Antilopen Gang: Ist das links oder kann das weg?

08.04.2024, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Arne Müseler / CC BY-SA 3.0 DE

Das vermeintlich linke Rap-Trio greift mit „Oktober in Europa“ zu rassistischen Stereotypen und setzt jede Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung mit Antisemitismus gleich. Lob ernten sie vor allem von rechts.

Die selbsternannt linke Band Antilopen Gang hat eine neue Single veröffentlicht. Unter dem Titel „Oktober in Europa“ rappen Danger Dan, Koljah und Panik Panzer über Israels Krieg in Gaza, beziehungsweise seine Folgen. Während Israel einen Genozid begeht, warnt das Hip-Hop-Trio vor Menschen, die sich für Frieden und ein freies Palästina einsetzen. Diese seien angeblich alle Antisemit:innen, sogar Olaf Scholz ist der Band nicht zionistisch genug. Dass die Palästinenser:innen seit 1948 in von Israel besetzten Gebieten leben und auch schon vor dem Genozid mit Gewalt und Unterdrückung durch den israelischen Staat und rechtsextreme Siedler:innen zu kämpfen hatten, lässt die Band gekonnt unter den Tisch fallen. 

Im Lied wird von Ängsten von Jüd:innen vor Gewalt gesprochen. Diese Ängste sind ernstzunehmen und antisemitische Gewalt ist zu verurteilen und zu bekämpfen. Jedoch bleibt unerwähnt, dass auch Palästinenser:innen und alle Menschen die als muslimisch wahrgenommen werden seit dem Beginn des Krieges noch stärker als zuvor Gewalt und Repressionen ausgesetzt sind.

„Keine Sonne auf der Sonnenallee“ lautet die erste Zeile des Songs. Diese Formulierung dürfte unter anderem auf die Palästina-Demonstrationen anspielen, die wöchentlich an der Berliner Sonnenallee stattfinden. Diese befindet sich in Neukölln, einem Stadtteil, wo viele muslimische und arabische Menschen zuhause sind. Immer wieder ist die Sonnenallee Ziel von rassistischer Hetze in den Medien und auch von teils willkürlichen Polizeieinsätzen, wobei der Mythos „Clankriminalität“ Vorwand und Resultat dieser Praxis ist. Ins gleiche Horn blasen die Rapper mit der Zeile „Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi“, denn das Taxigeschäft ist in Berlin bekannt als Branche, wo viele Migrant:innen beschäftigt sind. Der Antilopen Gang muss bewusst sein, dass sie mit solchen Äußerungen, die muslimische und arabischsprachige Menschen pauschal als Antisemit:innen brandmarken, in die gleiche rassistische Klischeekiste greifen wie rechte Medien. Kein Wunder also, dass der vermeintlich linke Song am meisten Anklang bei rechten und bürgerlichen Medien und Politiker:innen findet.

Auch Palästina-Demos, beziehungsweise Palästina-Blöcke, erleben seit dem 7. Oktober krasse Polizeirepressionen mit Verhaftungen und Verletzten. Das Bekenntnis zum Staat Israel soll sogar eine Bedingung für den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft werden. In Zeiten, in denen die Rufe nach humanitärer Hilfe für Gaza auch aus dem bürgerlichen Lager lauter werden und immer mehr Medienberichte Sorge über die Situation der Palästinenser:innen äußern, wirkt dieses Lied umso bizarrer. Palästinenser:innen und Menschen die mit der palästinensischen Sache solidarisch sind, scheinen für die Antilopen Gang alle Antisemit:innen und gefährliche Gewalttäter:innen zu sein. Dass Menschen für ein freies Palästina und gleichzeitig gegen Antisemitismus sein können, scheint nicht in das Weltbild der Band zu passen. Dies wird in Zeilen wie „Heute sind die größten Antisemiten alle Antirassisten, gegen Hass und für Frieden“ deutlich. Besser hätte es die BILD nicht formulieren können. 

Greta Thunberg wird namentlich erwähnt, auch sie würde Juden hassen, so Koljah in seinem Part. Die schwedische Aktivistin sprach sich schon vor dem Krieg öffentlich für ein freies Palästina aus, und verschiedene Gliederungen von Fridays for Future, besonders international, betonten die Verbindung zwischen dem Kampf für Klimagerechtigkeit und für Palästina. Am 20. Oktober postete Thunberg ein Bild auf X, auf dem sie mit anderen Aktivist:innen zu sehen war, die Schilder mit Sprüchen wie „Free Palestine“ und „This Jew stands with Palestine“ (deutsch: Diese Jüdin ist solidarisch mit Palästina) hielten. In der Bildüberschrift sagte Thunberg, dass der Klimastreik an diesem Tag in Solidarität mit Palästina und Gaza sei. Ein sofortiger Waffenstillstand, Gerechtigkeit und Freiheit für Palästinenser:innen und alle betroffenen Zivilist:innen seien Forderungen, die man nun aufstellen müsse. 

Dass die Antilopen Gang es schafft, aus diesem Statement Antisemismus herauszulesen, deutet darauf hin, dass sie jegliche Solidarisierung mit Palästina als antisemitisch ansehen. In Gaza sind seit dem 7. Oktober über 33.000 Menschen durch die israelische Armee ermordet worden. Nicht der Genozid an der palästinensischen Bevölkerung, zerbombte Krankenhäuser, Familien die auf der Straße leben müssen und Kinder die um ihr Leben fürchten sind für die Antilopen Gang ein katastrophaler Zustand. Sondern, dass Menschen für Frieden demonstrieren und einen Waffenstillstand fordern. 

Gegen Ende des Songs heißt es „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas / Schutzschild der Nachfahren der Juden-Vergaser“. Die palästinensische Zivilbevölkerung kommt im Text also nur „als Schutzschild“ vor, womit impliziert wird, dass Deutsche, die sich gegen Israels Krieg und Besatzung aussprechen, damit Palästinenser:innen instrumentalisieren, um ihren Judenhass auszuleben. Es scheint für die Antilopen unvorstellbar, dass es andere Gründe als Antisemitismus geben könnte, um das Vorgehen des israelischen Staates zu kritisieren. Angesichts der Kriegsverbrechen und des Genozids, den wir gerade mitverfolgen, sind es jedoch vielmehr die Antilopen, die die palästinensische Bevölkerung instrumentalisieren, indem sie ihr Leid nicht als solches anerkennen, sondern es nur dazu nutzen, die pro-palästinensische Bewegung zu diffamieren. In diesem erschreckenden und holocaustrelativierenden Bild wird also der palästinensische Widerstand mit den Nazis gleichgesetzt. Spätestens jetzt fragt man sich, wo die Antilopen Gang noch irgendetwas mit linken GrundsätzenLinkssein oder Antifaschismus zu tun hat.

Die andauernde Besetzung Palästinas und Israels Genozid wird durchwegs als eine Art Religionskonflikt dargestellt, in dem Israel keine Schuld treffe. Die Palästinenser:innen kommen nur als Täter:innen und Aggressoren vor. Allein die Diffamierung der bürgerlichen Presse, der Zionist:innen und all ihren Befürwortern impliziert, dass Israelis homogen als jüdisch gesehen werden und dass alle, die was gegen Israel haben, eigentlich gegen das Judentum sind. Palästinenser:innen werden als homogen strengreligiös-muslimisch und radikal wie die Hamas bezeichnet, daher auch die ständigen rassistischen Bezeichnungen wie Islamisten oder Ähnliches. All das führt zu dem Verständnis von einem Krieg zwischen zwei Glaubensrichtungen.

Dass die Band sehr zionistisch ist und diverse Positionen vertritt, die man eigentlich nicht mehr als links bezeichnen kann, ist kein Geheimnis, wenn man sich ihre Diskographie anschaut. Die Blockupy-Proteste, die ab 2012 in Frankfurt gegen die Europäische Zentralbank stattfanden, seien laut der Band antisemitisch. So kam im Track „Anti Alles Aktion“ (2014) die Songzeile „Ich kämpfte mit der Polizei gegen Blockupy in Frankfurt“  zustande. Diese sei zwar überspitzt und nicht wörtlich zu nehmen, meinte die Band im Nachhinein. Dennoch fragt man sich, wie es links sein kann, Polizeigewalt nicht nur gutzuheißen, sondern auch noch zu deren Unterstützung aufzurufen.

Im selben Lied heißt es „Ihr seid 80 Millionen, die man abschlachten muss“, bezogen auf die deutsche Bevölkerung. Auch im Song „Atombombe auf Deutschland“ ist der Name Programm. Nicht nur alle Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben, gelten unterschiedslos als verantwortlich für den Hitler-Faschismus, sondern auch ihre Enkel und Urenkel, die heutzutage im Gebiet der BRD leben, müssten dafür vernichtet werden.  Statt nach den materiellen Ursachen des Faschismus und seiner Klassenbasis im absinkenden Kleinbürgertum zu fragen, wird lieber auf nationalistische Erklärungsmuster zurückgegriffen, um „die Deutschen“ und ihre Nachfahren als böse homogene Gruppe zu naturalisieren.

Seit der Veröffentlichung am 4. April gab es bereits viele positive Rückmeldungen zu „Oktober in Europa“. Die BILD bezeichnet die Band als „mutige Musiker“ und berichtet, dass „Linke und linksextreme Gruppen oft bei ‚Free Palestine‘ – Hassmärschen“ mitlaufen würden. Auch aus der CDU-Bundestagsfraktion kommt Anerkennung: Julia Klöckner teilte das Lied in ihrer Instagram-Story. 

Laut der Berliner Zeitung habe die Antilopen Gang schon in der Vergangenheit Songs über Rechtsextremismus gemacht, in dieser Kontinuität sieht der Autor „Oktober in Europa“. Angesichts dieser Formulierung würde man ein Lied über Neonazis und den Rechtsruck erwarten. Für die Berliner Zeitung sind anscheinend Palästinenser:innen, und alle die für ein freies Palästina kämpfen, rechtsradikal. Die Antilopen Gang hat sich zwar ihre Fans nicht ausgesucht, dennoch spricht dies Bände. 

Der Kampf gegen Antisemitismus kann nicht durch die Anbiederung an die Springerpresse und rechts-konservative Politiker:innen geführt werden, und erst recht nicht indem die pro-palästinensische Bewegung – in der progressive jüdische Gruppen und Intellektuelle eine maßgebliche Rolle spielen – pauschal als eine Horde durchgedrehter Judenhasser:innen abgestempelt wird. Stattdessen müssen wir uns als Linke und Gewerkschafter:innen gegen antisemitische und rassistische Gewalt organisieren, sowie für ein freies Palästina

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