Arbeitende und Studierende gemeinsam!

15.11.2011, Lesezeit 5 Min.
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Die ägyptische Revolution geht in die nächste Runde. Diesmal entwickelt sie sich nicht auf dem Tahrir-Platz, sondern in den Betrieben und auch an den Universitäten. An der berühmten American University in Kairo solidarisieren sich Studierende mit den streikenden Angestellten. Auch wir von RIO und der FT-CI forderten und praktizierten[1] während der vergangenen Bildungsstreiks den Schulterschuss mit Arbeitskämpfen. Warum nur die Verbindung mit den Kämpfen der ArbeiterInnen dem Bildungsstreik zum Sieg verhelfen kann, wollen wir an dieser Stelle erklären.

Die absolute Trennung zwischen den Studierenden und den Arbeitenden existiert ohnehin nicht, denn viele Studierende müssen nebenbei arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren. Von daher ist es auch falsch, unter dem Begriff „ArbeiterInnenklasse“ ausschließlich IndustriearbeiterInnen am Fließband zu vermuten, denn Studierende mit Nebenjobs sind genauso Lohnabhängige wie sie. Hier wächst ein neuer Teil der ArbeiterInnenklasse heran, der im Vergleich zu den IndustriearbeiterInnen sehr gut ausgebildet ist. Gleichzeitig verbreiten sich aber auch neue Formen der Ausbeutung, in denen nicht die Stechuhr in der Fabrik den Arbeitstag diktiert, sondern unter anderem bei einer Scheinselbstständigkeit solche ehemals äußeren Zwänge verinnerlicht werden.

Das Studium garantiert nicht mehr den Eintritt in die gesellschaftliche Elite – Studierende können nicht automatisch zur zukünftigen KapitalistInnenklasse gezählt werden. Dieser Trend verstärkt sich durch das Bologna-System, in dem längst nicht alle ein Masterstudium absolvieren können, da auch hier eine soziale Selektion stattfindet.

Die Universitäten dürfen nicht als unabhängiger Raum fern der kapitalistischen Verwertungslogik verstanden werden. Die kapitalistische Wirtschaft verallgemeinert ihr Profit-Primat in allen Teilen unseres Lebens, auch auf Forschung und Lehre an den Universitäten. Die Bologna-Reformen artikulieren diesen Einschnitt am Deutlichsten. Unter dem Zwang zur Konkurrenzfähigkeit dürfen Privatunternehmen via „finanzieller Hilfen“ ihre Interessen in unsere Lehrpläne brennen. Gleichzeitig werden universitäre Dienstleistungen von den Mensabeschäftigten bis zu Dozierenden zu Teilzeit- und Niedriglohn-Arbeiten. Die Qualität der Arbeitsbedingungen der Uni-Beschäftigten bestimmt auch die Qualität unseres Studiums.

Dieses Jahr drängt sich das Problem der Zulassungsbeschränkung besonders auf, da es in vielen Bundesländern doppelte Abiturjahrgänge gibt. Anstatt einer Ausweitung ihres Angebots, reagieren die Universitäten mit einer starken Erhöhung ihrer zulässigen Eingangsnoten, dem Numerus Clausus. Diese Zulassungsbeschränkung spiegelt die allgegenwärtige Klassenteilung: Wer studieren darf und wer nicht, entscheidet in letzter Instanz der Lohnzettel der Eltern.

Wer sich entgegen des „Finanzmarktkapitalismus“ einen keynsianistischen Interventionsstaat „zurück-reformieren“ will, der irrt. Hier werden die frühen Jahrzehnte der BRD nostalgisch verklärt und die besonderen historischen Bedingungen der Nachkriegszeit außer Acht gelassen. Der wirtschaftliche Nachkriegsboom der BRD war insbesondere durch die massiven Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs möglich. Die so entstehenden riesigen Profite vergrößerten den Spielraum des Staates und der KapitalistInnen enorm. Die Bildungsexpanision, der massive Ausbau und die Neugründungen von Universitäten, stellte eine Investition des Staates in seinerzeit günstige Verwertungsbedingungen des Kapitals dar. Dabei handelte der Staat nicht „aufgeklärt“ sondern als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Engels). Denn wo die verschiedenen Unternehmen sich in Konkurrenz zueinander befinden, muss der Staat sich um den Erhalt des Systems an sich kümmern.

Solche Maßnahmen sind heute nicht zu wiederholen. Die damaligen finanziellen Spielräume sind seit der Wirtschaftskrise und der massiven Staatsverschuldung durch fehlende Steuereinnahmen sowie große Konjunkturpakete für Banken und Betriebe zerstört. Dem Staat und den Unternehmen werden in Zukunft die finanziellen Mittel fehlen, um Interessen zu entwickeln, die sich mit den berechtigten Forderungen der Studierenden und ArbeiterInnen überschneiden.

Während diese Zeilen geschrieben werden, kämpfen chilenische SchülerInnen und Studierende gegen die Bildungsprivatisierungen der ehemaligen Pinochet-Diktatur. Nach Wochen des Kampfes explodierte die Situation. Den plötzlichen Wandel brachte die Solidarität von 10.000 ArbeiterInnen durch einen 48-Stündigen Generalstreik des Gewerkschaftsverbandes CUT.

Der Blick ins Ausland zeigt die Perspektive unseres Bildungsstreiks.

Die Lernbedingungen der Jugend werden ebenso von freier Marktwirtschaft und Konkurrenzprinzip bestimmt – denn letztentlich sind die (allermeisten) Studierenden von heute nur die Arbeitenden von morgen. Deswegen müssen Arbeitende und Studierende ihre gemeinsamen Interessen erkennen und auch gemeinsam handeln.

Die Studierenden können von solcher Solidarität nur profitieren. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess können Streiks der lohnabhängigen Beschäftigten dem Kapital Schläge zufügen, welche bei Hörsaal-Besetzungen undenkbar sind. Wo es hunderte Studierende braucht, um eine einzelne Universität zu besetzen, genügen schon wenige LokführerInnen, um den Großteil des Verkehrs lahm zu legen.

Aber die Proteste der Studierenden sind nicht irrelevant. Ihre oftmals viel radikaleren Ansätze und Protestformen können frischen Wind in die ArbeiterInnenbewegung bringen und ihr zu einer stärkeren Politisierung verhelfen, um sich nicht auf die Forderung nach höheren Löhnen zu beschränken.

Damit der Bildungsstreik gelingt, müssen SchülerInnen und Studierende ihren Kampf in die Betriebe tragen. Deswegen werden wir uns auch im Bildungsstreik 2011 für praktische Solidarität zwischen ArbeiterInnen, SchülerInnen und Studierenden einsetzen.

Fußnoten

[1] 2009 streikten an der FU-Berlin Studierende und Mensa-Beschäftigte gemeinsam. Seitdem hält RIO unter den Beschäftigten eine kontinuierliche Betriebsarbeit aufrecht.

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