(Ohne Datum – vermutlich Ende Mai 1939. Übersetzung aus dem Französischen.)
Meine Lieben,
zu Beginn, Carlo, danke ich Dir für Deinen Brief, vor allem für die recht amüsante Beschreibung der Aufstände in Palästina. Ich wäre auch sehr glücklich zu erfahren, welche Antwort die Juden Deiner Ansicht nach auf das Weißbuch [MacDonald White Paper vom 23. Mai 1939] geben sollten. Im Allgemeinen war das Wesentliche des letzteren, dass man den jüdischen Staat, den man nicht verwirklicht hat, genommen hat; dass man den Arabern die Regierungsbeteiligung auf sehr [unlesbar] Weise versprochen hat; dass man für ’nach zehn Jahren‘ die Bildung eines unabhängigen arabischen Staates angekündigt hat. Aber dieses Versprechen wurde mit so vielen ‚falls‘ und ‚wenn‘ und ‚als‘ gegeben, dass niemand an seine Realisierung glauben kann. Wahrscheinlich zeigt das Beispiel des jüdischen Staates der ganzen Welt ausreichend, welches Vertrauen man den Engländern und im Besonderen ihren politischen Plänen entgegenbringen kann.
Außerdem sind zehn Jahre in diesen bewegten Zeiten genug – mehr als genug – um die Welt von den Füßen bis zum Kopf zu verändern. Es bleibt die Frage nach der Alija. Aber es wird klar sein, daß trotz der unterschiedlichen Hinweise zu diesem Thema im Weißbuch die Möglichkeit einer illegalen Alija existieren wird – abgesehen von den 75 000, die gemäß den Bestimmungen des Weißbuchs einwandern. Deshalb fragen wir uns: Protestieren? Und wogegen? Die vergangenen Proteste, hatten sie wahre Grundlagen, gibt es eine Aussicht, die Engländer zu beeinflussen, dass sie auf ihre gegenwärtige Mittelmeerpolitik verzichten, auf ihren Versuch, die Araber in Palästina zu versöhnen, nicht die Gunst der arabischen Staaten in der Umgebung von Palästina zu verlieren? Sind die Juden noch eine Macht, wie sie es 1914 waren oder ist diese Macht heute stark [unlesbar] die die Ohnmacht der jüdischen Gesellschaft verkörpern, die die jüdische Frage wieder zu einer philanthropischen und nicht nationalen machen?
Von daher scheinen mir die Proteste keine wirkliche politische Bedeutung zu haben, sie scheinen mir der Ausdruck einer ohnmächtigen Wut zu sein. Eine innere Notwendigkeit, die lange in mir zurückgedrängt war durch die Devise von [unlesbar], die Massen dazu zu bringen, Aufstände zu machen, auch Bomben zu werfen, wie es das Nachbarvolk seit mehreren Jahren macht. Dennoch erscheinen uns jene Demonstrationen ein bisschen lächerlicher, weil sie im Grunde Demonstrationen mit Vorbehalten sind, man vermeidet das Zusammentreffen mit der Regierungspolizei und Deinem Brief zufolge verursacht man materielle Schäden – bei den Juden.
Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, Martin Monat
Im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), Amsterdam