Antisemitismus-Resolution im Bundestag: AfD jubelt, LINKE schweigt

11.11.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Heide Pinkall

Anstatt Antisemitismus wirklich zu bekämpfen, wird die vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossene Resolution die Kriminalisierung von Linken und Migrant:innen verschärfen und demokratische Rechte einschränken.

Der 6. November 2024 war ein historischer Tag: Trump ging als eindeutiger Sieger aus den US-Wahlen hervor und nur wenige Stunden später verkündete Bundeskanzler Scholz die Entlassung von Christian Lindner und damit das Ende der Ampelkoalition. Im Schatten dieser Ereignisse beschloss der deutsche Bundestag am darauffolgenden Tag eine Resolution, die einen Sprung im staatlichen Autoritarismus und Rassismus darstellt: die sogenannte „Resolution zum Schutz jüdischen Lebens“. Während die Parteien der ehemaligen Ampelregierung und die CDU/CSU in vielen Fragen zerstritten sind, herrschte hier große Einigkeit. Ungeachtet der scharfen Kritik von Menschenrechtsorganisationen, Jurist:innen und zahlreichen jüdischen Intellektuellen und Künstler:innen, stimmte die überwältigende Mehrheit der Parlamentarier:innen für den Antrag. Lediglich die zehn Abgeordneten des BSW stimmten dagegen, während sich die Gruppe DIE LINKE enthielt.

Wie wir bereits im September dargelegt haben, hat die Resolution mit einer tatsächlichen Bekämpfung von Antisemitismus nichts zu tun. Ihr liegt die Gleichsetzung von Juden:Jüdinnen mit dem israelischen Staat zugrunde. Indem Menschen, die nichts mit den Verbrechen des israelischen Staates zu tun haben und sie in vielen Fällen scharf kritisieren und bekämpfen, für diese verantwortlich gemacht werden, wird der Antisemitismus geschürt, anstatt ihm etwas entgegenzusetzen. Auch antizionistische Juden:Jüdinnen könnten auf Grundlage der Resolution noch stärker als bisher kriminalisiert und unterdrückt werden, während der antisemitische Terror der extremen Rechten im Antrag nur als Randnotiz vorkommt.

Vielmehr wird die vermeintliche Bekämpfung von Antisemitismus auf zynische Weise instrumentalisiert, um linke, regierungskritische Stimmen mundtot zu machen, demokratische Rechte einzuschränken und die rassistische Abschiebe- und Repressionspolitik zu verschärfen. So soll allen kulturellen und wissenschaftlichen Projekten, die sich – gemessen an der höchstproblematischen IHRA-Definition von Antisemitismus – nicht der deutschen Staatsraison beugen, künftig die Mittel gestrichen werden. Ebenfalls wird gefordert, die Exmatrikulation von Studierenden aus politischen Gründen, die vor einigen Monaten vom Berliner Senat beschlossen wurde, bundesweit zu ermöglichen. Dies würde eine gefährliche Einschränkung der akademischen Freiheit und der Rechte von Studierenden bedeuten.

Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch traf in ihrer Rede einen Nerv, als sie den Antrag freudig als „Zeitenwende“ und „Eingeständnis“ der anderen Parteien gegenüber der AfD bezeichnete: „Sie nehmen unsere Vorschläge nun auf“. Tatsächlich ist die Resolution ein klarer Ausdruck des Rechtsrucks und der Anpassung der Parteien der „Mitte“ an die Positionen der extremen Rechten. 

Ganz im Sinne der AfD warnen SPD, Grüne, Union und FDP vor einem „Antisemitismus[…], der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind.“ Sie fordern, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen. […] Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“. In anderen Worten: Leichtere Abschiebungen und Ausbürgerungen, schwerere Einbürgerung und mehr Polizeistaat. Die Resolution reiht sich in eine Serie autoritärer, repressiver und rassistischer Angriffe ein, die insbesondere seit dem Beginn des Genozids in Gaza an Fahrt aufgenommen haben. Im Hinblick auf eine wahrscheinlich kommende Merz-Regierung ist damit zu rechnen, dass sich diese Angriffe nur verschärfen werden.

Eine solche Resolution abzulehnen, müsste also eigentlich eine linke Selbstverständlichkeit sein. Doch die Gruppe der LINKEN im Bundestag weigerte sich, gegen den Antrag zu stimmen und damit eine klare Position gegen Rechtsruck, Rassismus und Repression zu beziehen. Die Begründung, man teile das grundsätzliche Anliegen des Antrags, ist nicht überzeugend, wenn man bedenkt, dass der Kampf gegen Antisemitismus nur ein fauler Deckmantel ist und die Resolution diesem mehr schadet als nützt. Das Abstimmungsverhalten lässt tief blicken, wie sehr sich die Linkspartei mit jahrzehntelanger Orientierung auf Regierungsbeteiligungen an den bürgerlichen Staat angepasst hat. Der Austritt von Klaus Lederer und Konsorten hat den Bankrott der Linkspartei nicht abgewendet; sie ordnet sich in ihrer Mehrheit weiterhin mehr oder weniger gefügig der deutschen Staatsraison unter. Doch auch das BSW ist keine Alternative: Seine Abgeordneten haben zwar gegen den Antrag gestimmt, sonst sind Wagenknecht und ihre Partei aber vorne mit dabei, wenn es darum geht, antimuslimischen Rassismus zu schüren und mehr Abschiebungen zu fordern.  

Angesichts dessen, dass keine Partei eine internationalistische, antiimperialistische und antirassistische Position vertritt, stellt sich umso mehr die Frage, wie linke und palästinasolidarische Kräfte eine unabhängige Perspektive aufzeigen können. In diesem Sinne erneuern wir unseren Vorschlag, unabhängige, revolutionäre, sozialistische Kandidaturen zur Bundestagswahl aufzustellen. Angesichts der breiten Unterstützung für den israelischen Siedlerkolonialismus sowie einer rassistischen, militaristischen und autoritären Offensive aller Parteien, braucht es dringender denn je Stimmen aus der Jugend und den Betrieben, die sich dagegen stellen und eine gänzlich andere Perspektive aufzeigen. Wir wollen revolutionäre Kandidaturen nutzen, um Widerstand gegen die aktuelle und künftige Regierungspolitik und den Aufstieg der extremen Rechten zu formieren, gestützt auf Aktionen und Versammlungen von Arbeiter:innen und Jugendlichen. Wir rufen alle Aktivist:innen und Organisationen, die diese Perspektive teilen, dazu auf, mit uns in Verbindung zu treten und sich über ein Programm für einen Wahlantritt zu verständigen.

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