Nizza den 13/1/70
Lieber Jankel,
In aller Eile auf deine Anfrage. Ich vermute dass es sich beim „Arbeiter und Soldat“ um jene Zeitung handelt die wir damals mit Victor (Paul Wendelin) in der rue Friant herausgegeben haben. Leider besitze ich davon kein Exemplar, sowas liess sich ja in der turbulenten Zeit nicht aufbewahren.
Hingegen kann ich dir natürlich über die Geschichte der Herstellung, der Verteilung usw. genau berichten da das Blatt ja in unserer Wohnung hergestellt wurde. (Es muss bestimmt in der Pariser Nationalbibliothek zu finden sein.)
Den Ursprung fand das Blatt als Paul Wendelin, ein Berliner Trotzkist in Paris bei uns auftauchte. Wir hatten ja bereits unsere eigene politische Gruppe (lntern. Kommunisten). Er logierte bei uns und trotz heftiger Diskussionen arbeiteten wir zusammen, obwohl ich mit unserer Gruppe deswegen Schwierigkeiten bekam. Victor befasste sich energisch mit der Propaganda unter den deutschen Soldaten, weniger in Paris als vor allem in Brest, da dort 1) eine aktive trotzkistische Gruppe sass, 2) die dort stationierten Truppen monatelang am Ort blieben. Es gelang ihm mit Soldaten in Verbindung zu kommen, sogar eine Art Soldatenzelle zu bilden, wo er wöchentlich mit ihnen diskutierte, von ihnen verfasste Soldatenbriefe nach Paris brachte.
Bei uns wurden sie hektographiert und unsere Gruppe übernahm die Verteilung in Paris und Vororten. Dir brauch ich nicht zu erklären was das an Gefahren beinhaltete. Erinnere ich mich recht so verfielfältigten [sic] wir zwischen 300 u. 500 Stück. An der Verteilung nahmen Klara und ich, Spanier, Deutsche‚ Italiener und
Franzosen teil, ohne Verluste. Wir steckten das in Briefkäten [sic], Hausgänge, auf Fenstersimsen deutscher Soldatenheime, in deutsche Lastwagen, die unbewacht waren. Das Blatt erschien in französisch und deutsch. Es gab etwa 6-7 Nummern.
Leitartikel schrieben abwechselnd Victor oder ich. Wir hatten einen Kompromiss arrangiert: nichts grundsätzliches über Russland, alles gegen Hitler, Kritik der Allierten [sic], aber erst an zweiter Stelle.
Victor wurde kurz vor dem Einmarsch der Allierten [sic] verkauftet. Ausgehend von der trotzk. Gruppe in Brest gelang es der Gestapo alles bis Paris aufzurollen. Verhaftet wurden u.a. Marcel Hic, damals Leiter der IV., Rolland Filliatre und andere. Victor wurde im Wald von Vincennes zusammen geschossen, war aber
nicht tot. Erhielt eines Tages Anruf aus Rothschildspital ein gewisser Victor verlange meinen Besuch. Nach Beratung ging ich, promenierte erst in den Gängen dann fragte ich eine Schwester (Judenstern) nach ihm. Sie führte mich zu ihm. Mit Kopf- und Brustverband lag er allein in einem Zimmer. Er erzählte mir seine Geschichte. Nun ging es darum ihn aus dem Spital rauszukriegen; denn im Wald von Vincennes hatte ihn ein franz. Polizist aufgelesen, der wohl einen Rapport verfasst hatte. Victor sagte mir: „Paul, holt ihr mich hier raus, zu unseren fr- Trotzkisten hab ich wenig Vertrauen.“ Ich sagte weiss deine Org. dass du hier bist? Nein, sagte er, rointiere [?] sie. Er gab mir zwei Adressen. Die eine war die von Pablos (Pablisten heute) Frau, die misstrauisch war da sie mich nicht kannte; erst nachdem ich ihr Namen der führenden Leute nannte, taute sie auf und erklärte: “Wir wissen dass Victor dort ist, wir haben einen Arztgenossen im Spital und bereiten alles zur Flucht vor.
Ich radelte nochmals ins Spital u. orientierte ihn. Fragte ihn: „Hast du inzwischen Besuch erhalten?“ Er bejahte. Wer? „ja, flüsterte er: „ein Arzt und ein Zivilist. Der Arzt untersuchte mich und hinter seinem Rücken öffnete der Zivilist die Hand worin er ein Metroticket hatte worauf mein richtiger Name stand und hob fragend den Kopf. Ich nickte.“ Das gefiel mir nicht. Er verlangte nochmals dass unsere Gruppe ihn holen solle. Ich versprach. Wir bereiteten seine Entführung vor. Klara war schwer krank und wie schon einigemale wollten wir eine Ambulanz anfordern und sie ins Spital bringen. Wir hatten einen Revolver, damit hätten wir den Ambulanzfahrer gezwungen ins Rothschildsp. zu fahren und hätten ihn raus geholt. Wir waren vier Mann. In Gif s/Yvette hatten wir ein Versteck für ihn. um sicher zu sein, sandte ich am Freitag nochmals einen Genossen (Pierre Lanneret‚ damals noch Trotzkist aber in unserer Gruppe) hin; zu spät. Eine viertelstunde nach meinem letzten Besuch hatte ihn die Gestapo abgeholt.
Das ist en gros die Geschichte der Zeitung. Sie wird ausführlicher in meinem Buch behandelt, das ich im Frühjahr fertig zu stellen hoffe. Es schildert: 1) Meine pol. Herkunft, die 3 Russlandreisen: 1922, 1924, dann 3 Jahre Westuni in Moskau. 2) Spanischer Bürgerkrieg, 3) Paris im Weltkrieg. Falls du einen Verleger kennst der sich interessiert, bitte. War mit dem Ehropaverlag in Frankfurt in Verbindung; der inzwischen Verstorbene Leiter Riepel war sehr interessiert. Jetzt weiss ich nicht.
Ich hoffe diese Angaben genügen dir, falls du etwas schreiben willst.
Morgen fahren wir für 4 Wochen in die Schweiz. Falls du wichtiges zu schreiben hast, Adresse: Max Thalmann, 24, St. Johannsvorstadt Basel c/o.
Ich will gerne hoffen dass es dir und Dahlia gut geht, und wir uns vielleicht mal auf der Serena treffen könnenn, wenn möglich mit ganzer Familie.
Cordialmente, auch von Klara:
Pavel
NB. Nach Rücksprache mit Klara glaube ich war das Blatt nur in deutscher Sprache erschienen. Zudem, Hic und Filliatre die zur trotzkistischen Gruppe in Paris gehörten hatten direkt mit „Arbeiter und Soldat“ nichts zu tun‚ weder mit Herstellung noch Verteilung, ihre Verhaftung – oder umgekehrt die von Victor – erfolgte natürlich weil sie miteinander in Verbindung standen.
Die fr. Trotzkisten haben gar nichts unternommen; dafür haben sie später behauptet mein Besuch hätte die Gespapo auf seine Spur gebracht. Dabei war von anfang an klar dass der Flic einen Rapport an sein Kommissariat richtete, und von dort ging es dann an die deutschen Behörden
Betreffs der Soldatenzelle in Brest: nach ungefähr zwei Monaten ging die Sache hoch: ein Teil er Soldaten – man sprach von 7 – wurde erschossen – ungefähr 10 an die Ostfront spediert.
Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, im IISG in Amsterdam.
(Jankel war ein Pseudonym von Jakob Moneta, 1914-2012)