronistischen Führung des Studierendenzentrums organisiert werden, die die Maßnahme nicht nur boykottierte, sondern auch die Sicherheitskräfte des peronistischen Bürgermeisters unterstützte, die die Versammlung zu verhindern versuchten. Ungeachtet dessen besetzten die Studierenden zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Fakultät.
Diese Politik entspricht der allgemeinen Ausrichtung des Peronismus, der sich mehr auf die parteiinternen Schachereien für die nächsten Wahlen konzentriert, als sich den Angriffen zu stellen, die wir heute mit Milei erleben. So sehr, dass Maximo Kirchner nach dem Veto gegen das Rentengesetz sagte: „Es gibt keinen Grund, sich über dieses Veto zu ärgern, Genossen. Der derzeitige Präsident wurde mit 56 Prozent der Stimmen gewählt und das Veto ist eine verfassungsmäßige Macht“. Das Ziel des Peronismus ist es, alles zu institutionalisieren, was sich von unten bewegt. Deshalb versuchen sie in der Studierendenbewegung, Studierendenzentren zu errichten, die nur Dienstleistungszentren sind und die Instanzen der studentischen Selbstorganisation blockieren, da sie eine passive Basis anstreben, die nur über Aspekte der Verwaltung diskutiert. Das ist das Gegenteil davon, dass Studierende in diesem Kontext zu Subjekten werden.
In einem anderen Sinne unterscheiden wir uns von den anderen Gruppen der Linken, die sich an den Universitäten engagieren (Ya Basta – Nuevo Mas sowie Partido Obrero, MST, IS), die eine Politik gegen die Entwicklung von Räumen für die Selbstorganisation verfolgen. Das kam in verschiedenen Versammlungen zum Ausdruck, in denen sie gegen Initiativen gestimmt haben, die den selbstorganisierten Protagonismus der neuen Studierendengenerationen fördern wollen; sie bemühen sich, die fakultätsübergreifenden Versammlungen in eine Bühne für ihre Apparate zu verwandeln und nicht in einen Raum für neue Generationen von Aktivist:innen, die an verschiedenen Orten entstehen, um eine führende Rolle in der Koordination von unten – der Versammlungen, Basiskommissionen und Besetzungen – als Alternative zum CIN zu übernehmen.
Das haben wir an diesem Wochende bei der Studierendenversammlung des Großraum Buenos Aires gesehen, als Ya Basta den selbstorganisierten Studierenden das Mikrofon abgedreht hat, als sie das Wort ergriffen haben, und sie bis zu dem Punkt schikaniert hat, dass sie ihnen die Tonanlage weggenommen hat, als die selbstorganisierten Studierenden kamen, um ihre Anträge zu verlesen. Außerdem konzentrierten sich deren Redner:innen darauf, die Dozierenden und andere linke Gruppen anzugreifen, anstatt die Mitschuld des Peronismus und der Gewerkschaftsbürokratie an der Anpassungspolitik anzuprangern.
Der schlafende Riese erwacht
Heute beginnt die Studierendenbewegung nach vielen Jahren des Schlafs ihre ersten Schritte zu machen, und die Debatten über die verschiedenen Strategien, die in ihr vertreten sind, erhalten einen neuen Wert, weil sich etwas verändert. Einige versuchen, diesen Prozess zu stoppen, ihn in sich selbst zu schließen und unseren Kampf zu falschen Auswegen zu führen. Wir wollen unsererseits dazu beitragen, das Neue, das entsteht, maximal weiterzuentwickeln, damit es sich vervielfältigt. Es gibt ein Konzept, das Antonio Gramsci in seinen Gefängnisheften vorgeschlagen hat und das wir interessant finden, um es wieder aufzugreifen und zu vertiefen, nämlich den „Geist der Abspaltung“. Der italienische Revolutionär schrieb:
Der Geist der Abspaltung, das heißt der fortschreitende Erwerb des Bewusstseins der eigenen geschichtlichen Persönlichkeit, ein Geist der Abspaltung, der bestrebt sein muss, sich von der protagonistischen Klasse auf die potentiellen verbündeten Klassen auszuweiten.1
Auch wenn er sich auf die Arbeiter:innenklasse bezog und seine Formulierung daher auf ein anderes gesellschaftliches Subjekt, die Studierendenbewegung, übertragen werden muss, mit all den widersprüchlichen Merkmalen, die wir zuvor hervorgehoben haben, scheint uns der Gedanke des „fortschreitenden Erwerbs des Bewusstseins der eigenen geschichtlichen Persönlichkeit“ sehr repräsentativ für den Wandel zu sein, den wir erleben.
Diesen Geist zu verbreiten, würde in der Übersetzung unseres Konzepts bedeuten, von der Studierendenbewegung auf die Arbeiter:innenklasse zuzugehen, um sie anzustecken und das Neue zu verbreiten. Wir setzen darauf, dass die Studierendenbewegung eine Rolle spielt, damit neue Sektoren aus diesen alten Richtungen und Ideen „ausbrechen“. Wir Studierenden zünden eine Lunte, die, wenn sie weiter brennt, zur Flamme des Widerstands gegen all die bürokratischen Hindernisse werden kann, die wir benannt haben. In diesem Sinne können die sozialen Bindungen, die die Studierenden derzeit mit der Arbeiter:innenklasse verbinden, zusammen mit der Sympathie und Unterstützung, die der Kampf für die öffentliche Bildung hervorruft, zu einem starken Bündnis zwischen beiden Sektoren führen, um gemeinsam zu kämpfen.
Um diese Herausforderung zu meistern, ist es unerlässlich, die Selbstorganisation der Bewegung mit einem von unten entwickelten Kampfplan und Kampfprogramm voranzutreiben. Wir müssen weiterhin Versammlungen fördern und Delegiertengremien einrichten. Dies ist eine grundlegende Aufgabe, damit die Studierendenbewegung mit ihren eigenen Forderungen entstehen kann, wo es politisierte Subjekte gibt, die sich mit neuen Ideen an den Kämpfen beteiligen. Das heißt, dass aus der Studierendenschaft eine Bewegung hervorgehen muss, die nicht einfach nur eine Manövriermasse für die Universitätsleitungen und die Gewerkschaftsführungen sein darf, die bei Bedarf Konflikte schüren und dann dieselben sind, die den Feuerwehrschlauch öffnen, um das Feuer zu löschen, wenn es außer Kontrolle gerät. Die Entwicklung von Organen der Selbstorganisation würde eine Koordinierung mit verschiedenen Avantgarde-Sektoren ermöglichen, die, inspiriert von dem politischen Frühling, der sich mit dem Universitätskonflikt eröffnet hat, in den Kampf ziehen.
Die Gruppierungen, die wir als PTS-Jugend gemeinsam mit Unabhängigen aufbauen, haben seit Beginn des Konflikts auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Avantgarde-Sektoren, die an den Versammlungen teilnehmen, sich in Basiskommissionen organisieren, ihre Körper zur Unterstützung der Besetzungen einsetzen, direkten Zugang zur Basis der Fakultäten haben, mit Diskussionen in Kursen und Kommissionen, mit Delegiertengremien, Basismandaten, die in den Versammlungen vorgestellt werden, und mit Umfragen in den Kursen, wo „Beschwerdebücher“ (Cahiers de doléances) erstellt werden können, wie in der französischen Revolution, um die verschiedenen Forderungen zu artikulieren, die von unten kommen und deren Ziel es ist, das, was noch nicht ausgedrückt ist, zu verbreitern, anzuziehen und zu organisieren. Und gleichzeitig daran zu denken, dass alle diese Forderungen auch den Kampf gegen den Sparplan beinhalten, der vom gesamten politischen Spektrum der Parteien der Bosse geteilt wird. Nur wenn wir uns mit der Arbeiter:innenklasse zusammenschließen, werden wir die Prioritäten umkehren können, weil wir verstehen, dass dieser Sektor für die Erlangung all unserer Rechte und all unserer Forderungen unerlässlich ist. Alles, was unsere Organisation auf diesem Weg voranbringt, sind Erfahrungen, die wir sammeln, um den kommenden Angriffen der Milei-Regierung weiterhin zu begegnen. Lasst uns der Funke sein, der das Feuer entfacht.
Dieser Artikel erschien zuerst am 27. Oktober 2024 auf Spanisch bei Ideas de Izquierda.
Fußnoten
- 1. Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Band 2, Heft 3 § 49, „Vergangenheit und Gegenwart“, Argument-Verlag, Hamburg 1991, S. 374.