Afghanistan: Ende mit Schrecken nach 20 Jahren Lügen und Morden
Kabul steht vor dem Fall. Der drohenden Gräuel durch die Taliban hat die internationale Militärkoalition den Weg durch ihr brutales Besatzungsregime geebnet.
Nicht einmal einen Monat dauerte es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 bis zu den ersten Bombardements von US-Streitkräften auf Stellungen der in Afghanistan regierenden Taliban. US-Präsident George W. Bush hatte mit den Worten “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns” die internationalen Staatengemeinschaft zum “Krieg gegen den Terror” aufgerufen – woraufhin sich 40 Länder beteiligten. Deutschland war zur Hochphase des Krieges 2011 mit 5.300 Soldat:innen vor Ort.
Er wolle die Drahtzieher der Anschläge finden und zur Rechenschaft ziehen, so Bush. Nur setzte er dabei die verantwortlichen Terroristen von Al-Quaida mit der Taliban-Regierung gleich, die nichts mit den Attentaten zu tun hatten. Der Umstand, dass sich Osama bin Laden, der Kopf von Al-Quaida, vermeintlich in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion versteckt hielt, nutzte Bush, um einen Krieg in Afghanistan zu starten.
Für die Neokonservativen um Präsident Bush stellte eine starke Präsenz von US-Truppen im zentralasiatischen Raum einen entscheidenden Pfeiler ihrer Strategie, um die globale Hegemonie der USA zu befestigen. Von dort sollte insbesondere der Aufstieg Chinas und der Einfluss Russlands behindert werden. Denn geografisch ist Afghanistan eine wichtige strategischer Zone, von der aus alle Teile Asiens mit Kampfflugzeugen und Raketen innerhalb kurzer Zeit erreichbar sind.
Die Kontrolle über Afghanistan war schon zur Zeit des britischen Kolonialismus ein entscheidendes Element imperialistischer Machtausübung. Von 1839 bis 1919 hielt das britische Empire Afghanistan besetzt. Auch im Kalten Krieg führten die Sowjetunion und die USA einen Kampf um die Vorherrschaft. Die UdSSR besetzten das Land von 1979 bis 1989. Nach ihrem Rückzug, übernahmen die Milizen der Mudschahidin die Macht, die zuvor von den USA hochgerüstet worden waren. Es folgten Jahre des Bürger:innenkrieges, geführt von Warlords, in denen sich die Taliban 1996 durchsetzen. Als religiös-fundamentalistische Stammesgruppe aus dem Volk der Paschtunen behaupteten sie, mit den harten Mitteln ihrer Auslegung der Scharia-Gesetzgebung nach Jahren der Kriegswirren für Ordnung zu sorgen.
Der Krieg der NATO und die Mafia von Kabul
Als die USA mit ihrer internationalen Koalition 2001 das Land überfielen, suchten sie alte Verbündete aus der Zeit des Bürger:innenkrieges: Sie rüsteten die Warlords der früheren Mudschahidin auf, die sich in der Nordallianz zusammengeschlossen hatten. Unter Hilfe der Luftschläge der US-amerikanischen und britischen Bomber überrollten sie in wenigen Monaten das Land. Die Taliban zogen sich in die Berge der afghanisch-pakistanischen Grenzregion zurück, während die Männer der Nordallianz unter Augen der US-Truppen Massaker im ganzen Land an gefangenen gegnerischen Kämpfern verübten.
Nachdem die Taliban vertrieben waren, versuchten die Besatzungsmächte ihre Militärpräsenz vor der westlichen Öffentlichkeit damit zu begründen, dass sie angeblich Fortschritt und Frauenrechte brächten. Sie schufen damit nicht nur ein rassistisches Narrativ der rückständigen Muslime, denen man demokratische Werte beibringen müsste – eine alte kolonialistische Herangehensweise. Sie führten sich auch selbst wie die schlimmsten Barbaren auf. Die USA ließen tausende vermeintliche Taliban-Kämpfer und Zivilist:innen ohne Anklage in die Foltergefängnisse von Bagram und nach Guantanamo auf Kuba verschleppen.
In der Hauptstadt Kabul installierten sie eine Marionettenregierung. Die früheren Warlords sicherten sich die zentralen Stellen der Macht und füllten sie aus wie Mafiosi. In Zusammenarbeit mit den ausländischen Militärs plünderten sie die Staatskassen als Selbstbedienungsladen. Die Märkte wurden mit Ramschwaren westlicher Konzerne überflutet, was die einheimische Bevölkerung ihre Jobs kostete. Der Opiumanbau- und Schmuggel wurde wesentlich aus Regierungskreisen kontrolliert. Die dafür nötige Geldwäsche und sogar die Finanzierung für Terroristen liefen über internationale Großbanken.
Nach einer kurzen Phase der Aufbruchstimmung nach Vertreibung der Taliban stellten sich in der afghanischen Bevölkerung schnell Ernüchterung und Abscheu gegen die Gangster an der afghanischen Regierung und die internationalen Streitkräfte ein. Besonders nachdem die Taliban ab 2007 wieder Boden gut machen konnten, reagierten die Besatzungstruppen mit äußerster Brutalität. Unter US-Präsident Barack Obama wurde die Zahl der Bodentruppen deutlich erhöht. In zahlreichen Drohnenangriffen machten die US-Streitkräfte Jagd auf vermeintliche Taliban ohne jede Rücksicht auf Zivilist:innen. In diese Phase fällt auch das Massaker von Kundus, als Bundeswehroberst Georg Klein einen Luftschlag gegen eine Menschenmenge anordnete, die um einen liegen gebliebenen Tanklaster versammelt war. Über 100 Menschen starben, darunter vor allem Kinder. Oberst Klein wurde nie dafür zur Rechenschaft gezogen, sondern später sogar befördert.
Die Rückkehr der Taliban
Nach 20 Jahren Krieg waren die USA und ihre Verbündeten nicht mehr willens und in der Lage, die enormen Kosten weiter zu tragen. Der Versuch, einen afghanischen Nationalstaat nach westlichen Vorstellungen zu etablieren und für kapitalistische Investitionen brauchbar zu machen, war offensichtlich gescheitert. Nachdem die USA im Mai 2021 mit dem Abzug ihrer Truppen begannen, eroberten die Taliban in rasantem Tempo eine Provinzhauptstadt nach der anderen. Vielerorts übergab die afghanische Armee kampflos die Kontrolle oder ist zu den Aufständischen übergelaufen. Dies zeigt, dass die bisherige Regierung abgesehen von ihren direkten Günstlingen und den ausländischen Mächten kaum Unterstützer:innen hat. Kaum jemand ist bereit, das Marionettenregime der NATO mit der Waffe zu verteidigen.
Das ist umso bemerkenswerter, als dass sich die Taliban keineswegs überwältigender Beliebtheit erfreuen. Dort wo sie die Kontrolle übernehmen, wird von tausenden Gewalttaten und Racheakten an Unterstützer:innen der bisherigen Regierung berichtet, aber auch Aktivist:innen, insbesondere Frauen, die sich für demokratische Rechte einsetzen. Laut einer Umfrage der Asia Foundation von 2019 sympathisieren gerade mal 13,4 Prozent der Afghan:innen mit den Taliban, eine große Mehrheit hält es für wichtig, Frauenrechte zu verteidigen.
Dass es den Taliban dennoch gelingt, das Land so schnell zu erobern, zeigt das vollkommen Scheitern der vom Westen aufgebauten Institutionen. Ihre Machtübernahme wird aber keineswegs Frieden bringen. In einer Analyse über die kommenden Aussichten schreiben Salador Soler und Omar Floyd auf La Izquierda Diario:
In der unmittelbaren Zukunft kann man sich eine Verschärfung des Bürger:innenkriegs und eine Situation der territorialen Zersplitterung vorstellen, in der sogar gegensätzliche Tendenzen innerhalb der Taliban auftauchen, die Ausdruck der scharfen regionalen, stammes-, ethnischen und religiösen Unterschiede sind, die die afghanische Landschaft prägen. Dies würde die Einrichtung von Einflusszonen durch China, Pakistan, Russland, Indien und dem Iran begünstigen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich eine Regierung der „Nationalen Einheit“ etabliert, welche die Gewalt zumindest teilweise eindämmen kann. Dies würde einen umfassenden Plan zur staatlichen Finanzierung erfordern, um die Einnahme aus der illegalen Wirtschaft zu ersetzen. Denn heute sind die wichtigsten Geldquellen sowohl der afghanischen Regierung als auch der Taliban Plünderungen, Entführungen, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel.
Mit ihrem Militäreinsatz hat die internationale Koalition die Herrschafte der Warlords, Gangster und Fundamentalist:innen nur verschärft. Sowohl der unmittelbare Kriegsanlass, die Verfolgung der Verantwortlichen für den 11. September, als auch die spätere Legitimation, Fortschritt nach Afghanistan zu bringen, waren von vorne bis hinten erlogen. Es ging immer nur darum, eine geostrategische Machtposition in Zentralasien zu etablieren und mit der Ausplünderung des Landes Geld zu verdienen. Wie wenig es dem Westen um Menschenrechte geht, zeigen seine Foltergefängnisse und Drohnenangriffe und der Umstand, dass er nur zögerlich bereit ist, Personen aufzunehmen, die von der Rückkehr der Taliban mit dem Leben bedroht sind. Bis vor Kurzem schob die Bundesregierung auch noch Menschen nach Kabul ab. Es braucht ein Ende jeglicher Einmischung in die Belange des Landes, einen Stopp aller Militärinterventionen und Waffenexporte sowie das volle Recht für alle Afghan:innen, in Deutschland und der EU Asyl zu finden.