Antwort auf den Tagesspiegel: Darum bringen wir Palästinasolidarität in Gewerkschaften und Unis
Am 3. November organisierten wir als Waffen der Kritik zusammen mit Jüdische Stimme und Palästina Spricht vor der Freien Universität in Berlin eine Demo aus Solidarität mit den Menschen in Gaza. Dabei trugen einige Demonstrierende Gewerkschaftswesten, woraufhin der DGB sich von der Aktion distanzierte. Wir veröffentlichen hier dazu die Antwort unseres Genossen Andrés auf eine Presseanfrage des Tagesspiegels.
Frage 1: Auf dem Videomaterial ist zu erkennen, dass Sie und eine weitere Ordnerin gelbe Westen mit dem Logo des Deutschen Gewerkschaftsbundes tragen. Der DGB hat sich daraufhin öffentlich von dem Anliegen der Versammlung distanziert. Wie kamen Sie auf die Idee, mit den „DGB-Westen“ als Ordner aufzutreten, ohne das offenbar im Voraus mit dem DGB abzusprechen?
Als langjähriges ver.di-Mitglied und aktiver Gewerkschafter halte ich mich an die Tradition der internationalen Arbeiter:innenbewegung, sich gegen Krieg und Genozid, gegen Militarismus und Imperialismus zu wehren. Weltweit bewegen sich heute Millionen Menschen, um ein Ende der israelischen Bombardements, der Bodenoffensive und der Vertreibung von Hunderttausenden zu fordern, darunter auch viele jüdische Aktivist:innen und vor allem viele Gewerkschafter:innen. In England, Spanien, den USA und anderen Orten haben Gewerkschaften Waffen und Kriegsgerät für Israel blockiert, Gewerkschaftssektionen wie bei Starbucks haben sich gegen den Genozid ausgesprochen. Hunderte jüdische Intellektuelle haben sich in öffentlichen Statements gegen den laufenden Genozid an der palästinensischen Bevölkerung gestellt. Insofern ist es für mich selbstverständlich, nicht nur als Einzelperson, sondern gerade als Gewerkschafter für diese Tradition einzustehen. Das ist auch innergewerkschaftlich mein demokratisches Recht und bedarf keiner offiziellen Erlaubnis.
Im Übrigen gibt es auch in Deutschland gewerkschaftliche Stimmen, die diese Position lautstark vertreten. So hat auch ein Mitglied des Vorstands der ver.di-Betriebsgruppe der Freien Universität Berlin bei unserer Kundgebung am 3. November gesprochen und aus einer gewerkschaftlichen Perspektive die Notwendigkeit betont, sich für ein Ende des Genozids einzusetzen. Und gerade erst gestern (15. November) hat die junge GEW Berlin ein öffentliches Statement herausgegeben, das sich gegen die Unterdrückung palästinasolidarischer Positionen und gegen antimuslimischen Rassismus wehrt, während es zugleich antisemitische Vorfälle und Angriffe verurteilt und sich klar von der Hamas abgrenzt. Das Statement macht eine Unterscheidung zwischen den Angriffen der Hamas auf Zivilist:innen einerseits und dem legitimen Anliegen des palästinensischen Volkes andererseits. Dies ist auch die Haltung, die die Veranstalter:innen der Kundgebung – die Hochschulgruppe Waffen der Kritik und andere Unterstützer:innen – und alle Reden der Kundgebung selbst vertreten haben. Dazu gehörte auch eine jüdische Aktivistin der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost sowie viele jüdische Studierende der Freien Universität.
Frage 2 : Vereinzelt berichten FU-Studierende mit jüdischem Glauben, dass sie sich an Ihrer Universität aktuell nicht sicher fühlen. Können Sie das nachvollziehen? Wie kommentieren Sie dies?
Ich stehe selbstverständlich und konsequent gegen Antisemitismus und bedauere es, falls jüdische Mitstudierende sich an ihrer Universität nicht mehr sicher fühlen. In Deutschland sehen wir einen immer stärker werdende Antisemitismus, vor allem bei rechtsextremen Kräften, der AfD oder auch den rechtskonservativen Parteien, wie im Falle der Aiwanger-Affäre. Auch nach dem 7. Oktober kam es gehäuft zu antisemitischen Anschlägen auf Synagogen. Um den wachsenen Antisemitismus etwas entgegen zu setzten, bauen wir zusammen mit jüdischen Kommiliton:innen und Kolleg:innen eine Bewegung gegen den Krieg auf. Es braucht an der FU Berlin einen gemeinsamen Kampf der Studierenden und Beschäftigten gegen Antisemitismus.
200 jüdische Intellektuelle in Deutschland haben in einem offenen Brief ihre Angst vor der rassistischen und repressiven Politik der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Wir haben gesehen, dass jüdische Gruppen in Berlin in den letzten Wochen Demonstrationen gegen den Krieg mit Zehntausenden Teilnehmer:innen organisiert haben. Jüdische Aktivist:innen wurden von der Polizei bedroht, festgenommen und zensiert. Udi Raz, die auf der Kundgebung sprach, wurde wegen ihrer Kritik an der israelischen Regierung gefeuert. Bei uns an der FU berichten jüdische Studierende aus dem Ausland, dass sie Angst haben wegen ihres vermeintlichen „Antisemitismus“, also ihrer Kritik am Staat Israel, abgeschoben zu werden. All das macht natürlich Angst!
Es ist jedoch genau die deutsche Staatsräson, die diejenigen kritischen jüdischen Stimmen unterdrückt (auch an unserer Hochschule!), die sich vom Staat Israel abgrenzen wollen und sagen „nicht in meinem Namen!“. Viele staatliche Akteure setzen die Kritik am Staat Israel und ein Ende des Kolonialregimes in Palästina mit Antisemitismus gleich. Damit tun sie dem Kampf gegen den realen Antisemitismus keinen Gefallen. Auf unserer Kundgebung an der FU Berlin demonstrierten wir als deutsche, internationale, palästinensische und jüdische Menschen für das Ende des genozidalen Krieges in Gaza seitens der israelischen Armee, gegen Antisemitismus und anti-palestinensichen Rassismus.
Frage 3: Auf einem weiteren aufgenommenen Videoclip ist zu erkennen, wie Sie einen Studierenden der Versammlung verweisen. Was ist zuvor passiert, warum wurde der Mann des Protestes verwiesen?
Frage 4: War Ihnen bekannt, dass es sich bei dem verwiesenen Mann um einen jüdischen Studenten Ihrer Universität handelt? (Frage 3 und 4 werden zusammen beantwortet)
Ein Bild-Journalist hat die falsche Behauptung verbreitet, wir hätten einen jüdischen Studenten auf Grund seiner Herkunft ausgeschlossen. Jetzt probieren rechtskonservative Kräfte, die FU dazu zu drängen, mich zu entlassen und zu exmatrikulieren.
Ich weise mit Nachdruck die Diffamierungen zurück, die unter anderem von der Welt und der Springerpresse, aber auch von der CDU und den Grünen gegen unsere Kundgebung erhoben wurden. Während die Welt und die Springerpresse selbst ständig antisemitische Vorurteile schüren, haben sie bewusst die Falschmeldung verbreitet, dass eine Person aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit tätlich angegriffen und von der Kundgebung entfernt wurde. Im Gegenteil war es dieser Kundgebungsteilnehmer, der andere Teilnehmer:innen als Nazis bezeichnet hat und gegen mich als Ordner handgreiflich wurde. Seine Religionszugehörigkeit war weder bekannt noch ersichtlich, ausschlaggebend war seine Störung der Kundgebung, wie auch die Veranstalter:innen noch am selben Tag der Kundgebung öffentlich klargestellt haben. Zahlreiche jüdische Aktivist:innen haben die Kundgebung unterstützt und besucht, deren Reden sind auf den sozialen Medien und in der taz dokumentiert worden.
Aktuell wird versucht, propalästinensische Kundgebungen in ein falsches Licht zu rücken. Es wird behauptet, dass sie die Hamas in Schutz nehmen würden, wenn sie die israelische Besatzung thematisieren. Doch die extreme Not und Verzweiflung schafft der Hamas eine soziale Basis. Ich verurteile die Anschläge der Hamas auf die Zivilist:innen, die die Reibungen zwischen den Völkern verstärken und somit den gemeinsamen Befreiungskampf sabotieren. Im Gegensatz zur Hamas kämpfen wir gemeinsam mit Juden:Jüdinnen für die Befreiung Palästinas. Ich lehne sowohl die theokratische Strategie als auch die Methoden der Hamas ab. Die Hamas an der Spitze wird Palästina nicht zur Befreiung führen. Im Gegenteil, die Politik der Hamas spielt der israelischen Demagogie in die Hände. Die fragile Netanjahu-Regierung konnte letztlich dadurch die nationale Einheit wiederherstellen. Die Strategie und Methoden von der Hamas retten Netanjahu jedes Mal und dienen den imperialistischen Staaten als Begründung für die massiven Angriffe, um die palästinensische Bevölkerung zu vernichten.
Aber das legitimiert keinesfalls Kriegsverbrechen, Apartheidsregime und den Siedlerkolonialismus des Staates Israel. Als wäre es nicht skandalös genug, wurden hierzulande und weltweit sogar Demonstrationen verboten, die sich gegen den Krieg in Gaza wenden. Auch Demonstrationen, die gemeinsam von Palästinenser:innen und israelischen Staatsbürger:innen angeführt wurden. Das ist ein Angriff auf elementare demokratische Rechte. Mit der Hochschulgruppe Waffen der Kritik sind wir der Meinung, dass wir heute nicht leise sein dürfen angesichts des Genozids und der erneuten Vertreibung von Hunderttausenden; deshalb wollen wir gemeinsam mit allen solidarischen Studierenden und Beschäftigten ein großes Solidaritätskomitee für Palästina aufbauen. Gegen den Genozid in Palästina, für ein Ende der Bombardements und der Bodenoffensive, und gegen die Komplizenschaft der Bundesregierung und der Universitätsleitungen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit in Frieden und Selbstbestimmung leben können. Doch der einzige wirkliche Ausweg, um die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und einen dauerhaften, gerechten Frieden für alle Menschen in der Region zu erreichen, ist der Kampf für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina der Arbeiter:innen, in dem Araber:innen und Jüd:innen im Rahmen einer Föderation der Sozialistischen Republiken des Nahen Ostens in Frieden zusammenleben können. Dafür kämpfe ich als Gewerkschafter und als Sozialist, in der Perspektive des Aufbaus einer Studierendenbewegung gegen Krieg und Imperialismus, an der Seite der Arbeiter:innen.