„Angst ist ein gesunder Instinkt“ – Was Deutschland von Israel lernen kann

25.11.2016, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Laut dem neuen Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes kann man viel von Israel lernen. Was meint er damit? Geht es darum, die israelischen Praktiken der Überwachung, des Racial Profiling und der städtischen Kriegsführung zu übernehmen? Von Israel kann man sogar noch mehr lernen: Wie man einen rassistischen Polizeistaat legitimiert.

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Am Montag Abend veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung Israel in Jerusalem eine Diskussion unter dem Titel „Fighting Terrorism – Should Germany take a lesson from Israel?“. Obwohl die Heinrich-Böll-Stiftung die parteinahe Stiftung der Grünen ist, klang die Gästeliste eher nach einem CSU-Event: Eingeladen war der neue Präsident des Thüringer(!) Verfassungsschutzes Stephan J Kramer, Arye Sharuz Shalicar, Presseroffizier der israelischen Armee, Emily Landau, eine konservative Journalistin und Eva Illouz, eine linksgerichtete Professorin. Letztere verließ allerdings ziemlich bald die Diskussion, sodass unter den Gästen niemand mehr war, der nicht leidenschaftlich die israelische Armee verteidigte.

Der ARD-Korrespondent Torsten Teichmann begann mit einer Einleitung über die Anschläge in Paris. Der Schock und die Angst der Europäer*Innen nach der Serie von Terroranschlägen in Europa erinnere ihn an die Situation in Israel während der zweiten Intifada. Viele Israelis erhofften sich von Europäer*innen nun endlich besser verstanden zu werden, da sie nun ebenfalls direkt von Terrorismus bedroht seien. Teichmann wollte anschließend von seinen vier Gästen wissen, ob Europa von Israel in puncto Terrorbekämpfung lernen solle.

Im Endeffekt war dies weniger die Frage der Diskussion als ihre Grundannahme. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Kramer nahm die Vorlage dankend an: Natürlich sei Israels Kampf gegen Terror „wegweisend“. Viele der effektiven Praktiken könne man sich bei Israel abschauen: Klar bräuchte man mehr „Profiling“, kontrolliertere Einwanderung und Überwachung von „Second Societies“. Auch Sharuz Shalicar stimmte der Annahme zu. Zwar wären Israel und Europa nicht in der gleichen Situation. Trotzdem sei die israelische Armee extrem kompetent in der Prävention, Intervention und Repression von Terrorismus und Europa könne in vielerlei Hinsicht von der israelischen Expertise lernen. Emily Landaus Beiträge wichen auch nicht besonders vom Krieg-gegen-den-Terror-Konsens der Runde ab. Wie die Hamas Israel auslöschen wolle, wollen islamistische Terroristen die westlichen Gesellschaften auslöschen.

Erstaunlicherweise wurde während der etwa zweistündigen Veranstaltung kein einziges Mal darüber gesprochen, das Israel schon längst damit angefangen hat, militärisches Know-how nach Europa einschließlich Deutschland zu exportieren.

Laut einem Papier des Verteidigungsministeriums sei „die militärische Kooperation mit Israel […] wegen des Leistungsstands der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Israel Defense Forces, IDF), deren Erfahrungen im Einsatz und im Kampf gegen Terrorismus für die Bundeswehr von besonderem Interesse“. Allein 2015 gab es 72 gemeinsame Maßnahmen zwischen dem Bund und der IDF. Seit 2010 werden Pilot*innen der Bundeswehr in Israel ausgebildet. Bereits seit Jahren ist geplant, dass Bundeswehrsoldat*innen in Israel im Häuser- und Tunnelkampf ausgebildet werden. Die israelische Armee verfügt über das sogenannte „Urban Warfare Training Center“ – eine nachgebaute arabische Stadt in der die Soldat*innen für die urbane Kriegsführung in der Westbank und Gaza ausgebildet werden. Sogar die Spezialeinheit GSG 9 wurde mit Hilfe des israelischen Militärs geformt. Das Selbe gilt für etliche europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich.

Die eigentliche Frage der Veranstaltung stellt sich gar nicht: Am Montag sprachen die Experten zwar abwechselnd darüber, wie toll sie es fänden, wenn Europa etwas von Israels Anti-Terror-Strategien lernen würde. Aber dieses Verhältnis existiert schon seit Jahren. Es ist als würde man mit dem Thüringer Verfassungsschutz eine Diskussionsrunde darüber haben, ob man anfangen sollte, rechte Gruppen mit Waffen zu versorgen.

Scheinbar ging es mehr um die Frage der Legitimation. In Israel ist es normal vor jeder Shoppingmall und jedem Bahnhof seine Taschen durchleuchten zu lassen, Racial Profiling ist Gang und Gäbe, das Militär hat extrem hohes Ansehen. Sicherheit hat innen und außenpolitisch die höchste Priorität, Überwachungskameras und bewaffnete Zivilist*innen gehören zum ganz normalen Stadtbild, die Überwachung und Zensur ist nicht mit Deutschland zu vergleichen. Die kollektive Angst vor Terrorismus macht es möglich.

„Angst ist ein gesunder Instinkt“ und „Alle Deutsche wünschen sich mehr Sicherheit“ sagte Kramer außerdem. Nicht Sicherheit vor Vereinen wie dem NSU versteht sich: „Es gibt auch rechten Terrorismus, aber die Nummer eins der Gefahren für die Demokratie ist islamischer Terrorismus“ – die antideutschen Studenten in der vorderen Reihe klatschen.

Es geht nicht nur um den Export von Technologien, sondern um den Export von Angst und Rassismus. Wie verkauft man seinen Bürgern einen Überwachungsstaat? Als Sharuz Shalicar sagt „Wir brauchen mehr Hasbara!“ (offizieller Name für die Propaganda des israelischen Staates), nickt Kramer langsam mit dem Kopf. Das ist, was der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes meint, wenn er sagt „Wir können viel von Israel lernen“: Israel ist der Ort, an dem die Heinrich-Böll-Stiftung eine Veranstaltung machen kann, die selbst der CSU wahrscheinlich zu rassistisch wäre. Israel ist der Ort, an dem der ARD-Korrespondent sagen kann „nicht bloß ein Afghane, ein afghanischer Flüchtling! Nennen wir es beim Namen“. Israel ist der Ort, an dem wir die einzigen waren, die lachen mussten, als jemand seinen Redebeitrag mit „Ich bin überhaupt nicht rassistisch, ich habe auch muslimische Freunde, aber…“ beginnt.

Nicht nur Häuserkampf und Racial Profiling ist, was deutsches Militär und Geheimdienste von Israel lernen können. Israel ist der Prototyp für einen rassistischen Polizeistaat. Es ist pervers, dass Kramer als Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen, wo sich die Anzahl der Anschläge auf Geflüchtetenlager von 2014 bis 2015 versiebenfacht hat, islamischen Terrorismus als „Gefahr Nummer Eins“ bezeichnet. Umso verständlicher ist, was Kramer von Israel wirklich lernen möchte: Segregation, Überwachung und das Schüren von Angst.

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