Amadeu Antonio Stiftung im Dienste der israelischen Rechten

16.11.2017, Lesezeit 9 Min.
Gastbeitrag

In ihrer Veröffentlichung „Lagebild Antisemitismus 2016/2017“ versucht die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch motiviert darzustellen, diffamiert die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, fordert die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch nationalistische Bekenntniszwänge und führt die Zunahme von Antisemitismus auf den Zuzug linker Israelis nach Berlin zurück. Ihre diffamierenden Behauptungen gegen Kritiker der israelischen Besatzung laufen jedoch ins Leere. Hiermit dokumentieren wir die Stellungnahme der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost.

1

Wir sind eine Organisation, die die Arbeit der AAS im Allgemeinen und insbesondere ihren Einsatz gegen Rechtsextremismus schätzt, und ihr bei rechtspopulistischen Angriffen solidarisch zur Seite steht. Andererseits mussten wir in den letzten Jahren feststellen, dass einige ihre Äußerungen und Initiativen zum Themenkomplex Antisemitismus und Israel dem eigenen Anspruch der Stiftung zuwiderlaufen, „eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“.

So auch die jüngste durch Bundesmittel geförderten Veröffentlichung der Stiftung zum Thema Antisemitismus, die sich vor allem durch nicht belegte Behauptungen, Verallgemeinerungen und Manipulationen von Fakten auszeichnet. Als roter Faden zieht sich durch die gesamte Publikation der Versuch, die in Deutschland verbreiteten rechtsextremistischen und religiös motivierten Formen des Antisemitismus mit Kritik an der Politik des israelischen Staates gleichzusetzen. Die mit einer solchen Gleichsetzung einhergehende Relativierung von menschenverachtenden Ideologien nimmt die Stiftung dabei ebenso in Kauf wie den Umstand, dass sie die hiesige palästinensische Community und linke Israelis unter Generalverdacht stellt.

Wegen des Umfanges der Publikation und der teilweisen Inkonsistenz der Argumentation beschränken wir uns hier auf nur wenige extreme Beispiele des propagandistischen Schreibstils, der die Publikation kennzeichnet.

Menschenrechtsorganisationen als Feindbild

Zuerst fällt der Versuch der Stiftung auf, kritische Beiträge in deutschen Medien zur israelischen Politik als antisemitisch zu brandmarken. Als Beispiel für „israelbezogenen Antisemitismus“ nennen die Autor_innen einen Beitrag der ARD-Tagesschau, die über die Wasserknappheit in den besetzten palästinensischen Gebieten berichtete und werfen der Redaktion vor, eine „teils sehr bewusste“ Dämonisierung Israels mit „Halbwahrheiten und Lügen“ zu betreiben. Indem die Sendung behaupte, dass Israel „die ohnehin knappe Ressource Wasser“ für die Palästinenser_innen rationiere, schlössen die Journalist_innen an eine „antisemitische Legende“ an.

Dass keine Belege für die behaupteten „Lügen“ des ARD-Teams angebracht werden, ist kein Zufall – da sich dort auch keine finden lassen. Um die Diffamierung des ARD-Teams aufrechtzuerhalten, verschweigt die Stiftung die seit Jahren von israelischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International, Human Rights Watch und Btselem, dokumentierte diskriminierende Wasserpolitik Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten; eine Politik, über die auch immer wieder in Quellen wie der israelischen Tageszeitung Haaretz berichtet wurde. Diese belegen, dass die Palästinenser_innen sowohl in der Westbank als auch in Gaza durch die israelische Kontrolle der Wasserressourcen chronisch unter extremer Wassernot leiden, während die benachbarten jüdischen Siedlungen jederzeit mit Wasser versorgt werden.

Der Versuch, die Arbeit von renommierten Menschenrechtsorganisation als antisemitisch zu brandmarken ist unerhört und bagatellisiert in extremer Weise Antisemitismus für politische Zwecke. Zudem erinnert diese Verleumdung an das Vorgehen von Regimes jeglicher Couleur, die der Arbeit von Menschenrechtsaktivist_innen die Legitimität absprechen.

Die Verschwörungstheorie um die BDS-Kampagne

Wenn sich die Stiftung kritisch der Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen den Staat Israel zuwendet, sollte man erwarten dürfen, dass sie sich auch den eindeutig formulierten Aufruf eines breiten Bündnisses der palästinensischen Zivilgesellschaft ansieht. In diesem Aufruf, wie auch in der nunmehr seit 13 Jahren bestehenden Praxis der Kampagne, wird an keiner Stelle, wie von der AAS behauptet, eine Nicht-Zusammenarbeit mit Israelis gefordert. Dies widerspräche der Logik der Kampagne, denn sie wendet sich nicht gegen Israelis oder überhaupt gegen Personen, sondern gegen – häufig internationale, nicht unbedingt israelische – Institutionen oder Unternehmen, die zu den israelischen Verletzungen der Rechte der Palästinenser_innen beitragen oder davon profitieren.

Die Darstellung der BDS-Kampagne als von verdeckten finsteren Absichten getrieben, die sich hinter „gewollt ungenau“ formulierten Zielen verbergen, während es ihr tatsächlich um die Zerstörung des Staates Israel gehe, grenzt an verschwörungstheoretisches Denken und lässt sich in der Publikation nur mit dem Verweis auf Schriften Likud-naher Organisationen bestätigen. Als bloße Propaganda ist zudem auch die Argumentation zu bewerten, mit der Forderung zur Beendigung der „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ bezöge sich die Kampagne auf das gesamte Territorium des historischen Palästina und strebe also de facto die „Abschaffung Israels“ an. Diese unseriöse Behauptung wirkt noch unehrlicher angesichts des deutschlandweiten BDS-Aufrufs, der auf der gleichen Webseite steht, auf der die Autor_innen der Stiftung selbst verweisen. Dort heißt es, um genau diese Unterstellung zu entkräften, die Forderung zur „Beendigung der Besatzung und Kolonialisierung des 1967 besetzten arabischen Landes“. Oder ist dieser deutsche Aufruf, den die Mehrheit der BDS-solidarischen Organisationen hierzulande unterschrieben haben, auch nur ein Teil der Verschleierungsstrategie der ominösen Pläne der BDS-Aktivist_innen?

Sind Israelis und Juden doch Schuld am Antisemitismus?

An Dreistigkeit übertrifft sich die Stiftung schließlich, wenn sie den Einsatz von Jüdinnen und Juden für die Menschenrechte der Palästinenser_innen in den hiesigen linken Kreisen mit dem Verdikt des Antisemitismus belegt und eine linke Strategie ausmacht, entsprechend der Juden die Formulierung von „israelfeindlichen Positionen“ überlassen würde. Mit dieser pauschalisierenden Aussage werden nicht nur linke Jüdinnen und Juden diffamiert, sondern ihnen wird sogar die eigene Sprechposition abgestritten: Sie werden als Marionetten eines antisemitischen Spiels charakterisiert, wenden sich aber nicht selbst gegen die Politik eines Staates, der stets proklamiert, in ihrem Namen zu agieren. Noch schamloser ist es, wenn die Stiftung den Zuzug „vieler, auch linker, antizionistischer Israelis nach Berlin“ für eine angebliche Zunahme antisemitischer Aktivitäten verantwortlich macht. Diese Polemik gegen linke Israelis, die an Äußerungen rechtsradikaler Politiker in Israel erinnert, will nicht nur das Engagement von migrantischen Aktivist_innen diskreditieren, sondern scheint an ein antisemitisches Klischee anzuknüpfen, an das Anette Kahana in der Einleitung – selbstverständlich kritisch – erinnert: Die Juden seien selbst schuld am Antisemitismus – ein Vorurteil, dem hier die Stiftung selber zu erlegen scheint.

Bekenntniszwang zum ethnischen Nationalismus

Zuletzt gibt die Stiftung ihrer Aufgabe entsprechend Ratschläge zur Behandlung des von ihr beschriebenen Übels. Was ist laut AAS gegen unliebsame Kritiker_innen der israelischen Politik und Unterstützer_innen der BDS-Kampagne zu tun? Die Antwort: Wer sich jemals zu BDS bekannt hat, darf in öffentlich oder privat geförderten Veranstaltungen (egal zu welchem Thema) nur noch auftreten, wenn der- oder diejenige sich „klar zum Existenzrecht von Israel als jüdischem Staat“ positioniert. Nun mag sich jede/r selber fragen, was von einem solchen Bekenntniszwang, in welchem Kontext auch immer, zu halten ist. Erinnert sei nur daran, dass sich die AAS selbst vor einigen Jahren vehement gegen einen antifaschistischen Initiativen abverlangten Bekenntniszwang zum deutschen Grundgesetz ausgesprochen hat.

Bemerkenswert in diesem Kontext ist die Forderung, Künstler_innen oder Referent_innen dazu zu verpflichten, sich nicht nur zum Existenzrecht Israels zu bekennen, sondern zu seiner „jüdischen“ Selbstdefinition, also zu einer in Israel höchst umstrittenen Privilegierung des Staatswesens für eine Ethnie bzw. Religion. Ähnlich wie die rassistischen israelischen Minister Avigdor Lieberman und Miri Regev will auch die AAS Personen, die ein säkulares Israel fordern, in dem alle Bürger_innen gleiche Rechte genießen, aus der Öffentlichkeit verdrängen. Einen solchen Bekenntniszwang bewerten wir als schwerwiegenden Angriff auf die Kunstfreiheit und auf die demokratische Zivilgesellschaft in Israel-Palästina. Ähnliche Forderungen der israelischen Regierung wurden in der Vergangenheit scharf kritisiert, wie zum Beispiel vom jährlich erscheinenden Friedensgutachten, das solche Initiativen als gefährdend für die israelische Demokratie bewertete. Dass es dabei besonderes darum geht, kritische israelische Stimmen zum Schweigen zu bringen, zeigte sich diesen Sommer als die Stiftung genau diese Forderung an israelische Künstler_innen in einer Berliner Galerie stellte, wo diese ihre Arbeit präsentierten.

Leider kein Experte für Antisemitismus

Die unlautere Argumentation der Stiftung in dieser Publikation scheint eher dem Bestreben geschuldet zu sein, sich an der Kampagne der israelischen Regierung zu beteiligen, Kritiker_innen der Besatzungspolitik innerhalb und außerhalb des Landes zu dämonisieren und zum Schweigen zu bringen, als sich um eine differenzierte und anti-rassistische Kritik verschiedener Erscheinungsformen des Antisemitismus hierzulande zu bemühen. Die schlecht recherchierte, polemische und zum Teil mit verleumderischen Behauptungen operierende Studie lässt kaum auf sachlich fundierte Urteile seitens der Mitarbeiter_innen der Stiftung in diesem Zusammenhang hoffen. Die Praxis der Stiftung, nicht-öffentliche Gutachten über Personen zu erstellen, die des Antisemitismus beschuldigt wurden, und sie deren Arbeitsgeber_in zuzuschicken, wie im Fall einer Hochschullehrerin in Hildesheim oder einem israelischen Künstlerkollektiv in Berlin geschehen, betrachten wir als höchst problematisch – insbesondere angesichts der von uns hier skizzierten erheblichen Mängel der vorliegenden und öffentlich geförderten Studie. Wir wünschen uns daher, dass Medienvertreter_innen und Andere, die sich auf die Expertise der Stiftung berufen, deren Veröffentlichungen kritisch betrachten ehe sie Einschätzungen und Anschuldigungen übernehmen, die sich möglicherweise als tendenziös und schlichtweg falsch erweisen.

Eine fundierte und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit antisemitischem Gedankengut in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch innerhalb linker und migrantischer Kontexte, betrachten wir als unerlässlich. Leider versäumt die AAS diese wichtige Aufgabe zu erfüllen und zieht vor, der Netanyahu-Regierung in deren Kampagne gegen die demokratische Zivilgesellschaft im Inland wie im Ausland beizustehen.

Ursprünglich in der Jüdischen Stimme veröffentlicht.

Mehr zum Thema