AfD kürt Treuhänder zum Ministerpräsidenten

05.02.2020, Lesezeit 6 Min.
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In einem skandalösen Verfahren haben CDU und FDP den ehemaligen Treuhänder Thomas Kemmerich mit den Stimmen der rechtsextremen AfD zum neuen Thüringer Ministerpräsident gewählt. Im letzten der drei Wahlgänge reichte dem FDP-Kandidaten die relative Mehrheit, die er mit 45 Stimmen gegenüber den 44 des ehemaligen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow der Linkspartei erreichte. Die Integration der AfD in das Regime schreitet damit mit Unterstützung von CDU und FDP voran.

Seit der thüringischen Landtagswahl im Oktober 2019 herrschte viel Unsicherheit. Keine Koalition hatte eine echte Mehrheit. Rot-Rot-Grün beschloss deshalb, zu versuchen, im dritten Wahlgang eine Minderheitsregierung mit relativer Mehrheit durchzusetzen. Doch sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Insbesondere nachdem die AfD bereits häufiger auf kommunaler Ebene taktisch die Wahl linker Kandidat*innen verhinderte.

Nun hat die AfD die taktische Wahlunterstützung für Kandidat*innen von CDU und FDP auf Landesebene fortgesetzt. Björn Höcke stand nach der Wahl voller Genugtuung vor der Kamera. Ihm war es gelungen, mit den Stimmen von CDU und FDP die Wiederwahl von Bodo Ramelow als einzigen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu verhindern. Aber die Sache hat einen Haken – einen ziemlich gewaltigen sogar.

Vom Treuhänder zum Ministerpräsident

Wahrscheinlich ist Thomas Kemmerich mit Abstand der unbeliebteste Ministerpräsident in der Geschichte Thüringens. Nicht nur ist seine Partei, die FDP, die wohl unbeliebteste auf dem bundesdeutschen Parkett, und hatte es mit nur 73 Stimmen gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft – nein, er gehört auch noch einem ganz speziellen Menschenschlag an, der, vor allem in Ostdeutschland, sehr verhasst ist.

Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich gehört zu jenen widerlichen Gestalten, die nach dem Mauerfall aus dem Westen in den Osten kamen, um sich am ehemaligen Volksvermögen der DDR zu bereichern. Besonders jetzt, 30 Jahre später, wo die Akten von damals nach und nach öffentlich werden, klaffen alte Wunden wieder auf.

Diese Stimmung hatte sich auch die AfD zu Nutze gemacht und auf ihre Plakate „Vollendet die Wende“ geschrieben. Man wolle sich, wie die Leute von damals, gegen ein korruptes Regime zur Wehr setzen. Offenbar vergaßen sie dabei völlig, dass die Menschen der DDR sich kurz darauf gegen weiteres, ein völliges anderes, korruptes Regime zur Wehr setzten: die Treuhand und deren Versprechungen, die sich als großer Betrug entpuppten.

Statt der versprochenen „blühenden Landschaften“ wurde die Kali-Salz-Produktion im Thüringer Eichsfeld eingestampft, damit die BASF ihre Konkurrenz auf dem Weltmarkt von der Rohstoffversorgung abschneiden konnte. Der frischgewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich half den ehemaligen Partei-Bürokraten der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften dabei, die volkseigenen Betriebe in privatwirtschaftliche Unternehmen umzuwandeln, und unterstützte die sie dabei, vom Apparatschik zum Kapitalisten aufzusteigen.

In den 1990er-Jahren übernahm er vom Dienstleistungskombinat den Betriebsteil „Friseur & Kosmetik“, sowie die Produktionsgenossenschaft (PGH) des Friseurhandwerks aus Weimar, Rudolstadt, Auerbach und Sömmerda und formierte daraus das Unternehmen „Frisör Masson“. Nach der Jahrtausendwende wurde sie dann wiederum zu einer Aktiengesellschaft, deren millionenschwerer Vorstandsvorsitzende er ist. Die AfD entlarvt damit völlig ihre soziale Demagogie und macht sich zum Büttel des Kapitals.

Integration der AfD in das Regime schreitet voran

Doch nicht nur die AfD wurde durch die Wahl Kemmerichs entlarvt: auch CDU und FDP haben unter Beweis gestellt, dass sie, sollte es nötig sein, bereit sind die Unterstützung der AfD anzunehmen. Dazu kommt der zutiefst undemokratische Charakter des Verfahrens: der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes (Ramelow) der stärksten Partei (Die Linke) wird in Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Höcke-AfD zugunsten eines Kapitalisten abgesetzt, dessen Partei die wenigsten Stimmen im gesamten Landtag besitzt.

Die Aussagen Kemmerichs, er sei „Anti-AfD“ und „Anti-Höcke“, sind in diesem Kontext nur leere Phrasen. Alle Erklärungen von Seiten der AfD lassen erkennen, dass das Wahlverhalten von langer Hand geplant war und es ist höchstwahrscheinlich, dass es mit CDU und FPD abgesprochen war. Der AfD-Kandidat Kindervater dient lediglich als Alibi und erhielt nicht eine einzige Stimme. Selbst wenn keine tatsächlichen Gespräche stattfanden, mussten die Parteien mit dem Stimmverhalten der AfD rechnen und nahmen es billigend in Kauf.

So feierte der FDP-Bundesvizevorsitzende Wolfgang Kubicki die Wahl als einen „großen Erfolg“ und Mike Möhring, Spitzenkandidat der CDU-Thüringen bei den Landtagswahlen, bezeichnete Kemmerich als den „Kandidaten der bürgerlichen Mitte“. In Wirklichkeit ist die gemeinsame Wahl eines Ministerpräsidenten von CDU, FDP und AfD nur ein weiterer Schritt der Integration der AfD in das Regime und stellt eine neue Qualität der Kooperation zwischen den traditionellen Parteien der Bourgeoisie mit der AfD dar.

Noch ist nicht klar, wie die aus der Wahl entsprungene Regierung aussehen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass die AfD Ministerien erhalten wird. Auch eine technokratische Regierung aus „Expert*innen“ im Interesse der herrschenden Klasse ist eine Möglichkeit. Gleichwohl aller gegenteiligen Aussagen jedoch bedarf Kemmerich der Unterstützung der Höcke-AfD für seine Regierungsarbeit. Die ehemalige Regierungskoalition aus Linkspartei, SPD und Grünen hat ihre Zusammenarbeit dafür bereits abgesagt.

Ramelows Versuch gescheitert

Das gewagte Unterfangen Ramelows, sich zum Regierungschef einer Minderheitsregierung mit einer relativen Mehrheit der Stimmen wählen zu lassen, ist damit kläglich gescheitert. Die linke Landevorsitzende Susanne Hennig-Wellsow warf Kemmerich nach seiner Vereidigung einen Blumenstrauß vor die Füße und drückte damit die Empörung ihrer Partei aus: sie hatte nicht damit gerechnet, dass CDU und FPD tatsächlich soweit gehen und mit der AfD zusammenarbeiten würden. Ein weiterer Beleg für das Scheitern der Politik von Linkspartei, SPD und Grüne, die AfD durch Wahlen zurückzudrängen. Sie selbst sind durch ihre sozialliberale Politik im Interesse der Konzerne dafür verantwortlich, die absolute Mehrheit verpasst zu haben und damit den Manövern der rechten Parteien ausgeliefert gewesen zu sein.

Es bleibt abzuwarten, ob die Wahl Kemmerichs bundespolitische Konsequenzen haben wird, wie sie von Grünen und Linken gefordert und von SPD-Spitze Saskia Esken angekündigt wurden. Dies wird unter anderem auch vom weiteren Verlauf der Regierungsbildung in Erfurt abhängen. Doch in Anbetracht der jahrelangen Zusammenarbeit der SPD mit der CDU ist nicht davon auszugehen, dass die Große Koalition im Bund zerbrechen wird.

Viel mehr macht die Abstimmung deutlich, dass keine „linken“ Regierungen und reformistische Versprechen den Aufstieg der AfD verhindern werden. Was es braucht ist eine breite Bewegung auf den Straßen mit Verankerung in den Betrieben, Schulen und Universitäten, die sich gegen den Rechtsruck und die Integration der AfD in das Regime stellt.

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