Antwort auf die FSI OSI: Wir verurteilen die Gleichsetzung von Palästina-Solidarität mit Antisemitismus, an der FU Berlin und überall!
Am 24. Juni erreichte uns in Vorbereitung auf die 6. ordentliche Sitzung des 39. Studierendenparlaments am 30. Juni 2021 ein Resolutionsentwurf der FSI OSI (Fachschaftsinitiative Otto-Suhr-Institut) “zur Verurteilung des Antisemitismus auf der 'Revolutionären 1. Mai'-Demonstration sowie weiterer antisemitischer Agitationen im Mai in Berlin & zur Erklärung der Solidarität mit dem jüdischen Staat Israel und zur Stärkung antisemitismuskritischer Bildung an der FU Berlin”.
In besagtem Resolutionsentwurf und seiner Begründung, die sich über sechs Seiten strecken, wird unseren Organisationen (Young Struggle, Palästina Spricht, Bloque Latinoamericano, Migrantifa Berlin, Brot und Rosen/Klasse Gegen Klasse) die Agitation mit antisemitischen Parolen vorgeworfen, sowie die Unterdrückung Palästinas geleugnet und eine Rückendeckung für die kolonialistische Politik des israelischen Staates betrieben, die wir in den letzten Monaten genauso von der Springerpresse und dem bürgerlichen Parteienspektrum gesehen haben.
Die diesjährige Revolutionäre 1. Mai Demonstration wurde mitorganisiert und angeführt von einem internationalistischen und größtenteils migrantischen Bündnis, welche es trotz der Pandemie und Polizeigewalt schaffte, über 30 Tausend Menschen auf die Straße zu bringen. Dies stellt eine fortschrittliche Entwicklung in der deutschen Linken dar, weil Migrant:innen und People of Colour oft von einer “Linken” abgeschreckt sind, die sich nicht viel für Rassismus und insbesondere nationale Unterdrückung, wie sie Palästina erfährt, interessiert – oder gar diese Unterdrückung leugnet und mit offenem (v.a. auch antimuslimischem) Rassismus auftritt.
Die FSI OSI reiht sich mit diesem Papier in eine Querfront von Politiker:innen aus der AfD, Union, SPD, Grüne, Teilen der Linkspartei, DGB-Führung sowie diverser antideutscher “Linker” ein. Diese Querfront versucht den rassistischen status quo in Palästina aufrecht zu erhalten und die internationale Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung mithilfe der Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus zu kriminalisieren.
Seit den Angriffen auf Palästinenser:innen in der Al-Aqsa Moschee während dem Ramadan und der Räumung des palästinensischen Viertels Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem und der damit entfachten neuen Stufe des Konflikts zwischen Palästina und dem israelischen Staat stellten sich verschiedenste Kräfte gegen das Recht der Unterdrückten auf Selbstverteidigung und gaben der Siedlungspolitik Israels politische und ideologische Rückendeckung im vermeintlichen “Kampf gegen Antisemitismus”. Der israelische Staat wirft Bomben auf Krankenhäuser, zivile Wohnhäuser und Gebäude, in denen internationale Medien sitzen und bedauernswerte deutsche „Linke“ wie die FSI OSI zeigen sich bedingungslos solidarisch mit den Kriegsverbrechen und dem herrschenden Apartheidssystem.
Der deutsche Staat nutzt die Gunst der Lage, um seine rassistische Abschottungspolitik zu verstärken: Die GroKo hat im Bundestag vereinbart, das Staatsangehörigkeitsrecht zu verändern. Künftig soll nach „Verurteilung wegen [..] antisemitischer Straftaten” eine mögliche Einbürgerung verweigert werden. Dazu gehöre, das “Existenzrecht des Staates Israel” abzuerkennen. Das, sowie das angedrohte Verbot der palästinensischen Linkspartei PFLP und anderer palästinensischer Organisationen und Symboliken sind zwei unmittelbare Konsequenzen der Proteste im vergangenen Mai. In Mitten dieses rassistischen Klimas, Hetze gegen migrantische, jüdische und linke Organisationen zu betreiben, zeugt von blankem Chauvinismus.
Global regt sich Widerstand gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und es zeigten sich mächtige Gesten der Solidarität: von Black Lives Matter in den USA über alle Fridays For Future Landesgruppen (außer der deutschen), bis hin zu den streikenden Arbeiter:innen in Südafrika und Italien.
Die FSI OSI scheint all dies nicht zu interessieren. Vielmehr stützt sie sich auf fragwürdige und offen reaktionäre Positionen und Analysen, um dem deutschen Staat bei der Verurteilung und Kriminalisierung migrantischer, antiimperialistischer und antikolonialistischer Kräfte zu helfen. Weitergehend scheint ihr ein dezidiertes Machtverständnis in ihrer Analyse zu fehlen, das Gruppen nicht anhand homogenisierter nationaler Identitäten (Israel vs. Palästina), sondern den zugrundeliegenden materiellen Verhältnissen (andauernde Besatzung, Entrechtung und Landnahme) und politischem Bewusstsein (die, die Besatzung unterstützen und durchsetzen und die, die dagegen Kämpfen) begreift. Da wir nicht auf alle inhaltlichen und analytischen Fehler sowie Lächerlichkeiten in ihrem ellenlangen Aufsatz eingehen können, möchten wir uns auf die zentralen Punkte beschränken.
- Die Argumentation der FSI OSI stützt sich auf die Definition des “israelbezogenen Antisemitismus”, der Antizionismus als eine Form des Antisemitismus betrachtet. Als Quellen werden hier keine linken Antisemitismusforscher:innen verwendet, sondern dubiose Zeitungen wie die antideutsche Jungle World, die regelmäßig wegen antimuslimischer und antipalästinensischer Hetze auffällt, die Bundeszentrale für Politische Bildung – eine Institution des deutschen Staates – sowie unter anderem das JFDA, eine Organisation, deren Antisemitismusdefinition (https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-antisemitism) von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen ist. Anscheinend ignoriert die FSI OSI gekonnt, dass an dieser Definition massive Kritik existiert, wie es die “Jerusalem Declaration on Antisemitism” (https://jerusalemdeclaration.org/) äußert, die ihrerseits von Hunderten jüdischen und nicht jüdischen Akademiker:innen unterschrieben wurde. Selbst ehemalige Autoren der IHRA Definition stellen sich mittlerweile gegen ihre Verwendung zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. (https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/dec/13/antisemitism-executive-order-trump-chilling-effect)
- Die Argumentation der Antragsteller:innen bedient sich antisemitischen Mustern, wenn jüdischen Antizionist:innen und Linken ihre eigene Handlungsfähigkeit abgesprochen wird und diese als “jüdische Kronzeug*innen (sic)” und nicht als selbstständige politische Subjekte betrachtet werden. Von ihnen wird erwartet,nach den deutschen Parametern “gute” Juden:Jüdinnen zu sein und en par mit der deutschen Staatsräson das zionistische Projekt gutzuheißen. Nicht nur werden unsere Genoss:innen vom Jüdischen Antifaschistischen Bund hier lediglich als ein Anhängsel dargestellt, sondern auch renommierte Akademiker:innen wie der Historiker Ilan Pappé, der aufgezeigt hat, warum es korrekt ist, im Falle Israels von einem Apartheidstaat zu reden. Die Tradition von jüdischen Linken, die sich gegen die Besatzung Palästinas stellen, den Militärdienst verweigern und eine Verbrüderung mit dem palästinensischen Volk suchen, ist groß. Zu oft wird jüdischen Aktivist:innen und Akademiker:innen wie Noam Chomsky, Ilan Pappé oder Judith Butler dafür vorgeworfen, “Tokens” für Israelhasser:innen zu sein. Nicht jüdische Menschen erwarten ein politisch homogenes, zionistisches Judentum, was nicht existiert und noch nie existiert hat und Menschen mit politischen Einstellungen, die dieser Erwartungshaltung widersprechen werden diffamiert, ausgeschlossen und mit Sprechverboten versehen. Durch diese Homogenisierung stellt sich die FSI OSI nicht zuletzt hinter eine Regierungspolitik, die von Rechtsradikalen getragen wird.
- Die militärische Eskalation ging nicht von der Hamas aus, sondern vom zionistischen Staat, der seit 1948 mit brutaler Gewalt eine systematische Vertreibung, Entrechtung und Ermordung der palästinensischen Bevölkerung vorantreibt. Der jetzige Auslöser waren nicht die Raketen der Hamas, sondern die Räumung eines Viertels (Sheikh Jarrah) und der Angriff auf die religiöse Freiheit einer unterdrückten Bevölkerung, durchgeführt von Repressionskräften im Dienste einer rechtsradikalen Regierung. Obwohl die FSI OSI ihr eigenes Argument später entkräftet und von den Ereignissen am 4. Mai spricht, bezeichnet sie diese lediglich als “gewalttätige Auseinandersetzungen”, die militärische Selbstverteidigung wird Israel zugesprochen. Jedoch scheint hier gekonnt ignoriert zu werden, was die tatsächlichen humanen Opfer dieses Krieges sind: während 13 israelische Personen starben, kamen mindestens 256 Palästinenser:innen ums Leben, dazu kommen noch Tausende Verletzte, sei es durch die IDF oder durch wütende Mobs, die Lynchmorde tätigten. Nicht zuletzt wurden viele Tausende Palästinenser:innen durch die israelische Bombardierung obdachlos und die ohnehin prekäre Situation der Menschen vor Ort wurde durch die gezielte Zerstörung von wichtiger Infrastruktur weiter verschlimmert. Ein Blick auf diese Fakten genügt, um zu erkennen, dass Israel keine Selbstverteidigung betreibt, sondern es sich um einen asymmetrischen Konflikt und damit ein Unterdrückungsverhältnis handelt. Die gewaltvollen Siedlungspolitiken dienen nicht der Selbstverteidigung, sondern der Erweiterung des israelischen Hoheitsgebietes. Das Menschen, die unterdrückt werden in anderen Kontexten ebenso Unterdrücker sein können, scheint für die FSI OSI ein Widerspruch zu sein.
Wenn es der FSI OSI tatsächlich um den Kampf gegen Antisemitismus geht, den wir als Linke und Antifaschist:innen bedingungslos führen und unterstützen – warum kamen keine Resolutionsentwürfe zur Verurteilung des Antisemitismus, der alltäglich durch den deutschen Staat und seine Behörden, den Erben des Faschismus, durchgesetzt wird? Warum keine Anträge zur Verurteilung des rechten Terrors in Halle und Hanau? Warum kein Wort zum Antisemitismus von Hans-Georg Maaßen und seine Rückendeckung durch die Union, oder zu Franco A. und dem Antisemitismus in der Bundeswehr? Uns geht es hier nicht um einen “Whataboutism”, sondern darum, aufzuzeigen, dass die FSI OSI sich wohl herzlich wenig um Antisemitismus schert, wenn er nicht vermeintlich von Linken, Migrant:innen und Juden:Jüdinnen ausgeht. Ihr Fokus auf linke und antizionistische Kräfte und deren vermeintlichen Antisemitismus ist nichts als ein Feigenblatt für den echten Feind der Unterdrückten, seien sie jüdisch, muslimisch oder sonst einer Konfession angehörig: Die Faschist:innen und der Staat, der sie deckt.
Obwohl die demokratische Legitimation des Stupas bei einer so niedrigen Wahlbeteiligung von ca. acht Prozent und einer bis ins ungewisse verschobenen Wahl fragwürdig ist, bleibt das Studierendenparlament die demokratische Repräsentation der über 37 Tausend Studierenden der FU Berlin. Wir rufen alle Parlamentarier:innen des Stupas der FU Berlin dazu auf, sich dieser Resolution entgegenzustellen. Denn: Was für ein Ziel verfolgt eine solche Resolution? Sie verschafft prozionistischen Kräften an der FU eine Legitimität, um antizionistische oder zionismuskritische Positionen an der Uni anzugreifen und mundtot zu machen.
Die meisten der unterschreibenden Gruppen, obgleich sie wörtlich in diesem Resolutionsentwurf genannt wurden, genießen durch das Format der Sitzungen nicht das grundlegende demokratische Recht, sich gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. Wir wollen dem Studierendenparlament daher vorschlagen, eine Anhörung mit linken jüdischen, israelischen und palästinensischen Aktivist:innen sowie linken Wissenschaftler:innen, die die “Jerusalem Declaration on Antisemitism” unterzeichnet haben, zu organisieren, in der in Tiefe über die Probleme und Widersprüche in Israel und Palästina, sowie über den Kampf und die notwendige politische Bildung gegen Antisemitismus und Rassismus in Deutschland diskutiert werden kann.
Unterzeichner:innen: Young Struggle Berlin, Palästina Spricht Berlin, Bloque Latinoamericano, Migrantifa Berlin, Brot und Rosen/Klasse Gegen Klasse, Die Linke. SDS FU Berlin