Als ob sie Pakete wären: Verschärftes EU-Asylrecht erleichtert Massenabschiebungen
Die Innenminister:innen der EU haben die Eckpunkte einer europaweiten Asylrechtsreform beschlossen. Die massive Verschärfung des Asylrechts sieht insbesondere vor, Geflüchtete an den Außengrenzen leichter in Drittstaaten abschieben zu können.
Am Donnerstag haben die Innenminister:innen der EU-Mitgliedstaaten eine neue Migrationspolitik ausgehandelt. Der „Pakt zu Migration und Asyl“ ist fertiggestellt, auch wenn eine Einigung über das konkrete Regelwerk noch aussteht. Ein Hauptpunkt der Einigung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bis zu 30.000 Geflüchtete in andere Länder zurückschicken können, die als Transitländer gelten. Diejenigen, die vor Elend und Kriegen fliehen, werden von den imperialistischen Ländern als bloße Pakete betrachtet. Europaweit sollen Geflüchtete aus sogenannten “sicheren” Herkunftsländern künftig in “Aufnahmeeinrichtungen” – also de facto Haftlager – gebracht werden, und dort in gefängnisartigen Bedingungen auf ihr Urteil warten. Innerhalb von zwölf Wochen soll über ihr Schicksal entschieden werden, und bei einer Ablehnung des Asylantrags sollen sie unmittelbar abgeschoben werden.
Obwohl die Staaten die endgültige Version des Abkommens noch mit dem Europäischen Parlament aushandeln müssen, haben die Innenminister:innen der meisten der 27 Mitgliedsstaaten in Luxemburg einen „historischen Pakt“ geschlossen, wie es die schwedische Innenministerin Maria Malmer, die die rotierende Präsidentschaft der Europäischen Union innehat, ausdrückte.
Demnach kann jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden, in welches Land Migrant:innen gebracht werden sollen, die er selbst als asylunwürdig ablehnt. Sie müssen lediglich eine „Verbindung“ zu diesem Drittland nachweisen. Auf Betreiben der ultrarechten italienischen Regierung von Giorgia Meloni wurde jedoch die Definition der „Verbindung“ zwischen dem Land, das Migrant:innen das Asyl verweigert, und dem Land, das sie aufnehmen würde, gelockert. Seit dieser Vereinbarung reicht der Nachweis aus, dass sich die Person, die Asyl beantragt, in dem anderen Land aufgehalten hat. Der Spanische Staat (der täglich Tausende von afrikanischen Migrant:innen abschiebt) hat diese Verhandlungen nachdrücklich unterstützt. Diese neue Definition ist nicht unbedeutend, denn Italien kann mit dieser neuen Regelung Migrant:innen beispielsweise nach Tunesien überstellen, weil es ein Transitland für Menschen ist, die aus verschiedenen nordafrikanischen Ländern in das europäische Land migrieren.
Die europäischen imperialistischen Länder versuchen, die Migrationskrise mit Gesetzen zu „lösen“, die die Migrant:innen wie Pakete behandeln. Um die Unterzeichnung dieses Abkommens zu erreichen, reiste Meloni am vergangenen Dienstag nach Tunesien, um den tunesischen Präsidenten Kais Saied zu überzeugen. Dabei setzte sie auf Erpressung (in Form von Zuckerbrot und Peitsche). Sie versprach, das Projekt des Hochspannungs-Seekabels voranzutreiben, das die beiden Länder miteinander verbindet und zusätzlich zu dem noch ausstehenden Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar von der Finanzierung durch die Europäische Union abhängig ist.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, und der niederländische Innenminister Mark Rutte zusammen mit Meloni in den kommenden Tagen nach Tunesien reisen werden, um die Vereinbarungen mit dem afrikanischen Land abzuschließen.
Die von den EU-Mitgliedern unterzeichnete Vereinbarung sieht außerdem vor, dass die Länder, die die umgesiedelten Migrant:innen nicht aufnehmen, eine Gebühr von 20.000 US-Dollar pro Person an einen EU-Fonds entrichten müssen. Bulgarien, Litauen, Malta und die Slowakei enthielten sich bei der Abstimmung über das Abkommen, während Ungarn und Polen es ablehnten. Diese Länder werden im Rahmen des Abkommens als „Transitländer“ betrachtet.
Unterdessen bezeichnete die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Abkommen wie ihre Amtskolleg:innen als „historischen Erfolg“.
Der historische Erfolg der Regierungen besteht darin, im Namen des angeblichen Schutzes der Menschenrechte flüchtende Menschen in Lager zu stecken und sie sich gegenseitig zuzuschieben wie Objekte. Es ist ein Erfolg für die Festung Europa, das Recht auf Asyl weiter auszuhöhlen und weiterhin Tausende Tote in Kauf zu nehmen. Faeser versucht die menschenverachtende Politik des deutschen Imperialismus dadurch zu rechtfertigen, dass man sich mehr um die Rechte flüchtender Kinder kümmern wolle, was nichts als Augenwischerei ist.
Angeblich gehen Faesers Aussagen sogar Teilen der Grünen zu weit. Vorsitzende Ricarda Lang kritisierte die Abstimmung, jedoch nur deswegen, weil die grundsätzliche Aufnahme von Kindern und ein verpflichtender Verteilmechanismus auf die Mitgliedsstaaten nicht in der EInigung enthalten sind. Eine Kritik an den Haftlagern an den Außengrenzen gab es nicht.
Von der Grünen Jugend kam auch rhetorische Kritik. Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich gab sich “fassungslos” und ihr Amtskollege Timon Dzenius spuckte große Töne, als er sagte, er “werde das so nicht akzeptieren”. Auch Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal kritisierte die Entscheidung. Doch über Rhetorik hinaus folgen wohl keine Konsequenzen.
Die Ampelregierung und ihre Parteien und Jugenden können sich in einigen Punkten uneinig sein. Doch sie eint weitaus mehr: Sie halten fest an der Festung Europa, der Abschottung der europäischen Imperialismen von der Flucht von Millionen Menschen, die oft erst durch die Waffenlieferungen, Handelsdeals und CO2-Emissionen europäischer Großkonzerne ihre Heimat verlassen müssen. Verantwortlich sind auch die Landesregierungen, von Linkspartei bis CDU, die Abschiebungen durchführen und den Repressionsapparat ausbauen.
Die Gegenseite sind die Arbeiter:innen, Jugendlichen und Geflüchteten, die gegen die Festung Europa auf die Straße gehen, wie auf dem Protestcamp der Initiative “Abschiebezentrum BER verhindern”, oder den verschiedenen Kundgebungen, die heute in Ablehnung der Einigung in mehreren Städten stattfinden werden.
Dieser Artikel basiert auf einer Übersetzung eines Artikels unserer Schwesterseite La Izquierda Diario.