Angriffe im Süden, Bombenhagel auf Beirut: Wie weit geht Israels mörderischer Feldzug im Libanon?

04.10.2024, Lesezeit 7 Min.
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Die Hisbollah und Israel stießen an mehreren Orten in der Nähe der Grenze erneut heftig zusammen, während das israelische Militär mehrere hundert Meter in libanesisches Gebiet eingedrungen ist. Die tödlichen Bombenangriffe im Süden des Landes und in Beirut werden fortgesetzt.

Seitdem die israelischen Truppen in der Nacht auf Dienstag gegen 1 Uhr morgens (MEZ) die Grenze zum Libanon überschritten haben, sind nur wenige Informationen über die Ereignisse an der Front durchgesickert. In mehreren Berichten, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, bestätigte die Hisbollah, dass sie sich im Kampf mit den israelischen Kolonialtruppen befänden. Den Hisbollah-Berichten zufolge finden die Kämpfe in der Nähe der Grenze bei den Dörfern Marun ar-Rass und Odaisseh statt.

Israelische Bodenoffensive im Süden und heftige Zusammenstöße

Nach den von der Hisbollah veröffentlichten Informationen scheinen die Kämpfe besonders heftig zu sein: Fünf israelische Panzer seien in Marun ar-Rass zerstört worden, während die israelische Armee am Mittwochabend den Tod von acht Soldaten bestätigte. Obwohl die israelische Armee den Informationsfluss von der Front unterbindet, berichtet die hebräische Tageszeitung Yediot Aharonot von den Schwierigkeiten der IDF (Israeli Defence Forces)  vor Ort und spricht sogar von einer „Katastrophe“. Diese Befürchtungen werden durch die inoffiziellen Bilanzen lokaler libanesischer Quellen gestützt, die am Mittwochmorgen die israelischen Verluste im Süden auf mehrere Dutzend Verletzte (etwa 70 Soldat:innen) und etwa zehn Tote schätzten. Laut der Zeitung al-Manar, die der libanesischen Partei angehört, sollen israelische Hubschrauber dabei sein, die Verletzten zu evakuieren. Yediot Aharonot berichtete, dass etwa 30 Hisbollah-Kämpfer:innen getötet worden seien, was die Partei jedoch nicht bestätigte.

Derzeit halten sich die israelischen Luftangriffe in Grenzen. Die libanesische Armee berichtet, dass die israelischen Streitkräfte in Kherbet Yaroun und vor den Toren von Odaisseh nur 400 Meter in libanesisches Gebiet eingedrungen seien. Die IDF erließ weiterhin wiederholt Evakuierungsbefehle, während die tödlichen Bombenangriffe in der Bekaa-Ebene und im Südlibanon sowie auf Beirut, das seit mehreren Tagen beschossen wurde, fortgesetzt werden.

Seit der Ermordung von Hassan Nasrallah am Abend des 27. September bei einem Bombenangriff in den südlichen Vororten der Stadt hat Israel seine Angriffe intensiviert und am Sonntag im Stadtteil Cola drei führende Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) getötet. Am Mittwochabend zerstörte die israelische Armee ein Zentrum des Islamischen Gesundheitskomitees, einer der Hisbollah nahestehenden Wohltätigkeitsorganisation. Dabei wurden neun Menschen getötet und 17 verletzt, darunter Helfer:innen und Freiwillige. Am 3. Oktober soll Israel das Pressezentrum der Hisbollah getroffen haben, wie libanesische Quellen berichteten.

Hisbollah hält ihre Stellungen im Süden

Die Hisbollah scheint ihre Stellungen vorerst zu halten und führt begrenzte Angriffe auf israelische Stellungen auf der anderen Seite der Grenze durch, wo neue Truppeneinheiten positioniert wurden. Den Verlautbarungen der libanesischen Partei zufolge feuerten ihre Kämpfer:innen mehrere Raketen auf „Ansammlungen von Soldaten“ in der Nähe von Hanita und Misgav Am ab und sprengten mehrere mit Sprengfallen versehene Grenzübergänge, während israelische Truppen diese überquerten. Am frühen Nachmittag bekannte sich die Hisbollah zu einem Doppelangriff auf einen israelischen Panzer, der die Grenze nicht überquert hatte, und auf eine Einheit von Soldaten von Odaisseh aus.

Obwohl die Partei viele militärische Schläge einstecken musste, scheint es ihr derzeit zu gelingen, dem begrenzten Vorstoß der israelischen Streitkräfte standzuhalten. Es scheint, dass die Grenze an vielen Stellen mit selbstgebauten Sprengfallen wie den von der Hamas entwickelten „Sajil“-Minen versehen wurde. Diese Minen, die aus den Überresten israelischer Raketen entwickelt wurden, enthalten mehrere hundert Metallsplitter und werden häufig gegen Bodentruppen eingesetzt.

Laut L’Orient-Le-Jour soll sich die libanesische Armee nach mehreren Angriffen nun auch in den Kampf mit den israelischen Streitkräfte begeben haben. Nachdem die Streitkräfte ihre Stellungen an der Grenze aufgegeben hatten, wo die Hisbollah ihre Kämpfer am Montagabend vor Beginn der Invasion rasch in Stellung gebracht hatte, blieben sie passiv und warteten auf einen direkten Befehl der libanesischen Regierung. Nach mehreren Angriffen erwiderte eine libanesische Einheit am Nachmittag das Feuer auf einen israelischen Angriff in Bint Dschubaill.

Die israelische Invasion könnte sich ausweiten

Obwohl sich die Invasion bislang auf begrenzte Angriffe beschränkte, deutet die Größe der an der Grenze stationierten Truppen auf eine Ausweitung der israelischen Offensive hin. Am Montagmorgen waren die 45.000 Mann an der Grenze bereits durch Panzerkolonnen und aus Gaza verlegte Truppen verstärkt worden. Seit Mittwoch haben sich auch mehrere Spezialeinheiten, darunter die Golani-Brigade, und eine Panzerkompanie an der Grenze positioniert [1].

Die noch vorsichtige Bodenoffensive Israels mobilisiert Strategien, die während des Krieges auf Gaza entwickelt wurden, um der Armee zu ermöglichen, Hinterhalte zu vermeiden und die Hisbollah daran zu hindern, einen effektiven Guerillakrieg zu führen. Mit Blitzangriffen aus befestigten Stellungen versucht die IDF höchstwahrscheinlich, eine Blockade ihrer Streitkräfte zu vermeiden und nicht die gleichen Fehler wie 2006 zu begehen [2]. Wie in Gaza wird jeder Bodenangriff durch heftigen Luftwaffenbeschuss unterstützt.

Obwohl israelische Offiziere gegenüber Diplomaten beteuerten, dass die Offensive „begrenzt“ bleiben sollte – wie sie es auch für Gaza behauptet hatten –, könnte Israel versucht sein, weiter in libanesisches Gebiet vorzustoßen. Angesichts der mobilisierten Streitkräfte, die etwas kleiner sind als die im Krieg von 2006 eingesetzten Truppen, könnte Israel tiefgreifende Angriffe durchführen und Tyros oder andere Städte im Süden anvisieren, die bereits mit Granaten beschossen wurden.

Während die libanesische Regierung die Umsetzung der UN-Resolution 1701 fordert, die den Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon beinhaltet, berufen sich israelische Diplomaten auf die Resolution 1559, um ihre Angriffe zu rechtfertigen. Diese Resolution wurde 2004 im Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen pro-syrischen und anti-syrischen Kräften im Libanon, der damals unter militärischer Besatzung stand, verabschiedet und sah die Entmilitarisierung der von Damaskus unterstützten Milizen, darunter die Hisbollah, vor. Durch die Verwendung dieser Resolution instrumentalisiert Israel die internen Konflikte in der libanesischen Gesellschaft und droht mit einem noch viel tödlicheren Feldzug.

Die imperialistischen Mächte gewähren Israel bei seinem Feldzug im Libanon vollen Handlungsspielraum und beteiligen sich nach dem Vorbild Frankreichs, Großbritanniens und der USA an der Verteidigung Israels gegen den Iran. Die völlige Straffreiheit der israelischen Führung lässt für den Krieg im Libanon das Schlimmste befürchten. Die Bombenangriffe gehen im ganzen Land weiter und obwohl der Vormarsch der IDF-Truppen im Süden noch begrenzt ist, könnte es sein, dass Israel die Tausenden von Soldat:innen, die noch an der Grenze stationiert sind, auf den Libanon hetzt.

Während sich der Libanon in einer gefährlichen Lage befindet und der israelische Gegenschlag auf die vom Iran geführten Angriffe am Dienstagabend einen regionalen Krieg auslösen könnte, liegt der Schlüssel zur Lösung der Situation in den Händen der Völker und Arbeiter:innen in der Region. Ihre Mobilisierung gegen ihre korrupten Regierungen, die unter der Fuchtel der Imperialisten stehen, und gegen den Kolonialstaat Israel ist die Voraussetzung für die Beendigung des Krieges im Libanon und des Völkermords in Gaza. Nur eine revolutionäre Mobilisierung der Volks- und Arbeiter:innenmassen in den arabischen Ländern kann einen Flächenbrand in der gesamten Region verhindern. Während Israel mehr denn je auf die Unterstützung der imperialistischen Mächte angewiesen ist, könnten Solidaritätsproteste in den westlichen Ländern eine ebenso entscheidende Rolle spielen, indem sie die Just-in-time-Lieferungen von Munition und tödlichen Waffen unterbrechen, mit denen Israel überall in der Region Massenmorde begeht.

Dieser Artikel erschien zuerst am 3. Oktober 2024 auf Französisch bei revolutionpermanente.fr.

Fußnoten

[1] Tatiana Krotoff, „Steht eine israelische Bodenoffensive im Libanon unmittelbar bevor?“, L’Orient-Le-Jour, 29. September 2024.

[2] Daniel Byman, „Can Israel Kill Its Way to Victory Over Hisbollah?“, Foreign Policy, 29. September 2024.

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