„Anomalisa“: Ein Alptraum über spätkapitalistische Vereinzelung
Vom Surrealisten Charlie Kaufman kommt ein neuer Film mit Knetanimation. Obwohl man keine*n einzige*n Schaulspieler*in zu Gesicht bekommt, sprechen die Kritiker*innen vom "menschlichsten Film des Jahres". Was sagt dieser Film über unsere Gesellschaft aus?
Charlie Kaufman ist ein Meister des modernen Surrealismus: In seinen Filmen bringt er Träume auf die Leinwand. Being John Malkovich; Adaptation; Confessions of a Dangerous Mind; Eternal Sunshine of the Spotless Mind; und Synecdoche, New York – jedes Mal geht es um die endlose Einsamkeit des Menschen in einer Gesellschaft, die auf Entfremdung basiert. Verzweifelt suchen die Protagonist*innen nach einem Sinn.
Nach einer siebenjährigen Auszeit kommt jetzt ein neuer Kaufman-Film – zum ersten Mal in Knetanimation. Auch wenn man keine*n einzige*n Schaulspieler*in zu Gesicht bekommt, sprechen die Kritiker*innen vom „menschlichsten Film des Jahres“. Produziert wurde das Ganze von Dino Stamatopoulos (Starburns aus der Fernsehserie „Community“), ein weiterer Community-Veteran führte zusammen mit Kaufman Regie.
Der Trailer beinhaltet zwar Szenen und Monologe aus dem Film, ist aber bewusst irreführend. Wie ein Traum – oder eher wie ein Albtraum – wirkt die Umgebung des Filmes vertraut, wird aber mit jeder Minute unheimlicher. Also wenn du auch nur mit dem Gedanken spielst, „Anomalisa“ anzuschauen, wird dir jetzt eindringlich „empfohlen, kein weiteres Wort darüber zu lesen (einschließlich der folgenden Absätze)“ (wie die Website AV Club schrieb).
Michael Stone (gespielt von David Thewlis), ein Brite aus Los Angeles, landet in Cincinnati – dem Sinnbild für den öden mittleren Westen der USA. Er schreibt Bücher über Kundenbetreuung. Als Motivationsredner ist es sein Job, Menschen beizubringen, Freundlichkeit und Intimität im Interesse des Profits zu simulieren. Kein Wunder, dass Stone sein komplettes Leben nicht nur langweilig, sondern auch immer irrealer findet.
Stone checkt im Hotel „Fregoli“ ein – wie in anderen Kaufman-Filmen tauchen die Namen von seltenen Wahnvorstellungen prominent auf. Mit jeder Interaktion in der neuen Stadt – im Taxi, an der Hotelrezeption, am Telefon mit seiner Frau, in der Bar mit einer Exfreundin – wird die Frage immer lauter: Sind diese Menschen überhaupt echt?
Und plötzlich eine Anomalie: Eine Frau namens Lisa (Jennifer Jason Leigh) durchbricht – aus vollkommen unerklärlichen Gründen – die graue Eintönigkeit. Ist die große Liebe für Stone die Antwort auf die erdrückende Sinnlosigkeit? Menschen, die schon Filme von Kaufman kennen, wird es nicht überraschen, dass die Vereinzelung am Ende auch die Liebe besiegen kann.
Heute sucht jede*r endlos sein*ihr Glück in Zweierbeziehungen. Die bürgerliche Gesellschaft behauptet stets, dass Ende der Geschichte sei erreicht – soziale Veränderungen seien nach dem „Tod des Kommunismus“ nicht mehr möglich. Und weil man nicht über einen Ausweg aus der Profitgesellschaft nachdenken darf, träumen immer mehr Jugendliche in der „Generation Merkel“ vom Glück in der bürgerlichen Kleinfamilie.
Kaufman kann diese brennende Sehnsucht in schönen und schrecklichen Bildern zusammenfassen. Aber genauso zeigt er auf, dass diese ewige Suche nach der alles erfüllenden Zweierbeziehung der Suche nach dem Ende des Regenbogens gleicht: eine schöne, jedoch nie erreichbare Vorstellung.
Die Schlussfolgerung für den Surrealisten Kaufman ist Depression und ein gelegentlicher Funke Hoffnung. Für Marxist*innen hingegen gilt es, gegen diese Gesellschaftsform zu kämpfen, die die menschlichen Bedürfnisse der Anhäufung von Kapital unterordnet: Erst in einer Gesellschaft, in der die Menschen ihre Leben selbst verwalten, wird die Einsamkeit ein Ende haben.