Ärger in der ver.di-Bürokratie

03.10.2022, Lesezeit 6 Min.
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Foto: nitpicker / shutterstock.com

Die Gewerkschaft ver.di hat Akman Orhan überraschend gefeuert. Jahrelang war er als Bundesfachgruppenleiter für den Einzelhandel und den Arbeitskampf bei Amazon zuständig. Stellt er eine Alternative zur ver.di-Führung dar?

Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft steckt in einer Dauerkrise. Seit ihrer Gründung vor etwas mehr als 20 Jahren hat ver.di knapp eine Million Mitglieder verloren — heute hat sie nicht mal 1,9 Millionen.

Zu den Ursachen dieser Krise können viele ver.di-Mitglieder ganze Lieder singen. Die Gewerkschaft ist theoretisch ein Zusammenschluss von Arbeiter:innen, um gemeinsam für ihre Interessen zu kämpfen. Doch bei ver.di haben Bürokrat:innen das sagen, die wie ein Klotz am Bein der Arbeiter:innen wirken. Diese Funktionär:innen halten kämpferische Reden, aber hinter den Kulissen halten sie Kämpfe zurück und handeln schlechte Kompromisse aus. Dafür werden sie zudem noch fürstlich entlohnt. Jedes Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes bekommt jeden Monat nach unserem Kenntnisstand 17.000 Euro, neben weiteren Prämien.

Aus diesem Verein treten dann immer mehr Mitglieder aus. Sie sagen, dass sie nicht noch dafür zahlen wollen, dass Bürokrat:innen de facto Lohnkürzungen und immer neue Spaltungen aushandeln — und das auch noch als Sieg verkaufen. Kolleg:innen, die in den letzten Jahren harte Kämpfe geführt haben, sagten immer wieder, dass sie gegen die eigene Bürokratie mehr kämpfen müssten als gegen die Kapitalist:innen. Wir von Klasse Gegen Klasse sind unbedingt dafür, in der Gewerkschaft zu bleiben — aber wir haben keine Illusionen in der Politik ihrer Führung.

Soviel zur Dauerkrise. Jetzt macht ver.di eine akute Krise deutlich. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Orhan Akman fristlos gekündigt wurde. Dieser war viele Jahre weit oben in der ver.di-Hierarchie — als Leiter der Bundesfachgruppe Einzel- und Versandhandel ist er unter anderem auch für einen Tarifvertrag in ver.di eingetreten. Nun musste er sich arbeitslos melden. Er kandidiert für den Bundesvorstand der Gewerkschaft — scheinbar hat diese juristische Auseinandersetzung mit einem Streit um Posten zu tun. Eine Petition an ver.di — bezeichnenderweise anonym lanciert! — hat über 1.000 Unterschriften.

Wie bei ver.di üblich, liefen solche Streitigkeiten hinter den Kulissen. Nie wurden Mitglieder gefragt, welche Führungsmitglieder und welche Positionen sie besser fanden. Eigentlich hätte man gar nichts mitbekommen, wenn Oliver Rast nicht ausführlich in der jungen Welt berichtet hätte. Dort hat Akman auch eine Art Programmschrift veröffentlicht.

Mitglieder werden es erfrischend finden, dass jemand die offensichtlichen Probleme offen anspricht. Akman schreibt: „Das beitragszahlende Mitglied [wird] immer mehr entmachtet und [findet] sich in der eigenen Organisation immer weniger wieder […]. Zwischen der Gewerkschaft als Apparat und ihren Mitgliedern findet eine regelrechte Entfremdung statt.“ Er schreibt zu Recht: „Wir dürfen unsere Gewerkschaft nicht den Bürokraten, Formalisten und der Verdi-Spitze überlassen.“ Das denken nicht wenige ver.di-Mitglieder seit Jahren!

Doch Akmans Vorschläge erweisen sich bei kurzer Betrachtung als recht dünn. Wie ist mit diesem monströsen Apparat umzugehen? Er will  zum Beispiel die Fachbereiche neu strukturieren und Funktionär:innen aus der Bundesverwaltung in die Bezirke schicken.

Aber das würde an der Entfremdung, die er anprangert, überhaupt nichts ändern. Was die Gewerkschaft braucht, wäre eine wirkliche Demokratisierung. Da hilft kein Verweis auf die formellen Strukturen, die alle paar Jahre für eine choreografierte Konferenz zusammenkommen. Nein, Demokratisierung bedeutet, dass die Mitglieder über die Politik ihrer Gewerkschaft nicht nur reden. Entscheidungen über Arbeitskämpfe und deren Abschlüsse müssen bei den Mitgliedern liegen, in Form von Versammlungen, und nicht bei einem Bundesvorstand, der regelmäßig Multimillionär:innen hervorbringt.

Akman stellt sowas wie einen linken Flügel des ver.di-Apparats dar, wo er seit Jahren arbeitet. Aber in seinem Zuständigkeitsbereich liefen die Arbeitskämpfe genauso wie in anderen Fachbereichen. Bei den Amazon-Streiks spielten die Hauptamtlichen die gleiche bremsende Rolle, um ihre bürokratische Kontrolle zu sichern. Die Beschäftigten dort haben die gleiche Anbiederung an die SPD erlebt. Akman sagt auch nichts zu den krassen Privilegien in der Spitze. Will er, falls er in den Bundesvorstand gewählt wird, bald ebenfalls Multimillionär mit Dienstwagen und Chauffeur sein? Oder will er nur einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn und eine Monatskarte für ÖPNV haben?

Also wie sollten kämpferische Kolleg:innen auf diese Krise an der Spitze ihrer Organisation antworten? Natürlich ist Akman sympathischer als so ein Waschlappen wie Frank Werneke, der die weiße Fahne der Kapitulation praktisch als Uniform trägt. Aber am Ende des Tages ist das Problem nicht, wer auf dem Chefposten in dieser Bürokratie sitzt — es ist die Bürokratie selbst. Diese selbsternannten Expert:innen fühlen sich dem sozialen Frieden verpflichtet, und sie opfern die Interessen der Arbeiter:innen immer wieder auf diesem Altar. Es ist kein Zufall, dass die meisten von ihnen ein Parteibuch einer neoliberalen Regierungspartei haben.

Die richtige Lösung von diesem Problem wäre eine ganz andere Art von Gewerkschaft. Ver.di muss ihren Mitgliedern gehören. Hauptamtliche Funktionär:innen, wenn sie unbedingt für Verwaltungssachen zuständig sind, müssen einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn bekommen. Sie müssen direkt gewählt und jederzeit abwählbar sein. Ferner sollten solche Posten nach maximal zwei Jahren rotieren. Wenn die Mitglieder selbst die Gewerkschaft kontrollieren, gibt es keinerlei Gefahr einer Entfremdung.

Der aktuelle Ärger in der ver.di-Spitze erinnert ein bisschen an einen Erbstreit in einer Monarchie. Arbeiter:innen bekommen mit, dass Prinz XY vom Königshaus geschasst wird, weil er für einen etwas liberaleren Kurs steht. Sollten sie diesen Prinzen unterstützen? Natürlich ist ein liberaler Monarch besser als ein konservativer. Doch das Ziel der Arbeiter:innenbewegung ist der Sturz der Monarchie. Wir wollen keinen liberalen König, sondern die Republik!

So ist es auch mit dem Streit zwischen Werneke und Akman. Zweifellos ist Akman der kämpferische unter den beiden Bürokraten. Doch wir wollen gar keine Bürokratie — keine lahme und auch keine kämpferische. Wir brauchen Gewerkschaften, in denen Arbeiter:innen das Sagen haben.

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