All Eyes on Rafah statt Kriminalisierung der Palästinasolidarität

14.02.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Waffen der Kritik

Wie Medien, Politik und Unileitungen die Palästinasolidarität kriminalisieren, um nicht über den Genozid sprechen zu müssen. Statement von Waffen der Kritik an der FU Berlin.

Die Situation ist paradox: Eigentlich lautet die Parole der Stunde „All Eyes on Rafah“. Denn die  israelische Armee hat begonnen, die letzte Stadt im Gazastreifen zu bombardieren, in die Menschen noch vor dem Krieg flüchten konnten, und bereitet eine weitere Bodenoffensive vor. Zu den jetzt schon mehr als 30.000 Toten könnten weitere Zehntausende dazu kommen. Dem Rest der über 1,3 Millionen Menschen in Rafah drohen weitere Vertreibung und eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe als ohnehin schon. Doch seit über einer Woche sind die Schlagzeilen in den deutschen Medien von Spekulationen, Hetze und Repression gegen die Palästinasolidarität an den Berliner Universitäten und deutschlandweit dominiert.

Dabei wird die humanitäre Katastrophe jeden Tag immer unvorstellbarer: Hunderttausende wurden vertrieben, leiden Hunger und haben keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser, während Hilfslieferungen immer wieder blockiert werden. Die medizinische Versorgung ist vollständig zusammengebrochen, nachdem alle Krankenhäuser des Gazastreifens dem Erdboden gleichgemacht wurden. Unzählige Schulen und alle Universitäten der Enklave sind zerstört. 

Gegen den laufenden Genozid am palästinensischen Volk gehen seit Monaten hunderttausende Menschen in der ganzen Welt auf die Straßen, auch internationale Gewerkschaftsverbände sprechen sich für einen Waffenstillstand aus.

Während all dies geschieht, diskutieren Presse, Politik und die Universitätsleitung der Freien Universität Berlin nicht etwa über die Komplizenschaft und Heuchelei der Bundesregierung, die Waffen an Israel sendet, die die Forderung nach Waffenstillstand abgelehnt hat, und die jetzt mit leeren Worthülsen der Katastrophe in Rafah entgegenblickt. 

Nein, sie diskutieren über einen weiteren Sprung der Kriminalisierung der Palästinasolidarität an den Universitäten. Insbesondere werden Forderungen nach der Wiedereinführung der Exmatrikulation als Strafmaßnahme der Universitätsleitungen gegen die Studierendenschaft laut. Unter anderem sprachen sich der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und die Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD), ebenso wie FU-Präsident Günther Ziegler dafür aus. Die Senatssprecherin Christine Richter teilte inzwischen mit, dass das Vorhaben bei einer Senatssitzung gebilligt wurde.

Der oberflächliche Anlass dafür ist der Fall des Studenten L., der vor einer Bar in Berlin-Mitte – weit entfernt vom Universitätsgelände – mutmaßlich von einem anderen FU-Studenten geschlagen wurde. Obwohl die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch gar nicht abgeschlossen sind und keine gesicherte Version des genauen Tathergangs bekannt ist, sind sich alle einig, dass die Schuld in der Palästinasolidarität an den Universitäten zu suchen ist, und reproduzierten rassistische Stereotype des „antisemitischen Arabers“. Neben den Exmatrikulationsdrohungen wurden zudem schon Hausverbote ausgesprochen und von Seiten der Universitätsleitung Anzeige erstattet, so auch gegen das Palästinakomitee der FU Berlin aufgrund von Plakaten, die zu einer Kundgebung am vergangenen Donnerstag gegen den Genozid aufgerufen haben sowie wegen angeblicher Beleidigung gegen eine Aktivistin der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, die es gewagt hatte, die heuchlerische Doppelmoral des FU-Präsidenten anzuprangern. Kurzum: Jegliche Palästinasolidarität wird kriminalisiert und damit versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Palästinasolidarität wird mit Rechtsextremismus gleichgesetzt oder als Beförderer antisemitischer Gewalt angesehen. Dabei musste selbst die FU-Leitung zu verschiedenen Zeitpunkten anerkennen, dass von der Palästinasolidarität an der FU Berlin keine Gewalt ausging.

Im Berliner Hochschulgesetz wurde das Ordnungsrecht gegen die Studierenden erst im Jahr 2021 größtenteils abgeschafft. Das war ein längst überfälliger Schritt, denn die Universität soll kein Ort der Disziplinierung und Bestrafung, sondern ein Ort der freien Lehre und Forschung sein. Eine Wiedereinführung des Ordnungsrechts und insbesondere der Möglichkeit der Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme wäre ein schwerwiegender Eingriff in die Autonomie der Studierendenschaft und eine Rückkehr in die Zeit eines elitären und autoritären Verständnisses der Universität, wie es Studierendenorganisationen der FU Berlin seit Jahrzehnten bekämpfen. In diesem Kontext ist auch die wachsende Polizeipräsenz an der Universität anzuprangern, mit der die Unileitung schon jetzt gegen kritische Studierende durchgreift, was bei einer Wiedereinführung des Ordnungsrechts noch weiter zunehmen würde. 

Schon seit Monaten wird die Palästinasolidarität zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Gerade auch an der Freien Universität, wo die Angriffe zionistischer Studierender, der Presse und der Polizei gegen Informationsstände, Kundgebungen und eine friedliche Besetzung – seit Jahrzehnten ein klassisches Mittel der kämpferischen Studierendenschaft an der FU – ein Klima der Unsagbarkeit und der Angst hervorrufen. Wie absurd ist es, dass man sich rechtfertigen muss, gegen die Aushungerung und Bombardierung von Hunderttausenden und die drohende physische Vernichtung eines Großteils der Bevölkerung des Gazastreifens zu sein? 

Am Rande der palästinasolidarischen Kundgebung am vergangenen Donnerstag inszenierten sich zionistische Studierende mit großem Medienrummel als Opfer, nur um wenige Minuten später im Stile von Fussballhymnen das Verbrennen von Dörfern und die Bombardierung von Zivilist:innen im Gazastreifen zu feiern. Diese Provokation war so offensichtlich, dass selbst die FU sich gezwungen gesehen hat, anzukündigen, Anzeige erstatten zu wollen.

Im Studierendenparlament der FU Berlin bringen wir mit der Liste Waffen der Kritik – Klasse Gegen Klasse einen Eilantrag ein, der sich gegen diese regressive Wiederverschärfung des Ordnungsrechts und gegen die zunehmende Repression richtet. Als zweitgrößte Liste im Studierendenparlament sehen wir es als unsere Aufgabe, die Organe der Studierendenschaft dafür zu nutzen, und den Genozid und die Komplizenschaft der deutschen Medien, des Staates und der Universitätsleitung ebenso wie die wachsende Repression gegen die Palästina Solidarität anzuprangern. Wir wollen darauf hinarbeiten, eine antiimperialistische Bewegung aufzubauen:

Denn der Grund für die massive Unterstützung Israels durch die Bundesregierung und alle anderen wichtigen westlichen Mächte, ist der, dass Israel ein riesiger militärischer Stützpunkt des Imperialismus in Westasien ist. Es ist notwendig, dass der Imperialismus aus der Region herausgeworfen wird, für einen dauerhaften gerechten Frieden. Für ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen in der Diaspora. Für ein einziges, freies und sozialistisches Palästina, in dem jüdische Menschen, Palästinenser:innen und alle Menschen gemeinsam friedlich zusammenleben können.

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