All Eyes On Rafah: Doppelmoral des Auswärtigen Amtes

11.05.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: May Day am GWU Protestcamp / Diane Krauthamer (Creative Commons)

Ein neuer Instagram-Post vom Auswärtigen Amt mit dem Titel "All Eyes On Rafah - Wir hören euch. Was wir tun …" überrascht. Sie erklären, was sie angeblich alles tun würden für einen Frieden. Aber wir zeigen euch, was sie bisher wirklich getan haben und immer noch tun.

Laut dem Auswärtigen Amt bemühe sich die Bundesregierung seit dem 7. Oktober und vorher um eine Zwei-Staaten-Lösung. Seit dem 7. Oktober sind sie in noch engerem Kontakt mit israelischen Regierungsmitgliedern und sprechen wohl sehr oft miteinander – „manchmal eben hinter verschlossenen Türen“, wie sie es beschreiben. „Natürlich könne man auf Instagram nicht alles zeigen“ – sagen sie, während auf ihrem gesamten Profil ganze drei (!) Posts zum Krieg existieren, nämlich der Erste, der diesen Krieg komplett befürwortet, der Zweite, der sich über die Klage Nicaraguas (Beihilfe zum Genozid) beim Internationalen Gerichtshof entrüstet und der Dritte, jetzige Post. Aber lasst uns doch mal sehen, was sie denn „alles nicht zeigen können“ und was denn so alles „hinter verschlossenen Türen“ besprochen und entschieden wird.

1. Waffenlieferungen nach Israel verzehnfacht

Deutschland hat 2023 bis einschließlich zum 2. November die Waffenlieferungen nach Israel von 32 Millionen (2022) auf 303 Millionen erhöht. Denn für Deutschland sei der Krieg Israels gegen Gaza ein „Akt der Selbstverteidigung gegen Terror“ und damit „vollkommen berechtigt“. Während mittlerweile, nach fast 7 Monaten dauerhafter Bombardierung des Gazastreifens durch Israel, international debattiert wird, ob und wie Waffenlieferungen noch ausgeführt werden sollen, spricht Olaf Scholz nach seinem letzten Besuch darüber, dass „die Verteidigung Israels deutsche Staatsräson“ sei und legitimiert damit weitere Waffenlieferungen nach Israel. Annalena-Baerbock fliegt entspannt nach Israel, wickelt noch den ein oder anderen Deal ab, zeigt sich in der Presse dann aber als „Friedensvermittlerin“ im Sinne ihrer „feministischen Außenpolitik“. 

2. UNRWA-Hilfen gestoppt

Man bezeichnet sich unter einem vorherigen Post zur Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Genozid als „die größten Geber humanitärer Hilfe“ – stoppte aber im Januar die Zahlungen an das Hilfsnetzwerk UNRWA. Die Begründung: Angeblich sollen UN-Mitarbeiter:innen der UNRWA am 7. Oktober bei den Angriffen der Hamas beteiligt gewesen sein. Für diese Anschuldigungen fehlen bis heute sämtliche Beweise laut der UN-Expert:innenkommission, die diesen Vorwürfen nachging. Deutschland will zwar die Zahlungen nach diesem Untersuchungsbericht wieder aufnehmen, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass in der UNRWA bestimmte Reformen umgesetzt würden, weil man immer noch an der „Neutralität der UNRWA zweifle“.

3. Mehrfach gegen einen Waffenstillstand gestimmt

Die Vereinten Nationen hatten mehrere Abstimmungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen. Bis zur letzten Abstimmung stellten sich sowohl die USA als auch Deutschland vehement gegen einen Waffenstillstand. Sie sind bis heute die engsten und bedingungslosesten Verbündeten Israels in ihrem Genozid am palästinensischen Volk, wobei selbst die USA in Erwägung zieht, die Waffenlieferungen zu stoppen, wenn Israel die Bodenoffensive in Rafah starten sollte – was die USA immer noch nicht getan hat, obwohl Israel bereits mit der Offensive angefangen hat und Rafah jetzt gerade erneut bombardiert. Sogar die Hamas selbst hat mehrfach einem Waffenstillstand und den damit einhergehenden Bedingungen Israels zugestimmt – Israel weigert sich jedoch weiterhin.

4. Kriminalisierung von Palästinasolidarität

Schon direkt am 7. und 8. Oktober waren die Straßen Berlins gefüllt mit Polizist:innen, die hunderte Personen auf der Sonnenallee und am Hermannplatz kontrolliert und festgenommen haben – weil sie „Terror feiern“ würden. Nur ein paar dieser Personen haben an jenem Tag arabische Süßigkeiten auf der Sonnenallee verteilt, doch das reichte aus, um sowohl diese paar Personen zu verhaften, aber auch um die gesamte Wohnsiedlung um die Sonnenallee herum in Gesamtschuld zu nehmen und von alt bis jung nahezu alle migrantisierten Menschen wahllos zu kontrollieren und mehrfach wegen Tragen der Kufiya festzunehmen. 

Allein die Sonnenallee war wochenlang eine mobile Polizeistation: Polizeiwagen an jeder Ecke, weitere wahllose Kontrollen, Wasserwerfer in den Seitenstraßen, Abriegelung ganzer Straßenteile an Silvester, allgemeines Verbot der Kufiya auf der Sonnenallee, am Hermannplatz und in den Schulen. Im Bundestag wurde der Entschließungsantrag von CDU, SPD, GRÜNE und FDP einstimmig von allen Fraktionen angenommen – auch von der AfD und sogar der Linkspartei. Samidoun, ein Netzwerk zur Befreiung palästinensischer Gefangenen, wurde komplett verboten – auch hier hat die Linkspartei zugestimmt.

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5. Verbote und Polizeigewalt auf Palästina-Demonstrationen

In den ersten Monaten wurden alle palästinasolidarischen Demonstrationen vehement verboten. Alle Aktionen innerhalb dieser Zeit wurden mit massiver Gewalt von der Polizei aufgelöst, etliche Demonstrant:innen festgenommen und sogar Abschiebungen gegen palästinasoldarische Aktivist:innen angeordnet. Auch auf die späteren Demonstrationen, die mittlerweile wieder erlaubt waren, ging die Polizei oft mit Pfefferspray und Schlagstöcken los. Bis heute finden ständige Gewalt und Festnahmen durch die Polizei statt, auf Demonstrationen und Protestcamps – zuletzt bei der Auflösung des Camps vor dem Bundestag und bei den Camps in den Unis. Die Freie Universität Berlin hat ihre eigene Geschichte der Polizeirepression fast schon übertrumpft mit ihrem letzten Einsatz am 6. Mai, als sie innerhalb weniger Minuten sofort die Polizei gerufen hat, welche sogar in den Gängen der Universität selbst Pfefferspray gegen die Studierenden eingesetzt hat.

Der lang geplante Palästinakongress vom 12. bis 14. April wurde direkt am ersten Tag, nachdem er nur noch auf 250 Personen reduziert wurde, komplett verboten. 2.500 Polizist:innen waren allein für diese drei Tage in Berlin im Einsatz. Zeitgleich wurden dem palästinensischen Chirurgen und Leiter der Universität Glasgow Dr. Ghassan Abu-Sittah und dem Ex-Finanzminister Griechenlands Yanis Varoufakis die Einreise nach Deutschland verboten. Mittlerweile gilt für Abu-Sittah das Einreiseverbot auch in Frankreich und in den Niederlanden. Auf der Demonstration am 13. April gegen das Verbot des Palästinakongresses wurden etliche Menschen festgenommen, die Polizei kesselte zeitweise die gesamte Demonstration ein. Unter den Festgenommenen befand sich ein Vater, der seinen 8-jährigen Sohn vor einem angreifenden Polizisten beschützen wollte.

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6. Mädchen*zentren geschlossen

Vor zwei Wochen wurden in Berlin zwei Mädchen*zentren der FRIEDA Frauen*zentren geschlossen – weil die Mitarbeiter:innen an palästinasolidarischen Aktionen beteiligt waren. Die Schließung der beiden queeren Mädchen*zentren betreut eine fatale Umstellung im Leben der Kinder und Jugendlichen, die diese Zentren gerne besuchten. Von einem Tag auf den anderen wurden die Orte geschlossen, an denen sie sich treffen, Zeit miteinander verbringen und auch über ihre Sorgen und Probleme reden konnten. Die Schließung kommt gleichzeitig im Zuge einer Kürzungspolitik des Berliner Senats und der Bundesregierung. In Sektoren wie der Bildung, der Gesundheit oder im Sozialen werden immer mehr Einrichtungen geschlossen oder zusammengelegt. Das Personal ist unterbezahlt oder über Tochter- und Leihfirmen angestellt, so dass sie sich viel schwieriger gewerkschaftlich organisieren können. Damit sind sie auch von Tarifverträgen ausgeschlossen, werden durchschnittlich also viel schlechter bezahlt und haben schlechtere Arbeitsbedingungen.

All das ist wirklich, was Deutschland seit dem 7. Oktober und bereits davor getan hat, um der Bevölkerung in Gaza zu „helfen“. Sie haben nahezu alles verschlimmert und maßgeblich dazu beigetragen, diesen Genozid erst zu ermöglichen. Das Auswärtige Amt kann sich noch so sehr als „friedlich“ zeigen auf Social Media – ihre Politik bringt aber keinen Frieden. Ihre Politik will Krieg. Mehr Polizei, mehr Militär, mehr Waffenlieferungen, mehr Ausbeutung und mehr Unterdrückung. Wir lassen uns nicht von leeren Worten und Lügen täuschen.

Alle Hilfsgelder an die UNRWA müssen sofort wieder ausgezahlt werden. Alle Waffenlieferungen an Israel müssen sofort gestoppt werden. Studierenden muss wieder eine kritische Uni ermöglicht werden, wo sie sich offen und frei palästinasolidarisch äußern dürfen. Schluss mit der Hetze, Schluss mit Polizei an den Unis und Schluss mit der Kriminalisierung von Palästinasolidarität.

Free Palestine!

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