Antisoziales „Gebot“ der Reichen: Bürgergeld-Verschärfung und Diätenerhöhung von Abgeordneten

10.07.2024, Lesezeit 4 Min.
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Gegen Arme vorgehen. Für Lindner ein "Gebot der Gerechtigkeit". Foto: photocosmos1 / Shutterstock.com

Ein Durchbruch in der Wirtschaftspolitik der Ampel: Das Bürgergeld wird nun wieder einmal mit Sanktionen im Hartz-IV Stil verschärft. Zeitgleich zu dieser antisozialen Maßnahme der Ampel steigen die Abgeordneten-Diäten auf über 11.000 Euro.

Die Ampelregierung schaffte es nach dutzenden Termine einen Haushaltsplan für 2025 aufzustellen und konnte dadurch ihre Implosion wiedereinmal aufhalten. Ein „Durchbruch“ wird aus den eigenen Reihen bezüglich des sogenannten „Wachstumsinitiative“ gerufen. Hinter dem Schein einer handlungsfähigen Regierung fällt jedoch der antisoziale Charakter ihres Plans in den Schatten. Denn außer mehr Geld für Betreuungsplätze in der Kita und fünf Euro Kindergeld bleibt in Sachen Soziales nichts außer Sparpolitik – damit die Eltern ordentlich schuften gehen.

Die Bürgergeldverschärfung ist dabei ein veraltetes Rezept, das nach seiner ersten tragischen Form als Hartz IV nun eine bittere Farce in Zeiten des Rechtsrucks darstellt. Wochenlang wurde die Keule des „faulen Arbeitslosen“ durch alle bürgerlichen Medien geschwungen, von der einen Seite als eine Pflicht des Marktes, von der anderen Seite im rassistischen Zeitgeist. Die Farce steht allerdings nun fest: Beziehenden sei zumutbar, einen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden anzunehmen, während ihre Ablehnung, genauso wie bei Schwarzarbeit, nur mit Sanktionen begegnet werden dürfte. Auf der Stelle kann das Bürgergeld dann um 30 Prozent gestrichen werden. Zudem werden Bürgergeld-Empfänger:innen ein Mal pro Monat dazu verpflichtet, auf dem Amt zu erscheinen – ob es dabei sinnvolle Jobangebote gibt, oder dies nur zur Kontrolle und Schikane dient, ist dabei vollkommen egal.

Was bei der Hetze gegen Bürgergeld-Bezieher:innen oft nicht erwähnt wird, sind die persönlichen Situationen. Von den 5,5 Millionen Empfänger:innen sind 1,5 Millionen Kinder. Unter den Erwachsenen befinden sich Auszubildende und Menschen mit geringem Einkommen, die dazu genötigt werden, ihr Gehalt aufzustocken, Alleinerziehende, Menschen, die Angehörige pflegen, chronisch Kranke und Arbeitsunfähige. Alter und unzureichende Ausbildung sind weitere Gründe für Arbeitslosigkeit. All diese Menschen werden durch die neuen Maßnahmen nicht unterstützt, sondern unter Druck gesetzt, jeden noch so schlechten Job anzunehmen, selbst wenn sie dadurch umso schneller mit Krankheit und Alltagsbelastung zusammenbrechen.

Finanzminister Lindner wehrte sich auf X – vermutlich aus seinem Porsche heraus – vehement gegen Kritiken, denn es sei ein „Gebot der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, die arbeiten, den fordernden Charakter unserer Arbeitsmarktpolitik zu stärken“. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man sich anschaut, dass die Abgeordneten-Diäten mit einer Sechs-Prozent-Erhöhung nun monatlich auf satte 11.227,20 Euro steigen. Die Bürgergeldverschärfung kann somit nicht anders als ein antisoziales Gebot der Reichen bezeichnet werden. Mit dieser Maßnahme soll vordergründig Geld aus dem Staatshaushalt gespart werden. Es handelt sich jedoch dabei, wie schon bei den Hartz-Reformen, um eine Umänderung des fundamentalen Rechts auf Arbeitslosengeld hin zur ihrer proaktiven Verwendung um Arbeiter:innen einzuschüchtern, in Konkurrenz mit einander zu bringen und letztlich billige Arbeitskräfte zu generieren.

Aus der Sorge „um die Existenzsicherung von Leistungsberechtigten im Grundsicherungsbezug“ wandten sich sieben Sozialverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bereits am 3. Juni an Arbeitsminister Hubertus Heil. Offenkundig wurden die Einwände wieder einmal gekonnt ignoriert. Es reicht offensichtlich nicht, bei der Regierung nett zu fragen. Es ist eine andere Strategie für das Lager aller Lohnabhängigen notwendig. Der DGB muss als oberste Priorität die Verteidigung der historischen Rechte der Arbeiter:innenbewegung haben, statt sich der Regierungspolitik unterzuordnen. Statt die Spaltung mitzuverwalten braucht es ein klares Programm, für das es sich zu kämpfen lohnt, mittels eines unbefristeten und sanktionsfreien Arbeitslosengeld, vor allem aber eine Aufteilung der gesellschaftlichen Arbeitszeit auf allen Schultern bei vollem Lohnausgleich. 

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