Arash Dosthossein vor seinem YPG-YPJ-Prozess: „Der deutsche Staat hat keine Legitimität, über unsere Kämpfe zu urteilen“

25.06.2019, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Wir veröffentlichen die persönliche Pressemitteilung Arash Dosthosseins wegen seines Prozesses über das Tragen von YPG-YPJ-Fahnen, aufgrund angeblicher Verbote nach dem Vereinsgesetz, bei einer Soli-Aktion im Büro der SPD Bayern in München. Der Prozess findet am Mitwoch, den 3.7.2019, um 8:30 Uhr, im Münchener Landgericht in Sitzungssaal A22 EG (Änderungen des Saals sind vor Ort möglich) statt.

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Kurds living in Germany gather and wave flags on the square in front of the Old Oprea in Frankfurt, Germany, Saturday, March 18, 2017. Thousands celebrate the Newroz spring festival and protest against Turkish President Erdogan. (AP Photo/Michael Probst)

Bild: Kurdische Fahnen auf einer Demo in Frankfurt/Main

Ich werde nicht vor Gericht treten, um mich selbst zu verteidigen; sondern ich will ein Ideal verteidigen. Die deutsche, die bayerische Justiz klagt mich an, aber das lasse ich nicht zu, denn ich betrachte mich nicht als Kriminellen. Dieses Gericht und dieses System haben nicht die Legitimität, um Gerechtigkeit zu vertreten.

Aber warum?

Weil mein Verbrechen ist, eine bestimmte Flagge gehalten zu haben. Eine grüne oder gelbe Flagge mit einem sozialistischen roten Stern in der Mitte, bei verschiedenen Demonstrationen oder auf Fotos in sozialen Medien. Denn diese Flagge ist die der kurdischen Widerstandsbewegung gegen ISIS. Im Münchner Büro der SPD Bayern wurde ich festgenommen, während einer solidarischen Aktion mit dem Widerstand gegen die Besatzung Afrins durch das türkische Militär.

Aber diese Erklärung ist unvollständig und dieser Fall nur die Spitze des Eisbergs. Denn das meiste ist aufgrund der neoliberalen Politik der europäischen Regierungen, vor allem Deutschlands, das die Liga der imperialistischen EU anführt, sowie mit Hilfe der Mainstream-Medien für die Bürger*innen der EU unsichtbar geworden.

Was ich meine

Im März 1989 wurden, nur nach offiziellen Zahlen aus den Medien, mehr als 5.000 kurdische Zivilist*innen mit deutschen Chemiewaffen massakriert, die von Saddam Husseins Regime in Halabja benutzt wurden. Ans deutsche Kapital gingen 625 Millionen Dollar. In den Gebieten, die mit chemischen Bomben übersät wurden, können die Menschen nicht mehr leben. Heute noch, nach 30 Jahren, gebären in Halabja viele kurdische Mütter Kinder mit Behinderungen.

Mitte der 90er Jahre wurden kurdische Dörfer durch die deutschen Bomben und Waffen vom türkische Regime unter Tansu Çiller bombardiert. Und das ist nur ein kleiner Teil der Bilanz der deutschen Regierungen des vergangenen Jahrhunderts. Denn es setzte die Tradition der imperialistischen Nazi-Politik Deutschlands fort.

Es hört nicht auf mit den Verbrechen Deutschlands gegen das kurdische Regime. Deutschland unterstützte und unterstützt alle möglichen reaktionären Regimes in der ganzen Welt: mit Waffenexporten wie der G3-Gewehre von Heckler & Koch an General Pinochets Regime in Chile, mit der HK33 ans Junta-Regime in Ecuador, mit Polizei-Ausbildungen und Exporten von Unterdrückungsgeräten an das Regime von General as-Sisi in Ägypten 2012, oder auch mit der Lieferung von Siemens-Technologie zum Abhören an den Geheimdienst des iranischen Mullah-Regimes.

Vielleicht wart ihr, Richter*in, Staatsanwalt*in, oder Journalist*in, die ihr am 3.7.2019 bei meinem Prozess sein werdet, zum Zeitpunkt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im College oder auf einer Party, habt eure Jugendzeit genossen und wisst deshalb nichts darüber. Aber in der Gegenwart greift das faschistische und bonapartistische Regime der Türkei mit deutschen Panzern Rojava an und hatte die Stadt Afrin besetzte, mit dem Leopard T2. Oder Saudi-Arabien, das reaktionärste Regime der Welt: Es massakriert mit deutschen Waffen jemenitische Kinder – und ist gleichzeitig einer der besten Wirtschaftspartner Deutschlands.

Heute verkauft Siemens Abhörtechnologie an Sicherheitsdienste in Ländern wie dem Iran, Türkei, Irak, Ägypten und Pakistan, wo linke und antifaschistische Aktivist*innen dank dieser Technologie identifiziert, festgenommen, gefoltert und getötet werden. Zum Beispiel vier kurdische Aktivisten, die im letzten Jahr im Iran nach mehreren Jahren Folter und Inhaftierung hingerichtet wurden.

Was ich sagen will

Ich habe nicht vor, eine vollständige Bilanz des deutschen Regimes zu schreiben, wie es Schulter an Schulter mit den reaktionärsten Regimen der Welt stand und steht. Stattdessen möchte ich, dass Richter*innen, Staatsanwält*innen, Journalist*innen und alle deutschen Freund*innen oder Feind*innen diese Tatsachen klar und deutlich von mir hören:

1. Alles an Wohlstand und Schönheit Deutschlands ist Ergebnis der Zerstörung und Armut der Länder, aus denen wir kommen. Aus diesem Grund haben die Gesetze eines Landes, das sich von unserem Blut wie ein Vampir ernährt, keine Legitimität, um über Gerechtigkeit zu sprechen oder mir zu sagen, was ist verboten und was ist nicht.

2. Bezugnehmend auf den vorhergehenden Punkt, hat das deutsche Regime nicht die geringste Legitimität, um festzustellen, ob die Gruppen, die gegen Reaktion, Faschismus, Frauenfeindlichkeit und für die Arbeiter*innenklasse in unseren Ländern kämpfen, verboten sind oder nicht. Bevor Sie, Europäer*innen, in der historischen Mentalität des Kolonialismus zu uns sagen, was verboten ist und was nicht, wäre es besser, über die Legitimität des eigenen Staats nachzudenken. Ein Staat, in dem der Verfassungsschutz Partner des NSU war, während der ehemalige Verfassungsschutz-Chef mit den höchsten Entscheidungsträger*innen in der Regierung verkehrt.

3. Unter Bezugnahme auf die beiden vorhergehenden Punkte: Jeder Prozess, jede Strafe nach den Gesetzen des deutschen Regimes über die politischen Aktivitäten von Anhänger*innen, Unterstützer*innen oder Sympathisant*innen der Widerstandsbewegung in unserer Region hat nicht die geringste Legitimität für uns.

4. Der letzte Punkt, in Bezug auf die drei vorhergehenden Punkte, ist: Die Geschichte der Welt ist die Geschichte des Klassenkampfs und in diesem Kampf gibt es nur zwei Fronten, die der Unterdrückten und die der Unterdrückenden. Dies ist die Hauptsache, die den Freund und den Feind voneinander trennt, und jede*r muss sich entscheiden, in welcher Front sie*er sein will. Es ist eine Entscheidung, die keine dritte Option hat. Entweder man steht Schulter an Schulter mit den Unterdrückten oder mit den Unterdrückenden.

Das Regime des Iran, der Türkei und Deutschlands, in denen ich gelebt habe, haben für mich einen Inhalt mit nur drei verschiedenen Gesichtern: Das erste Gesicht spricht persisch, das zweite türkisch und das dritte deutsch! Und nicht mehr! Deshalb habe ich meine Front vor schon langer Zeit gewählt. Trotz alledem!

Was diese Erklärung bedeutet: Niemand in Deutschland darf über unsere Art urteilen, wie wir gegen eure reaktionären und faschistischen Regime kämpfen, die besten wirtschaftlichen und politischen Partner Deutschlands. Machen Sie, was Sie wollen, denn für uns hat es keine Legitimität!

Arash Dosthossein

Bixi berkhodane YPG und YPJ!
Weg mit dem Verbot der PKK!

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