Brief 9 – Teil III

(Ohne Datum – vermutlich Ende Juli 1939.)

Ich will wieder auf deutsch fortfahren. Hoffentlich kannst Du, Carlo, obiges lesen und verstehen. Es sind gewiß noch viele Fehler darin und besonders in der Anwendung der Redensarten, idioms, dem schwierigsten in jeder Sprache, bin ich gewiß noch unsicher. Ich freue mich aber dennoch, weil ich schon fast gänzlich ohne Lexikon ausgekommen bin. Wenn Ihr kein Lexikon habt, will ich in Zukunft die schwierigen Wörter übersetzen, damit der Inhalt nicht ganz verloren geht. Nun zu diesem, wenn Du darauf eingehen willst, Carlo, beachte, daß durch den Ausdruck manches nicht eindeutig daherkommt und noch oberflächlicher aussieht als es schon ist. * Z.B. bin ich eher für die Einheitsfront wie Du, glaube sie aber nicht im Gegensatz zur Beibehaltung seines Programms ebensowenig wie eine geschickte Aussenpolitik im Widerspruch dazu stehen muss, zumal ja der Verzicht doch nur mit Mißtrauen betrachtet wird. Ich sage das nur, um unnütze Klaubereien zu vermeiden.

Ja, Kinder, nun ist es Abend. Der Nachmittag ist ‚verschrieben‘. Heute bleibe ich allein. Dann, Carlo, denke ich manchmal an unseren historischen Abschiedstag.

Wir leben ja in einer historischen Zeit, hat der Kriminalbeamte gesagt, weisst Du noch? Da sassen wir also in der kleinen Polizeistube und ärgerten uns, daß uns die Weltgeschichte schon wieder unsere privaten Luftschlösser erklären und zusammenstürzen wollte. [unlesbar] mutlos sind wir gerade nicht geworden. Und wenn ich überdenke, was davon kam, für Dich und mich, dann wundere ich mich ein wenig und schüttele mein Haupt philosophisch. Was in so einem Moment menschlichen Lebens alles verborgen liegt? Mehr, bedeutend mehr als in der Blüte und dem Keim, vor dem der andächtige Beschauer steht, die Grösse Gottes (oder der Natur) bewundernd. Ein Moment im Menschenleben ist gewiß ein Wunder und der Gott der Menschen ein größerer als der der Pflanzen.

Jetzt, Bruder, will ich noch ein wenig Radio hören. Hilversum gibt ‚Madame Butterfly‘ mit Platten von [unlesbar] Seele. Seid mir beide recht herzlich gegrüßt, der Hans in der Mitte und zum Geburtstag nochmal Alles Alles Gute von Euerem

Monte

P.S. Wenn Ihr den Brief entziffert habt, hängt Euch den großen Keilschriftorden auf die Brust.

* Ich habe nur Informationen vom Leben der ‚Dritten‘ und ihren Werken. Von der Opposition habe ich auch ‚Revolution verraten‘ gelesen.

Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, Martin Monat,
im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), Amsterdam