Rudolf Segall: «Die Gestapo hat mich erschossen»

«Die Gestapo hat mich erschossen»

Leben und Tod eines deutsch-jüdischen Widerstandskämpfers 

Während des Zweiten Weltkriegs gab es nicht nur Anpassung, sondern auch Widerstand. Der folgende Bericht schildert den deutsch-jüdischen Trotzkisten Martin Monat alias «Monte» alias «Viktor», der in Frankreich unter deutschen Soldaten wirkte. Nachdem er eine erste Füsilierung überlebt hatte, fiel er der Gestapo kurz vor der Räumung von Paris ein zweites Mal in die Hände und wurde im August 1944 umgebracht.

Rudolf Segall der Autor des — von lins gekürzten — Lebensberichtes war ein Freund und Genosse von Martin Monat in der linkszionistischen Jugendorganisation «Haschomer Hazair». Er erzählte über Montes Leben und Tod am 1. September in der Roten Fabrik im Rahmen der «Klunker»-Veranstaltung «Für uns haben andere geblutet».

Rudolf Segall

Unmittelbar nach dem missglückten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, einen Monat vor dem Einzug der Alliierten, kommt in Paris die letzte Nummer der illegalen Soldatenzeitung «Arbeiter und Soldat»1 heraus. Sie richtet sich an die deutschen Besatzungssoldaten: «Die Waffen, die man euch gegeben hat, um euch für die Interessen der Hitlerbande und der deutschen Kapitalisten zu schlagen, die müsst ihr gut in der Hand behalten, um diesen imperialistischen Krieg in den Krieg gegen den Kapitalismus, in den Bürgerkrieg zu verwandeln… Verbrüdert euch mit den russischen, amerikanischen und englischen Soldaten. Verbrüdert euch mit den russischen und französischen Gefangenen. Bildet geheime Zellen zu dritt und zu viert. Glaubt nicht, dass ihr isoliert seid…» 

«Arbeiter und Soldat»

Wer wagte es, unter den Augen der Nazi-Besatzung zum Widerstand aufzurufen? In dem gemeinsamen en Buch der Schweizer  RätekommunistUnnen Clara und Paul Thalmann «Revolution für die Freiheit» finden wir einen Bericht über Viktor2 – das ist das Pseudonym des Verfassers der Soldatenzeitung und seine illegale Arbeit in Paris, bis zu seinem Tod — in diesem Sommer 1944: «Viktor, der deutsch-jüdische Emigrant, weilte mit kurzen Unterbrechungen bis März 1944 bei uns. Wir haben zusammen Flugblätter in deutscher und französischer Sprache verfasst. Viktor blieb bei uns — er benutzte eifrig unsere umfangreiche Bibliothek — weil es ihm geglückt war, eine aktive Propaganda unter den deutschen Soldaten in Gang zu bringen.

Tatsächlich war es ihm gelungen, im Kriegshafen von Brest Verbindung mit den deutschen Soldaten aufzunehmen… Er legte mir Briefe der Soldaten vor, die Kriegsrmüdigkeit und Hitlerfeindschaft zum Ausdruck brachten. Einmal oder zweimal in der Woche unternahm Viktor die gefährliche Fahrt nach Brest; dort kam er nachts mit deutschen Soldaten zusammen, diskutierte mit ihnen, nahm Briefe und kurze Artikel in Empfang… Diese Literatur wurde bei uns vervielfältigt und als Soldatenzeitung herausgebracht. Wir brachten etwa vier Nummern unter dem Titel „Arbeiter und Soldat“ heraus. Den kleineren Teil verteilten wir in Paris, den Rest nahm Viktor jeweils auf seine Fahrten nach Brest mit. Die Soldatengruppe in Brest flog auf — eine Reihe der Soldaten wurde erschossen, ein anderer — nach Viktors Angaben etwa 15 — an die Ostfront abgeschoben.

Die Gestapo wusste von der Tätigkeit eines gewissen Viktor und suchte eifrig. Mitte Juli 44, während der Kämpfe in der Normandie, erreichte uns die Nachricht von Viktors Verhaftung. Schliesslich erfuhren wir, dass er und seine Freundin von der französischen Polizei verhaftet worden seien.»

Paul Thalmann wurde von einer Schwester des Rothschildhospitals angerufen und erfuhr, dass «Herr Viktor» einen Unfall hatte und seit acht Tagen im Spital liege. Trotz der grossen damit verbundenen Gefahren ging Paul ins Krankenhaus und wurde ins Krankenzimmer gelassen: «Mensch, Viktor, was ist los?» «Die Gestapo hat mich erschossen.» «Na, beruhige Dich, Du bist noch zu schwach.» «Nein Pavel, ich rede nicht irre… Ich habe einen Kopf- und einen Bauch-durchschuss, sie haben mich hier operiert, ich lag einige Tage bewusstlos. Jetzt geht es besser. Was gibt es Neues in der Welt?» «Neues? Deutsche Offiziere versuchten ein Attentat auf Hitler, leider ist es misslungen. Die alliierten Truppen nähern sich Paris. «Das will ich noch erleben.» 

Viktor erzählte von seiner Verhaftung am 13. Juli, wie sie ihn verprügelten, ihn der Gestapo übergaben: «Nach einigen Tagen holten sie mich aus dem Keller. Zwei Offiziere und zwei Soldaten setzten mich in ein Auto. Im Walde von Vincennes verliess das Auto die Fahrstrasse und schlug kleine Waldwege ein. Ich musste aussteigen. Ohne ein Wort zu sagen, hielt mir einer der Offiziere die Pistole an die Schläfe und drückte ab.» Das war am 22. Juli.

Ein französischer Polizist fand ihn im Walde und ein Polizeiauto soll ihn ins Hospital gebracht haben. Die Genossen versuchten, ihn herauszuholen, aber die Gestapo war schneller, man schleppte ihn am 1. August aus dem Krankenhaus fort. Noch einmal wird sein Aufenthaltsort bekannt: das deutsche Militärspital. Die Genossen überwachten alle Abtransporte vom Hospital — aber es wurde niemals mehr etwas von Viktor gehört… Am 25. August wurde Paris von den Deutschen geräumt. So starb Viktor im Sommer 1944 — im Widerstand gegen die Nazis wie viele andere auch.

«Von Abel bis Bellet»

Viktor, mit bürgerlichem Namen Martin Monat, ist nur 31 Jahre alt geworden. Aber bevor er sich Viktor nannte, war er in seinem Freundeskreis und auch mir unter dem Namen Monte bekannt. So will ich ihn weiter nennen. Ein gemeinsamer Freund, Paul Ehrlich, schrieb über ihn: «Monte stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater hatte einen kleinen Konfektionsladen für proletarische Kundschaft. Der Vater lebte in ständiger Angst vor Einbrechern, und Monte musste öfters im Laden schlafen, wobei ich ihm manchmal Gesellschaft leistete. Wir diskutierten dann die ganze Nacht. Seine Mutter starb früh. Seine Geschwister, seine grosse Menge von Cousins und Cousinen, alles Intellektuelle. Aber keiner von ihnen weiss etwas über Monte…»3

Wie ist es Monte in der Weimarer Republik ergangen, als die nationalistischen Kräfte erstarkten, und schliesslich die Weltkrise einsetzte? Paul Ehrlich schreibt: «Wir gingen von Sexta bis zum Abitur in dieselbe Klasse. Als 12-13jährige gingen wir zusammen durch die zionistischen Jugendbünde, zuletzt zum Haschomer Hazair, das war der linkeste von ihnen.

Wir wurden beide zusammen vom Abitur relegiert (wegen Aktivitäten gegen die Schulautoritäten) und machten zusammen das Abitur als Externe. Wir gingen zusammen zur landwirtschaftlichen Ausbildung (Hachscharah). Und schliesslich fingen wir beide an, Mathematik zu studieren. Unsere Bekanntschaft mit dem Marxismus machten wir beide im Haschomer Hazair. Ich muss jedoch hinzufügen, dass in unserer Freundschaft fast immer Monte der treibende Keil war.

1932 war es, glaube ich, dass ich ihm vorausging – um diese Zeit kamen wir zum ersten Mal in wirkliche Berührung mit der sozialistischen Bewegung in Deutschland. Aber während Monte mit der KPD zu sympathisieren begann, bekam ich schon Kontakt mit der trotzkistischen Opposition und versuchte, Monte zu überzeugen. Dieser hörte mir aufmerksam zu, antwortete jedoch nicht. Es war daher eine grosse Genugtuung für mich, als ich viel später von Montes Entwicklung hörte…»

Montes Bekanntschaft mit der sozialistischen Bewegung erwachte, als er neunzehn Jahre als [sic] war – bis zu Hitler blieb nur noch ein Jahr. Rebellisch gegen alle Autoritäten begann Monte, sich für den radikaleren Flügel zu interessieren. Aber die Teile der Arbeiterbewegung, die sich von SPD und KPD gelöst hatten, übten nur einen geringen Einfluss aus — sie konnten am Untergang nichts ändern. Hitlers Trend zur Gewalt, die im Dritten Reich, in der Judenverfolgung und -vernichtung zum Ausdruck kam, hatte eine «Nebenwirkung»: die zionistische Bewegung, ein eher unbedeutendes Rinnsal in der Weimarer Republik, wuchs ständig.

Paul Ehrlich berichtet: «Monte war 1933/34 in der Berliner Organisation und in der Bundesleitung aktiv.» Aus dieser Zeit stammt meine Freundschaft mit Monte. Wir waren uns 1933 im Haschomer Hazair begegnet. Wir gingen zusammen auf Fahrt immer auf der Hut, den Trupps der Hitlerjugend auszuweichen.

Unvergesslich bleibt mir der erste Mai 1933: Monte haue den Text zu einer «Revue» geschrieben – «Von Abel bis Bebel» – und diese grandiosen Szenen wurden im Treffpunkt des Haschomer Hazair im Osten Berlins aufgeführt. Der Treppenaufgang wurde bewacht, von unten führte nach dem dritten Stock eine Schnur, an deren Ende eine Glocke befestigt war – als Warnsignal… aber es verlief alles friedlich.

«Einer will Noten»

Aus dem Bericht meines Freundes: «Ich kann meine Erinnerung an Montes Persönlichkeit nur in Superlativen ausdrücken. Er war von einer ungewöhnlichen Intelligenz, immer originell und halte die Fähigkeit, die Probleme an der Wurzel zu fassen. Er war ein unersättlicher Leser und seine mit Büchern voll gestopfte Mappe war sprichwörtlich im Bund. Er schleppte mich immer wieder in die Berliner Städtische Bibliothek, um mir seine Neuentdeckungen zu zeigen. Er hatte eine wirklich geniale Begabung für Mathematik. Was wäre aus ihm geworden, wenn er am Leben geblieben wäre? Ein revolutionärer Führer von der ersten Garnitur? Oder vielleicht einer der ganz grossen Mathematiker?»

1933/34 waren wir in Berlin in der seltenen Lage, politische Beurteilungen Leo Trotzkis kennenzulernen, ohne der illegalen Organisation anzugehören. Die Zeitschrift des «Haschomer Hazair» wurde in Warschau in hebräischer Sprache gedruckt und fand in Deutschland Einlass. Unter den dort abgedruckten Artikeln befanden sich 1933 und 1934 Arbeiten von Trotzki über Hitlerdeutschland – und Monte sass mit uns zusammen und übersetzte sie für uns.4 Diese Artikel haben auf uns einen grossen Eindruck gemacht.

1934 ging ich mit Monte zusammen auf landwirtschaftliche Ausbildung nach Dänemark. Wir wurden auf einzelne Bauernhöfe verteilt. Von Monte ist ein Brief vom August 1934 erhalten: «Ich sage Euch, dass uns gerade die leichtesten, aber geisttötenden Tätigkeiten wie Rübenhacken schwerfallen, bei denen man etwa tagelang nur ein und dieselbe Bewegung zu machen hat. Nach solchen Arbeiten kann man abends nicht mehr viel geistige Arbeit leisten. Das ist schon ein schwerer Verlust, besonders für Menschen, die als Intellektuelle zur Arbeit übergegangen sind.»

Und eine andere Stelle: «Auf einer Zusammenkunft sagte uns R., dass er sich bestimmte Noten kaufen möchte, um auf dem Klavier, das uns bei einem Bauern zur Verfügung steht, ein Stück einzuüben. Die Kasse erklärte, dass das Geld nur noch reiche, um ein Buch zu kaufen, das wir in der Gemeinschaft herumgehen lassen wollten. Wir wissen nun, dass für R. die Beschäftigung mit der Musik fast ein Lebensbedürfnis ist. Da wir das Buch nicht unbedingt sofort haben mussten, kauften wir die Noten. Wenn die Auffassung richtig wäre, dass der Einzelne im Kollektiv nichts weiter als ein Bruch mit dem Nenner Kollektiv ist, hätten wir gesagt: „Einer will Noten, fünfzehn wollen ein Buch. Es ist klar, dass der Wille der fünfzehn dem Willen des Einzelnen vorgeht.“ Wir sehen keinen Widerspruch zwischen den objektiven Aufgaben des Kibbuz und den Bedürfnissen des einzelnen Trägers. Die Menschen sind nicht nur Glieder des Ganzen, sondern jeder ist eine Einheit für sich, mit persönlichen Bedürfnissen, die erfüllt werden müssen, wenn anders sie fähig sein sollen, die grossen objektiven Aufgaben des Kollektivs zu erfüllen.»5

Zurück zum Bericht seines Freundes: «Von Dänemark kam Monte nach Berlin zurück und war weiter in der Bewegung aktiv, bis es 1935 oder 1936 zu politischen Auseinandersetzungen kam. Man erzählte mir, dass die Bewegung alles tat, um Monte zu halten, jedoch ohne Erfolg. 

Monte begleitete seine Freundin nach Polen zurück (wo sie später im Ghetto umkam). Ein Husarenstückchen von Monte: Monte war staatenlos – die Nazis zwangen ihn dazu, seinen Namen zu wechseln, da sie die Ehe seiner Eltern nicht anerkannten — und die Staatenlosigkeit war ein besonders empfindlicher Status zur Nazizeit. Für seine Reise nach Polen brauchte er jedoch einen polnischen Pass. Den konnte er sich nur beschaffen, wenn er die Beherrschung der polnischen Sprache und Kultur nachweisen konnte. Monte war in Deutschland geboren und konnte kein Wort polnisch. Er brachte es jedoch fertig, in einem einzigen Monat polnisch zu lernen und alle Prüflingen mit Erfolg zu bestehen…»

Aus dieser Zeit wissen wir wenig von Monte: er verschwand endgültig von der Bildfläche des Haschomer Hazair. Der Widerstand der politischen Gruppen wurde schwächer, der Terror hatte die meisten Zellen handlungsunfähig gemacht oder sie zerstört.

Flucht nach Belgien

Ich habe Monte 1935 aus den Augen verloren, als ich von Dänemark aus direkt nach Palästina ging, während Monte in Berlin blieb und später nach Polen reiste. Er muss im fahre 1938 nach Deutschland zurückgekommen sein und profitierte dort und später von der Namensänderung, die ihm die Nazis aufgezwungen hatten: unter seinem neuen Namen lebte er weiter in Berlin und breitete, man könnte sagen generalstabsmässig, seine Flucht aus Deutschland vor. Aber sein Ziel war Frankreich, nicht Palästina. Das schilderte er in 13 Briefen an seinen Bruder in Palästina. 1939 kam der erste Brief aus Belgien — nach geglückter Flucht: «Der Übergang wurde schwieriger und die Permits waren verteilt. Da ich ausgewiesen war und mir nur kurze Frist blieb, musste ich unabhängig von meinen Wünschen (Frankreich) den Übergang wagen. Ich erledigte in grösster Ruhe alles „Geschäftliche“ und ging. Es ging auch, wie ihr seht, es war gefahrenvoll, romantisch, für einen alten Fahrtenhelden ein Hochgenuss und vor allem, es klappte. Von Berlin bin ich zuerst nach Hamburg geflogen (es musste sehr schnell gehen), aber der Flug war einfach himmlisch schön…»

Und gleich wieder der typische Monte: «In Deutschland habe ich noch einige nette Filme gesehen, war am Abend vor der Abfahrt in der Zauberflöte, habe im grössten Gedränge Zeit gefunden, 2×2 Stunden, um mir von einem feinen Musikstudenten didaktisch gute Vorträge über vorklassische und klassische Musik mit praktischen Beispielen am Grammophon halten zu lassen, und Gott und die Welt verflucht, weil wir zur nachklassischen Musik nicht mehr gekommen sind…»6

Die nächsten Briefe — mit dem Weltkrieg bricht der Briefwechsel mit Palästina ab —zeigen die Konzentration auf politische Themen. Aber erst 1932 zur sozialistischen Bewegung gekommen, fällt es Monte doch schwer, das Versäumte nachzuholen. So gesteht er, dass er von der Opposition nur die «Verratene Revolution» gelesen habe. Der Weg muss schnell gegangen sein. Ernest Mandel, der als Zwanzigjähriger «während des Krieges gegen die Nazi-Besatzer Widerstand geleistet hatte, wiederholt verhaftet, in Zuchthäuser und Lager des „Dritten Reiches“ deportiert wurde» (Jean Améry)7, lernte ihn in Belgien kennen. Er schreibt über ihn: «Seit dem Wiederaufbau der belgischen Organisation, im August/September 1940, war Monte bei uns. Er war von Anfang an Mitglied der Leitung (er hatte in Deutschland noch französisch gelernt, seine letzten Briefe sind alle auf französisch). Ich sah ihn nur bei Sitzungen des ZK, und ich weiss über die Einzelheiten seiner Aktivitäten nicht Bescheid. Die einzige persönliche Erinnerung, die ich habe, besteht in meiner ersten Reise nach Paris, die ich mit ihm zusammen im November oder Dezember 1943 machte, ungefähr zwei Monate vor der Europäischen Konferenz. Das ist der einzige Zeitpunkt, wo ich längere Zeit in Viktors Gesellschaft gewesen bin. Seine Kühnheit machte auf mich einen grossen Eindruck; dadurch gelang es ihm, sich aus gefährlichen Situationen zu retten. Er war kein jüdischer Typ, und er trat den deutschen Soldaten gegenüber unbefangen auf. Er war nach Aussehen und Mentalität sehr deutsch. Er hatte bereits eine lange Praxis in der Illegalität.»8

«Die deutsche Arbeit»

Wir wissen, dass im provisorischen europäischen Sekretariat der 4. Internationale beschlossen wurde, dass die «deutsche Arbeit» in Frankreich, das heisst bei den deutschen Soldaten, mit der Mitwirkung von Monte vordringliche Aufgabe wäre. Im Mai 1943 übersiedelte Monte nach Paris und brachte dort zusammen mit der Gruppe von Paul Thalmann im Juli 1943 das erste — hektografierte — Bulletin «Arbeiter und Soldat» heraus. Dieses Bulletin von zehn Seiten, das aktuelle Probleme in einfacher Form behandelt, war nicht eigentlich für die Agitation gedacht. Diese Aufgabe erfüllten gleichzeitig erscheinende Flugblätter, die für eine grössere Verbreitung bestimmt waren. Die beiden weiteren Nummern von «Arbeiter und Soldat» hatten geringeren Umfang: In Brest, wo die militärische Konzentration besonders stark war, gingen französische Genossen an die deutschen Soldaten heran. Auf Initiative von zwei bei der Post arbeitenden Genossen — der eine, Robert Cruau, wurde später von den Gendarmen ermordet — bildete sich eine Diskussionsgruppe von ungefähr fünfzehn deutschen Soldaten, die dem Nazismus feindlich gesinnt und kriegsmüde waren. Sie nahmen an der Verteilung der Flugblätter teil und brachten ihr eigenes Blatt heraus. Sie beschafften Passierscheine und bereiteten das Horten von Waffen für den «Ernstfall» vor. Monte überwachte diese Arbeit. Ein aus Hamburg stammender Soldat hat die Gruppe verraten. Am 6. Oktober begannen die Verhaftungen.

Monte musste nach Belgien fliehen, kam aber, wie Ernest Mandel berichtet hat, mit ihm zusammen im November/Dezember 1943 nach Frankreich zurück. Hier fand Anfang Februar 1944 die erste Konferenz der europäischen Sektionen der 4. Internationale statt. Es nahmen an ihr Genossen der französischen, belgischen, deutschen, griechischen und spanischen Sektion teil. Monte vertrat die deutsche Gruppe.9

Im Mai 1944 erschien «Arbeiter und Soldat» wieder, gedruckt. Die letzte Nummer, an der Monte mitarbeitete, war die vom Juni 1944. Der Appell an die Soldaten «Bei euch liegt die Entscheidung» trägt ganz seine Handschrift. Nach der Feststellung, dass «überall das deutsche Proletariat seine eigenen Machtorgane, die Arbeiter- und Soldatenräte errichten muss», wird davor gewarnt, «als Einzelner, unorganisiert den Kampf auf sich zu nehmen. So wird man nur wehrloses Opfer des brutalsten Terrors. In dieser Lage kann der Aufstand einer Garnison, in einer Stadt oder in einer Provinz, oder eines Flottenteils der Funke sein, der die soziale Explosion zur Auslösung bringt… Der Tag der Matrosen und Werftarbeiter von Kiel wird wiederkommen!»9

 

Anmerkungen

1) «Arbeiter und Soldat», illegale Soldatenzeitung, die von Juli 1943 bis Juli 1944 in Paris veröffentlicht wurde. Nachgedruckt in La Verité 1940/44, EDI 1978, S. 183-195.

2) Thalmann, Clara und Paul, Revolution für die Freiheit, Hamburg 1977, 2. Aufl., S. 334-342.

3) Brief Paul Ehrlichs an Jakob Moneta vom 5.7.1970. Unveröffentlicht.

4) Trotzki, Deutsche Perspektiven, in Haschomer Hazair Nr. 13, Oktober 1933.

5) Monte, Ein Brief von der Hachscharah, in Hechaluz, 1934.

6) Brief Montes an seinen Bruder Karl Widelin, April 1939. Unveröffentlicht.

7) Améry, Jean, Ergebnis eines Gespräches mit Ernst Mandel, in: Frankfurter Rundschau vorn 3.6.1972.

8) Rodolphe Prager, Unterhaltung mit Ernest Mandel am 12.11.1977. Unveröffentlicht.

9) Les Congrès de la Quatrierne Internationale, Vol.2, S. 113, 116-118, 286-287.

Quelle: Bresche, n° 89-11, 1989, S. 31-34