Antikolonialismus auf Wish bestellt? Filmkritik zu Dune Part Two

25.06.2024, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Dune 2 Trailer / Da video (Creative Commons)

Feministische Außenpolitik war gestern. Dune Part Two zeigt den feministischen Djihad. Doch wie fortschrittlich ist der Film? Eine marxistische Kritik.

In ästhetischer Hinsicht war lange kein Film so gut. Die Bilder, die uns Regisseur Denis Villeneuve hier zeigt, sind herausragend und beeindruckend. Nicht nur die Totalen von der Wüste – die hauptsächlich in Jordanien gefilmt wurden – und den Sandwürmern, sondern auch alle Details, das Set-Design, die Tempel der Fremen und der Harkonnen schaffen eine beeindruckende Atmosphäre. Schon mit Blade Runner 2049 ist es Villeneuve gelungen, eine Dystopie bildgewaltig auf die Leinwand zu bringen. Auch hier zeigt er erneut sein ganzes Können. 

Eigentlich bietet Dune alles, was ein antiimperialistischer Science-Fiction-Film braucht: Den Planet Dune, der über den einzigartigen Rohstoff „Spice“ verfügt, bourgeoise Adelshäuser, die den Rohstoff ausbeuten und ein unterdrücktes, vertriebenes und dennoch widerständiges Volk, die Fremen. Doch kann der Film dieses Potenzial ausschöpfen?

Recap: Warum der erste Teil von Dune deutlich schwächer ist

Der erste Teil der Dune-Verfilmungen verbringt leider sehr viel Zeit damit, den moralischen Twist des Imperialistensohn Paul Atreides zu zeigen. Er fantasiert und philosophiert zu lange darüber, ob und wie er mit seinem Erbe umgehen soll, das unter anderem den Wüstenplanet beinhaltet. Dieser ist für die interstellaren Handelsketten zentral, weil es nur dort das bewusstseinserweiternde Spice gibt, welches die Navigatoren benötigen, um sicher große Distanzen im Weltall zurückzulegen. Schließlich gewinnt ein konkurrierendes Herzogshaus – die Harkonnen – einen überfallartigen Krieg gegen die Atreides, sodass Paul und seine Mutter in die Wüste und somit zu dem unterdrückten Volk – den Fremen – vertrieben werden. Das Haus Atreides symbolisiert im ersten Teil den westlichen Imperialismus als vermeintlich fortschrittliche, aber in Konsequenz doch profitgierige Macht und deren Niedergang.

Der antiimperialistische Befreiungskampf der Fremen

Auch wenn man die Fremen im ersten Teil mehrmals sieht, lernt man sie im zweiten Teil inhaltlich erst richtig kennen. Dabei sind die Fremen deutlich diverser als in der Verfilmung von David Lynch aus dem Jahr 1984. Grund genug für die Springerpresse rassistisch zu hetzen: „Die Fremen sind so arabisch wie nie zuvor, die Ausstattung hätte man sich in einem Tag in der Medina von Marrakesch zusammenkaufen können.“ Auch wenn Peter Huth von der Welt sein Weltbild grundlegend überdenken sollte, muss man ihm auch raten, sich eine Brille zu kaufen. Die Welt, die Denis Villeneuve hier zeigt, ist wirklich großartig in Szene gesetzt. So starke Bilder sieht man wirklich selten im Kino. Sie sind um Welten besser als die des konservativen Christopher Nolan in Oppenheimer oder Interstellar. Ganz zu schweigen von Marvels CGI-Grütze, Disneys Star Wars und Co.

Die Schwächen in der Darstellung der Fremen sind eher inhaltlicher Natur. Man erfährt zwar einiges über ihre religiösen Differenzen und über ihre militärischen Geschicke, auch ihre hochentwickelte Technik zum Wassersparen und ihre Tempel und Höhlen sind zu sehen. Aber die Darstellung ihres Alltagslebens, ihrer Produktionsweise und ihrer Reproduktionsarbeit bleibt in Dune Part Two leider recht oberflächlich. Es wird auch nicht erwähnt, dass sie ehemalige Sklaven sind, die auf den unfruchtbaren Wüstenplaneten geflüchtet sind, um frei zu sein. Dennoch wird ihr anfänglicher Befreiungskampf in Form einer Art Ökoterrorismus sehr positiv und wohlwollend dargestellt. 

Vor dem Hintergrund des genozidalen Krieg Israels gegen die palästinensische Bevölkerung kann man den Film eindeutig auf der Seite Palästinas sehen, mit all seinen Stärken und Schwächen. Man sieht auch den ganzen Zynismus der Israel-Fanboys, die in der Dune-Welt erst fordern würden, dass man die Fremen verurteilt, weil sie ja ein Spice-Speicher zerstört haben und sie teilweise eine religiöse Vergangenheit haben, ohne auch nur ein bisschen auf Ausbeutung und Unterdrückung einzugehen. So gesehen ist der Film überraschend progressiv und eine Kritik am westlichen Imperialismus.

Minimalismus als faschistische Ästhetik

Die mächtigen Gegenspieler der Fremen sind die Harkonnen, jene Adelsfamilie, die die Spice-Ernte im ersten Teil erobert hat. Ihre Darstellung als faschistische Kolonialherren ist wirklich spannend. Einerseits sind sie von einem Minimalismus geprägt, der stark an den faschistischen Architekten Le Corbusier erinnert, der unter anderem mit seinem Konzept der „Maschine zum Wohnen“ Wohnungen auf ihre reine Funktionalität reduzierte. Der kontrastreiche Schwarz-Weiß-Minimalismus bringt die Ideologie der Harkonnen ästhetisch unglaublich passend auf die Leinwand. Zum anderen ist es dabei besonders spannend, dass Denis Villeneuve sich für eine Aufnahme im Infrarotspektrum entschieden hat, um eine schwarze Sonne zu imitieren. Er hat also gefilmt, wie das James Webb Space Telescope fotografiert. Dabei werden Frequenzen sichtbar gemacht, die das menschliche Auge nicht sehen kann. Eine extrem spannende Anwendung dieser Technik, die man so noch nie gesehen hat und die zu atemberaubenden Bildern geführt hat. Die faschistischen Kolonialisten werden sowohl in ihrer Eindimensionalität als auch in ihrer Grausamkeit perfekt getroffen.

Feministischer Djihad

Der Befreiungskampf wird jedoch nicht hauptsächlich von der Übermacht der Harkonnen oder Absprachen mit dem Imperator gebremst, sondern vor allem durch eine Umleitung des Kampfes. Die Mutter von Paul Atreides, Lady Jessica, gehört der Schwesternschaft der Bene Gesserit an. Diese versucht politische Macht zu erlangen und paktiert dabei mit allen möglichen Kräften. Dabei gehen sie als reine Frauenorganisation ähnlich wie Baerbock und Co. – zumindest in den Büchern – davon aus, dass Frauen weniger kriegerisch, diplomatisch geschickter und dafür gerissener sind. Man kann sie also durchaus mit dem Pseudofeminismus der deutschen Außenministerin auf eine Stufe stellen. Sie streben nach politischer Macht und wollen nichts an den Klassenverhältnissen ändern, außer, dass an der Spitze der herrschenden Klasse Frauen sind. Die Bene Gesserit verbreiten dafür sogar einen religiösen Irrglauben an einen Befreier, den sie durch Geburtenkontrolle sogar erzeugen wollen. Lady Jessica verbreitet unter den Fremen, dass ihr Sohn Paul Atreides jener Befreier sei. Diese religiöse Ideologie, die schon lange durch die Bene Gesserit in dem Fremen etabliert wurde, verbreitet sich auch durch die militärischen Erfolge ihres Sohnes relativ zügig. Der antiimperialistische Kampf wird also bewusst in einen religiösen Konflikt umgewandelt. In Frank Herberts Buch von 1965 wird dieser Krieg durchgehend als Djihad bezeichnet, während der Film darauf verzichtet. Djihad bedeutet so viel wie „Kampf“, wenn es wortwörtlich übersetzt ist. Bis zum Zerfall der Sowjetunion wurde der Begriff in der USA relativ positiv aufgenommen, erst später änderte sich sein Inhalt durch den Islamischen Staat, Al-Qaida oder die Al-Nusra-Front. Paul Atreides wehrt sich zu Anfang sogar noch gegen seine Rolle und will einfaches Mitglied der Fremen sein, doch als sich seine Führungsposition manifestiert und er keinen anderen Ausweg sieht, gibt er nach und nimmt die Rolle des „White Savior“ voll an. Paul und Lady Jessica in den Hauptrollen sind zwei reaktionäre Figuren, die von Villeneuve leider nicht bis zum Ende entlarvt werden. Und das obwohl dies ein Anspruch von Autor Herbert war: „Superhelden sind katastrophal für die Menschheit“.

Im Film folgt die absolute Mehrheit der Fremen der Religion und gewinnt schließlich auch den Kampf gegen die Harkonnen mit Paul an der Spitze. Er hat als ehemaliger Feudalherr wieder die Macht über den Planeten. Am Ende des Films führt die Umleitung nicht zur Befreiung, sondern nur zum Beginn eines größeren Krieges gegen andere Adelsfamilien. Der „feministische Djihad“ ist also weit weg von der Ideologie der Befreiung, er ist ein reaktionäres Hindernis, das bewusst durch Teile der herrschenden Klasse aufgebaut und genutzt wurde. Leider bleibt der Film sehr vage, was die genaue Umleitung des Befreiungskampf in einen Djihad angeht, sodass ein Vergleich zur Realität schwer fällt. Im Film ergreift eine Religion innerhalb weniger Monate ein ganzes Volk, das zuvor anhand der Frage noch tief gespalten war, doch in Echt ist das ein langwieriger Prozess. 

Mit der Operation Cyclone hat die USA gewaltverherrlichende, radikalislamistische Ideologie im Nahen Osten als Gegenentwurf zum Kommunismus verbreitet. Dies wurde beispielsweise mit Schulbüchern sehr langfristig angelegt. Auch wenn Villeneuve dazu ermahnt, die Fremen nicht zu idealisieren, weil auch sie als unterdrücktes Volk reaktionäre Ideologie annehmen können, versäumt er es, den Widerspruch zwischen Führung und Basis weiter zu vertiefen. Die Botschaft von Dune Part Two ist, dass man den Befreiungskampf nicht blind idealisieren soll, aber eine weitergehende Perspektive gegen die Umleitung des Kampfes und gegen die Einflüsse des Klassenfeindes fehlt leider. So bleibt der Film auf halbem Wege im Sand stecken, vor allem weil er sich zu sehr mit der Religion an sich beschäftigt, aber die materiellen Bedingungen nicht zu Ende analysiert. 

Eine sozialistische Perspektive für den Wüstenplanet

Dabei hat eine Nebenfigur das volle Potenzial, die Emanzipation der Fremen herauszuarbeiten. Zendaya spielt eine Freme namens Chani, die eine unfassbar starke Frauenrolle verkörpert und ihren Idealen trotz aller Widrigkeiten treu bleibt. Sie führt zwischenzeitlich eine Liebesbeziehung zu Paul, lässt sich anders als der Großteil der Fremen nicht von der Religion beeinflussen und kämpft sogar gegen den Irrglaube an. So entsteht auch ein tiefer Riss in ihrer Beziehung zu Paul, der dazu führt, dass sie – anders in der Buchvorlage – einen Bruch innerhalb des Befreiungskampfes vollzieht. Leider sehen wir gar nicht so viel von ihr im Film, wie man es sich wünschen würde. Besonders beeindruckend ist, wie sie sich als einzige gegen Paul als Anführer der Fremen auflehnt, als Tausende ihn anbeten. Offen bleibt auch, ob der Bruch hauptsächlich politisch oder persönlich motiviert ist.

Dennoch ist Chani eine der besten und fortschrittlichsten Figuren, die man seit langem im Kino sehen konnte. Es ist schade, dass so eine starke Rolle zum Nebencharakter degradiert wurde, aber das Ende lässt hoffen, dass sie in einem dritten Teil, der vermutlich folgen wird, eine größere Rolle spielen wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt, denn nachdem sie im ersten Teil nur rassistisch mystifiziert wurde, wurde sie im zweiten Teil um Welten besser dargestellt.

Ein weiterer Punkt, der für die Perspektive der Befreiung Fremen wichtig ist, und leider im Film nicht vorkommt, ist die interstellare Kapitalist:innenklasse. Denn auch die Adelsfamilien bauen in den Büchern nur für die sogenannte Raumfahrergilde Spice ab. Die Gilde hat mit ihrem Monopol auf das Bankenwesen und auf Spice die volle Kontrolle über interstellare Handelsketten. Es gibt in den Büchern Transportarbeiter:innen, Pilot:innen, Arbeiter:innen, die Spice abbauen, Sicherheitspersonal und die Navigatoren, also insgesamt schon ein Proletariat, das wertschöpfend arbeitet bzw. transportiert. Ohne Abbau und Transport würden die interstellaren Handelsketten zum Erliegen kommen. Es wäre also eine Aufgabe der Fremen, sich nicht nur von allen Adelshäusern loszusagen, sondern auch ein Bündnis mit den Arbeiter:innen einzugehen, um sich und das Proletariat zu befreien. So könnte der Traum der Fremen gesichert werden: Alle Imperialist:innen und Herzogshäuser raus aus dem Wüstenplaneten: Freiheit und Sozialismus für den Wüstenplaneten. 

Dune als Perspektive für die Jugend?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dune über ein enormes Potenzial verfügt, es aber nicht ganz ausschöpft. Es braucht nicht nur mehr unterdrückte Menschen auf der Leinwand, sondern vor allem die Perspektiven des Befreiungskampf müssen sichtbarer gemacht werden. Dune ist vielleicht nicht antikapitalistisch, aber der Film zeigt den Zusammenhang zwischen Rohstoffwirtschaft und Kolonialismus, wie man ihn selten sieht. Trotz aller Schwächen wäre es falsch und verkürzt zu sagen, dass Dune Part Two Antikolonialismus auf Wish bestellt ist. 

Gegenüber Vanityfair äußert sich Villeneuve: „Egal, was man glaubt, die Erde verändert sich, und wir werden uns anpassen müssen“. Das Buch sei zwar ein Produkt des 20. Jahrhunderts aber es sei „ein fiktives Porträt der Realität des Öls und des Kapitalismus und der Ausbeutung – der Überausbeutung – der Erde.“ Heute seien Dinge nur noch schlimmer und deshalb sei Dune Part Two „auch ein Aufruf zum Handeln für die Jugend.“ 

Doch genau hier fehlt Villeneuve ein klares Programm. Er warnt zwar vor der Religion als Sackgasse, aber liefert kein Programm der Permanenten Revolution. So sind auch Perspektiven, wie die eines antikolonialen Militärs ohne proletarisches Programm wie Thomas Sankara oder Bündnisse mit vermeintlich progressiven Teilen des Imperialismus, wie wir es bei kurdischen Volksverteidigungseinheiten erlebt haben, nicht ausgeschlossen, obwohl die Realität die Grenzen und die Niederlage dieser Strategien gezeigt haben. Auch ein Waffenstillstand ist weiterhin eine Option, die der Film offen lässt. Dieser Idee würde Trotzki entgegnen: „Ein von Imperialisten geschlossener Friede würde nur eine Atempause vor einem neuerlichen Krieg sein. Nur ein revolutionärer Massenkampf gegen Krieg und Imperialismus, den der Krieg hervorbringt, kann einen wirklichen Frieden sichern.“

Trotz aller Schwächen trifft Villeneuves Dune den Zeitgeist auf eine Art und Weise, wie wir es zuletzt bei Tolkiens „Herr der Ringe“ als Produkt des Ersten Weltkriegs oder George Lucas „Star Wars“ – das gegen den Vietnamkrieg gerichtet war – sehen konnten. Dune Part Two zeigt, dass die Einordnung in Gut und Böse viel zu einfach ist, es zeigt auch die Sackgasse der Religion und des kleinbürgerlichen Nationalismus im nationalen Befreiungskampf. Es verpasst aber eine progressive Antwort zu liefern und hinterlässt die Zuschauer:innen mit einem offenen Ende.

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