Brief 3

Zionistische Ortsgruppe Dresden
Sekretariat: Gerichtsstr. 27

25.1.1939

Lieber Carlo!

Die Nachricht von Deiner Ankunft – ich erhielt sie über den Bund schon vor Deinem Brief – hat mich wirklich gefreut, noch mehr, daß Dir die ‚juniliche‘ Sonne behagt, noch mehr daß Du gefressen hast und am meisten, daß Du guter Laune bist. Daß Dich heilige Gefühle überkommen würden, habe ich bei Deiner protestantischen Gemütsart sowieso nicht erwartet. Aber freue Dich Jerusalem oder 50 km nahe bei Jerusalem! Meine Hauptfreude ist, daß Du jetzt nicht mehr dort bist, wo Du lange warst und damit den Kreis meiner ohnehin schon komplizierten Gedankengänge unnötigerweise noch komplizierst. Und da wir schon von Freude sprechen, kann ich Dir die Mitteilung machen, daß Paris zwar noch zögert und dauern kann, daß ich aber in den letzten beiden Wochen des Schreibens nicht müßig war und für die Wartezeit mir ein Permit nach London besorgt habe, das ich mit 95% Sicherheit (die übrigen 5% sind Herzielle, Darmkolik und Blattern) in 2-3 Wochen erhalten werde. Die augenblickliche Situation lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Das Tempo meiner Abreise hängt von dem Tempo der sonst zur Abreise nötigen Vorbereitungen ab. Sonnabend, Sonntag ungefähr werde ich das, was nur noch eine Zeitfrage ist, übersehen können.

Dies, Carlo, zur Erläuterung des Standes der Lage der Situation. Vous comprendrez monsieur. Und da ich jetzt bei französisch bin, will ich Dir sagen, daß ich meine freie Zeit krass und wacker dafür ausnütze, denn es hängt vieles praktisch davon ab. Ich habe es einfach nötig, aber französisch lernen macht mir seit jetzt viel Spaß und erztotsicher mehr als polnisch. Ich lege Dir Walters Brief bei. Es ist eine ‚Philippische Rede‘ gegen den Bilderraub und ich will meine ‚Apologie‘ gleich beifügen. Das Bild ist tatsächlich geraubt worden, aber [unleserlich] geraubt und zwar von meiner Tante Salitze. Schick doch einfach für Walter noch Eines, sonst werde ich ihm meines geben. Ich habe ja noch andere.

Du wirst vor meiner Abfahrt noch die gewünschten Bilder von hier bekommen. Der Geburtsschein läuft, ich warte, ohne zu beschleunigen, da ich wirklich zeitgefesselt bin. Schlimmstenfallls wird Dir la mère den Schein schicken, wenn der Bescheid erst nach meiner Abfahrt kommen sollte. Ich konnte auch damals pressieren, weil ich die Eile mit meiner eigenen, vom Schein abhängigen Auswanderung mit produziert habe.

Walter ist für England dringlich vorgemerkt. Da jetzt aber die Kindereinwanderung generell gestoppt ist, kann man wenig tun. Ich kann einzig und allein dafür zu sorgen, daß er bei der Wiedereröffnung der Promenade unter den ersten [unlesbar – Seite abgeschnitten]

meistens Studium war, ist heute Handwerk. Man spricht dort von in Menschen [unlesbar] getauchten Händen und auch meine Versicherungen, daß solches – wie ich brüderlicherseits unterrichtet bin – zum Handwerk gehört, bleiben fruchtlos. Es wird dort viel gejammert, die Neigung der schiefen Ebene, auf der sie sitzen, ist auch zu groß, und eben jener Neigungswinkel bestimmt ja die Ausmaße von Freud und Leid. Für Herbert soll ich dem Hechaluz eine Charakteristik anfertigen. Ich werde sie natürlich zu Beschleunigung seiner Sache gut werden lassen. Im übrigen klammert sich die Tante immer noch an Strohhalme, die sie irrtümlicherweise für Drahtseile hält.

Nun, Carlo, habe ich genug ’shop getalkt‘. Du verzeihst mir bestimmt, daß ich [unleserlich] auch keine ausführlichen Berichte schicke und Du wirst mir dennoch einen netten Bericht hierherschicken, von Deiner [unleserlich] gedankt kurzen Odyssee. Zum Schluss aber wünsche ich Dir noch einmal ein kräftiges [Begriff auf Hebräisch: Glückwunsch]

Dein Monte

[Zwischentext auf dem Kopf, nicht lesbar, teilweise auf Hebräisch]

Liebe Lotte!

Du wirst nicht böse sein, daß ich Dich so kurz ‚abfertige‘. Aber Du wirst gewiß meine dürren und dürftigen Zeilen aus [unlesbar] lesen und ich hoffe, daß es Dir trotz meiner Schrift – meiner angeborenen Chiffre – gelingen wird. Du darfst auch nicht einmal böse sein, denn Du hast mir schwarz auf weiß das Versprechen gegeben, Dich nur mit einer Karte als Zeichen für Leben und Wohlbefinden zu begnügen. Ausserdem hast Du selbst seit einiger Zeit nichts mehr von Dir hören lassen und unsere etwas vulkanausbruchartige Korrespondenz damit unterbrochen. Vielleicht hat Dich die Nachricht, daß ich jetzt in diesen Zeiten gerade studieren will chokiert. Aber lass‘ Dich nicht aus der Fassung bringen, kleines Mädchen. Vertraue darauf, daß es aus Gründen, die man über 2000 km nicht ahnen kann, gut wäre und warte bis ich Dir ausführlich dazu schreiben kann. Von hier aus werdet Ihr voraussichtlich nur noch ein oder zweimal Post bekommen. Was sagst Du im übrigen zu Carlo? Wie hat sich das Kind gemacht? Ein Bruder ist Dir ja dreimal in den Schoß gefallen, aber der zweite betet fromm, daß ihm – jetzt zumindest – ein Gleiches nicht widerfahren möge. Dich und Hans grüßt herzlichst

Dein Monte

[Zusatz einer anderen Person:]

Liebe Lotte und Karl! Da Marlene zufällig hier ist will ich die Gelegenheit ausnützen [unlesbar]

[Seitlicher Zussatz von Monte:]

Lieber Carlo, setze Dich bitte sofort mit Katja per Post [unlesbar] in Verbindung und schreibe mir im nächsten Brief die Adresse ihrer Mutter in Paris. [unlesbar] sagte, sie hätte Einfluß. Ich brauche sie sehr wahrscheinlich zur ersten Hilfe [unlesbar] in Paris. Es ist mir sehr wichtig. Katja soll mich auch bei [unlesbar] avisieren.

Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, Martin Monat
Im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), Amsterdam