Aiwanger in Ballerlaune: Wer hat Angst vorm bösen Wolf?
Während Landwirt:innen mit Schäden durch Wolfsrissen alleine gelassen werden, will Aiwanger das Problem durch Jagd auf Wölfe lösen. Stattdessen muss der Wolfsbestand erhalten und Landwirt:innen vernünftig entschädigt werden.
In der letzten Woche wurden im österreichischen Weißenbach 12 Schafe, mutmaßlich von Bär oder Wolf gerissen. Dies nutzte Hubert Aiwanger, stellvertretender bayerischer Ministerpräsident und bayerischer Wirtschaftsminister um BUND und Grüne aufzufordern “die Klappe zu halten” und “den Wolf zur Bejagung freizugeben”.
Schon im April wetterte Aiwanger gegen das Verbot der Bejagung. Er bringt dabei zwei Argumente vor: Er behauptet, dass es Menschen gäbe, die “das Leben eines Menschen über das eines Wolfes stellen”. Er suggeriert also, Wölfe würden Menschen angreifen, wenn man sie nicht bejagt. Außerdem behauptet er, die Weidehaltung sei “massiv in Gefahr”.
Sind Wölfe gefährlich?
Angriffe von Wölfen auf Menschen kommen sehr selten vor. Laut einer Studie des NINA-Instituts gab es zwischen den Jahren 2002 und 2020 489 dokumentierte Angriffe von Wölfen auf Menschen. Zum Vergleich: Alleine im Jahr 2018 gab es 1281 Hundebisse nur im Bundesland Bayern. Hundehalter:innen können jedoch aufatmen: Es ist nicht nötig, künftig nur noch in schusssicherer Weste vor der bayerischen Staatskanzlei Gassi zu gehen, denn Aiwanger scheint gar nicht interessiert, die Gefährlichkeit des Wolfes in irgendein Verhältnis zu setzen.
Schaut man sich die Zahlen aus der NINA-Studie noch genauer an, stellt man fest, dass von den 77 dokumentierten Angriffen in Europa 69 durch Tollwut erkrankte Wölfe geschehen sind. Seit 2008 gilt Deutschland als frei von Tollwut, was also Angriffe von Wölfen noch wesentlich unwahrscheinlicher macht. Auch wenn Wölfe statistisch gesehen harmlos sind, ist es dennoch wichtig, sich bei einer Wolfsbegegnung angemessen zu verhalten
Verunmöglichen Wölfe Weidetierhaltung?
Aiwanger weiß natürlich wahrscheinlich selbst, wie ungefährlich Wölfe sind. Der primäre Grund, warum er so aggressiv für die Jagd auf Wölfe eintritt, sind die Spannungen, die aufgrund von Weidetierhalter:innen entstehenden Schäden und dem strengen Naturschutz des Wolfes auftreten. Da Wölfe bis ins 20. Jahrhundert stark bejagt wurden und deshalb in Deutschland bis zur Wiederansiedlung zur Jahrtausendwende praktisch ausgestorben waren, sind diese sowohl in Deutschland als auch größtenteils auf europäischer Ebene streng geschützt. Ganz generell bedeutet dies, dass Wölfe nicht bejagt werden dürfen. Es gibt jedoch auch jetzt schon Ausnahmen, z.B. wenn sich Wölfe gegenüber Menschen “auffällig” verhalten, also potenziell eine Gefahr darstellen könnten, oder wenn sie ausreichend großen Schaden an Nutztieren anrichten.
Hier liegt auch der Grund, warum so viele die Bejagung des Wolfes fordern, die Präventionsmaßnahmen gegen Wölfe sind enorm teuer und insbesondere für kleine Landwirtsbetriebe kaum bis gar nicht zu stemmen. Auch wenn Aiwanger nur reaktionäre Alternativen bietet, ist der Frust auf die Grünen, den er mit seinen Tiraden kanalisieren will, in der Frage der Entschädigung von Landwirt:innen mehr als verständlich. Beispielsweise begrenzt das Land Hessen, in dem die Grünen seit fast 10 Jahren regieren, die Übernahme von Präventionsmaßnahmen auf 80% der Kosten und pro Jahr und Hektar auf 450€. Laut Berechnungen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft belaufen sich die tatsächlichen Kosten jedoch auf 1062,53 Euro pro Hektar. Dies ist exemplarisch für die bundesweite Situation, abseits von der Forderung der Bejagung unterstützt Aiwanger die Landwirt:innen also auch nicht besser. Dazu kommen vielerorts absurde bürokratische Hürden, um Förderungen zu erhalten. Ohne diese Hürden, und mit einer Prävention, die Weidetiere nicht als “leichte Beute” erscheinen lässt, wäre eine Koexistenz von Weidetierhaltung und Wölfen selbstverständlich möglich. Dies ist auch notwendig, denn Weidetierhaltung leistet einen entscheidenden Beitrag bei der Prävention von Erdrutschen und der Instandhaltung von Deichen. Dadurch, dass sich der Wildtierbestand als bevorzugte Nahrungsquelle der Wölfe auf einem historischen Hoch befindet, sind diese auch keineswegs angewiesen auf das Reißen von Nutztieren.
Ökologisches Problem Reh
Ganz im Gegenteil ist die hohe Population von Rehen mittlerweile ein großes Problem. Der ökologische Jagverein Berlin-Brandenburg zahlt mittlerweile 50€ pro geschossenem Reh aufgrund der massiven Wildschäden, die durch Rehe verursacht werden. Besonders fallen hierbei Verbissschäden auf. Diese treten auf, wenn Rehe die Knospen junger Bäume fressen und so ihrem Wachstum schaden. Dies kann zu Schäden von mehreren tausend Euro pro Hektar(!) führen. Das ist nicht nur als ökonomische Größe ein interessanter Vergleich zu den Kosten der Wolfsprävention, sondern ein deutlicher Indikator, welche Schäden Verbiss anrichten kann. Viel mehr als um den Profit von Waldbesitzer:innen geht es hier darum, dass viele Wälder in Deutschland sich nicht erneuern können, weil sie vom Wild viel zu stark beschädigt werden. Wölfe sind ein wichtiger Bestandteil davon, den Wildbestand zu regulieren.
Yellowstone macht es vor
Im Yellowstone Nationalpark wurden 1995 Wölfe wieder eingeführt, nachdem sie eigentlich ausgerottet waren. Seitdem wurden die Veränderungen im Ökosystem intensiv von Biolog:innen dokumentiert. Die Veränderungen sind beeindruckend: Durch die Jagd der Wölfe auf Elche fressen diese die Weidenbäume nicht mehr ab. Dies bedeutet mehr Nahrung für Biber. Seit der Einführung des Wolfes ist die Anzahl der Biberkolonien von einer auf neun Kolonien gestiegen. Deren Staudämme verhindern den saisonalen Abfluss von Wasser und bieten somit Lebensraum für einige Fischarten. Sie könnten sogar eine entscheidende Rolle dabei spielen, Dürren und die daraus resultierenden Waldbränden vorzubeugen. Im Yellowstone Nationalpark spielt der Wolf also eine Schlüsselrolle im Ökosystem für die Nachhaltigkeit des Waldes.
Was tun?
Kleine Landwirt:innen mit Weidevieh sind zu recht frustriert aufgrund von Wolfsrissen. Zusätzlich zum sowieso schon tendenziell prekären Job bedrohen Wolfsrisse ihre Existenz. Auf Kosten einer nachhaltigen Entwicklung des Waldes versuchen reaktionäre Politiker wie Aiwanger sie gegen den Wolf zu mobilisieren, während die pseudo-ökologischen Grünen sie mit der “Eigenverantwortung” im Regen stehen lassen. Genauso wie im TV-ÖD die Löhne gedrückt werden mussten, um die 100 Milliarden Euro Militarisierung zu finanzieren, ist auch für eine nachhaltige Entwicklung des Ökosystems der Wälder angeblich kein Geld vorhanden. Dem entgegen ist jedoch die 100% Übernahme sowohl von Präventionsmaßnahmen als auch der entstehenden Kosten bei Wolfsrissen von Weidetieren nötig. Es ist notwendig, den Schutz der Ökosysteme sicherzustellen, und dies nicht auf Kosten kleiner Landwirt:innen. Um ihnen die Bezahlung von Präventionsmaßnahmen und Wolfsrissen unbürokratisch zu gewähren, ist es erforderlich, dass die dafür nötigen Prüfungen nicht mehr vom Staat, sondern von Kommissionen von Landwirt:innen und Naturschutzorganisationen unterliegen und welche gemeinsam über die Fördermittel entscheiden können.