Berlin, 14.II.[1939]
Lieber Carlo!
Dein vom 28.I. datierter Brief ist mir erst heute, am 14.II., also nach 2 ½ Wochen zu Ohren gekommen. Es ist ein höchst zeitraubendes System, seine Briefe durch dritte Hand schicken zu lassen, denn diese Aasbande verschlampt und schickt mir schließlich, wenn die wöchentliche Handtascheninventur gerade stattfindet, den Brief doch noch, aber vorsichtshalber ohne auf den Umschlag die eigene Adresse zu malen. So wusste ich bis vor kurzem, d.h. bis Deine heutige Mitteilung kam, nichts davon, daß Dein letzter Brief über Hüffmann gegangen war. Um in Zukunft solche vielleicht Geld sparenden aber gewiß zeitraubenden Umwege zu vermeiden, um das Frachtguttempo Deiner Briefe etwas zu erhöhen, hat sich der Finanzausschuß entschlossen, diesem und allen späteren Briefen an Dich sowie denen an Lotte das Rückporto beizulegen, zumal das mir weniger ausmacht als je zuvor. Denn auch ich erlaube mir, beunruhigt zu sein, wenn Ihr beide nicht schreibt, die Ihr ja ebenfalls nicht im sichersten Klima lebt.
Ich nehme an, daß Ihr meinen letzten Brief erhalten habt. Er war vor ca 14 Tagen geschrieben. Nun warte ich auf Deinen ausführlichen Bericht von der Reise (der interessiert hier viele), vom Lande und von Lotte. Ich habe mich kolossal darüber gefreut, daß Deine Briefe entgegen meinen Befürchtungen nichts von irgendwelchen Depressionen aufwiesen. Und ich glaube auch, daß Du weder beschönigt noch wegfrisiert hast, denn Du schreibst ja auch von den negativen Dingen, nur daß man deutlich fühlt, wie wenig sie Dir anhaben. Wenn Du von der [unlesbar] arbeit schreibst und meinst, sie wäre ‚a very hard job‘ so erzählst Du ja sofort von den interessanten Arbeiten und ich hoffe, daß Du auch in der Wirklichkeit über solche Schwierigkeiten zur Tagesordnung übergehen kannst. Ich kann denn doch nicht umhin, ein bisschen stolz zu sein auf meinen Bruder und ich denke, an das Motto eines Buches von Rolland das mich sehr angesprochen hat: To strive, to seek, not to find, and not to yield. Ich freue mich, daß man zwischen den Zeilen Deines Briefes fühlen kann, wie Du auch in den unerwartet veränderten Bedingungen den Kampf nicht aufgegeben hast. Und vielleicht – ich will nicht prophezeien und zu früh frohlocken, – [unlesbar] sehr sehr danach aussieht – wird es sich doch ermöglichen lassen daß Du in Deinem guten alten Handwerk, weiterarbeiten kannst. Nun eine erfreuliche Mitteilung. Walter ist bereits seit einer Woche in England und schreibt von dort ganz vergnüglich. Seine Abfahrt werde ich nie vergessen, denn ich musste aus – wegen Zeitmangel nicht hier anzugebenden Gründen – mit dem Lexikon, das ich ihm schenken wollte, 2 Stunden Stadtbahn fahren, aus fahrenden Zügen springen und ähnliche kleine Scherze. Jedenfalls habe ich noch das Buch, das ich selbst im Moment nicht brauche, an den kleinen Mann bringen können, und die Abenteuer werde ich Dir vielleicht ein andermal schildern.
Daß ich Dir nicht auf Vorschuß für Deine Impressions einen Bericht über Stimmung und Entwicklung hier seit Deiner Abfahrt – erinnerst Du Dich noch, daß Du mir zuletzt den Rasierpinsel gegeben hast und den Apparat vergessen? – gebe, wird Dich nicht wundern und wirst Du mir nicht verübeln. Ich freue mich übrigens sehr über Deine englischen Briefe. Sprichst Du dort englisch, daß es so gut klappt? Ich hoffe, Dir bald auf französisch antworten zu können. Ab und zu schreibe ich außer Lektüre auch etwas [unlesbar]. Über meine ‚Emigrationspläne‘ schrieb ich schon in dem letzten Brief. Das Datum hängt von dem Tempo der Erledigungen ab. Ich muß mir ja bei den Behörden die verschiedenen Papiere besorgen. Es kann zwei Wochen dauern, etwas früher, auch einige 2-3 Wochen später. Das läßt sich [unlesbar] nicht übersehen. Jedenfalls bitte ich Dich um eine baldige Antwort. Ich möchte noch ein mal hier Post von Euch haben. Schlimmstenfalls wird sie mir nachgeschickt. Der [unlesbar]sprochene ausführliche Bericht – er soll ja das Entgelt für nur ein Lebenszeichen sein – wird in Bälde erwartet.
Du wirst auch bald Deinem Geburtsschein haben. Den Beschluß des Amtsgerichts habe ich schon erhalten. Nur der ländlich umständliche Standesbeamte in Treptow macht noch Schwierigkeiten. Sonst aber geht alles in Ordnung. Ja, ja!
Dein Monte
P.S. Gut, daß ich gestern Abend nicht mehr zu Post gelaufen bin. Heute früh kam Dein Geburtsschein. Es lebe das Standesamt Treptow! Ich beabsichtige Dir die Photokopien noch einiger wichtiger Papiere zu schicken.
Frau Blumenfeld grüßt mich eben und läßt Dich grüßen. Sie [unlesbar] eines kranken [unlesbar] und ihre Tochter eines gesunden Knaben entbunden.
Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, Martin Monat
Im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), Amsterdam