Ära der Diversität des Bonapartismus und Erdogan (Teil II)
Warren Montag, Professor für Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft am Occidental College in Los Angeles, Kalifornien, hat Halis Yildirim über die Türkei unter Erdogan interviewt.
Erdogans Regime ist eines von einer wachsenden Anzahl an Regimen – von Bolsonaros Brasilien, Modis Indien, Dutertes Philippinen bis hin zu Orbans Ungarn -, die sich auf unterschiedliche Weise den bestehenden Analysekategorien entziehen. Die Vorstellungen von Faschismus und Autoritarismus (oder Neofaschismus und Semi-Autoritarismus) scheinen jetzt zu starr auf den italienischen und deutschen Erfahrungen einerseits und verschiedenen nicht-faschistischen Diktaturen andererseits zu basieren, um den unvermeidlichen historischen Veränderungen, denen diese Formen ausgesetzt sein werden, Rechnung zu tragen. Gleichzeitig erscheint das immer gebräuchlichere Etikett der „illiberalen Demokratie“ als euphemistische Kompromissformation, deren Unbestimmtheit ihren Nutzen für das Verständnis der oben genannten Regime einschränkt. Sie haben eine Präferenz für das Konzept des Bonapartismus geäußert. Können Sie dieses Konzept erklären und erläutern, was diesem Konzept mehr Aussagekraft verleiht als anderen konkurrierenden Konzepten, insbesondere in der aktuellen Konjunktur?
Beginnen wir mit der ersten Feststellung, dass wir in einer Ära der Bonaparten leben, die sich jeweils im Grad der Bonapartisierung unterscheiden, die in einer spezifischen Gestalt die Tendenzen der Klassenverhältnisse erscheinen lassen. Durch die Weltwirtschaftskrise 2008 haben die bonapartistischen Regime sich als internationale Antworten der reaktionären Kräfte ausgebreitet und befestigt. Wir müssen hier festhalten, dass diese repressiven Regime durchaus faschistoide Methoden und Momente enthalten, aber keine faschistischen Regime sind. Es gibt derzeit kein faschistisches Regime weltweit an der Macht. Es geht nicht um die Verschönerung der existierenden, rechten bonapartischen Regime. Es geht um die kategorische Bestimmung, denn durch sie können wir die Entstehungs-, Entfaltungs– und Untergangsbedinungen solcher Regime besser verstehen. Diese Bonapartismen sind auf die Klassenkollaboration mit dem Kleinbürgertum, Bauerntum und sogar mit der Arbeiter*innenklasse angewiesen. Die Lossagung von den existierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Liquidierung oppositioneller Elemente im Staatsapparat finden im Bonapartismus temporal statt und sind nicht so tief ausgeprägt wie im Faschismus. Darüber hinaus entsteht ein Prozess der personellen Besetzung des Staatsapparates, dessen Grundlage ein historischer Kompromiss der Klassen und Fraktionen der herrschenden Klassen darstellt. Die Koalition hinter solchen historischen Kompromissen wie den Gesetzen oder der Besetzung des Staatsapparates durch hegemoniale Kräften, ist nur in seltenen Ausnahmen dazu bereit, diese Kompromisse aufzugeben. Das Kleinbürgertum beabsichtigt, die Organisationen der Arbeiter*innenklasse im Interesse der großbürgerlichen Ordnung zu zerstören. Egal wie aggressiv es jedoch mit der Ideologie des Antisemitismus, Rassismus und Sexismus nach der Macht strebt, ist es dennoch nicht selbst in der Lage, eine großbürgerliche Ordnung zusammenzuhalten.
Trotz widriger Umstände ist sowohl die legale als auch die strukturelle Möglichkeit vorhanden, im bonapartistischen Regime Politik zu machen. Das bonapartistische Regime als faschistisch zu erklären, ist ein theoretischer Fehler. Eine solche Definition kann dazu dienen, die Forderung nach einer Unterstützung „demokratischer“ bürgerlicher Kräfte gegen den absoluten Feind zu rechtfertigen, oder im Gegenteil zur Vorstellung führen, dass der Faschismus nicht so gefährlich ist, wie man einst dachte.
Der Bonapartismus will gerade die Arbeiter*innenklasse mit Zucker und Peitsche erziehen. Deshalb unterscheiden sich die Bonaparten auch in Linke, wie Chavez oder Nasser, und Rechte, wie Erdogan oder Brüning (als Beispiel für ein schwacher Bonaparte). Der Faschismus vernichtet die Organisationen der Arbeiterklasse und lässt sie höchstens verschmolzen mit dem Staatsapparat existieren. Natürlich sehen wir an einem historischen Punkt, wo die rechten Kräften durchaus ihre Ziele genau verfolgen, wenn sie an die Macht kommen und die Rechte, Strukturen und Organisationen bewusst angreifen, während die linke Intelligenz, unter anderem durch die Degenerierung der marxistischen Politik im Zeitalter des aufsteigenden Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten durch den Einfluss des Stalinismus und des Reformismus in Form der klassischen Sozialdemokratie und eine „objektive Allianz“ zwischen bestimmten Tendenzen im französischen Poststrukturalismus und der Wiederbelebung des klassischen Liberalismus in der anglophonen Welt durch Rawls, Walzer etc., die Arbeiterklasse nicht erkennen kann. Von dieser Entwicklung ist auch der Begriff des Bonapartismus, der von Marx entwickelt wurde, nicht ausgenommen. Dieser Begriff hat einen interessanten Verlauf hinter sich. Er wurde schon einmal aus der Terminologie der Linken verdrängt. Die zweite Internationale, die die strategische Frage durch taktische Fragen ersetzt hatte, verwendete diesen Begriff kaum. Der Bonapartismus wurde erst wieder von Lenin, Trotzki, Gramsci und Thalheimer im marxistischen Sinne aktualisiert. Der Auslöser war sicherlich die politische und ökonomische Krise zur Zeit des ersten Weltkrieges. Die sehr schematischen und ökonomischen Ansätze der zweiten Internationale fanden für die politischen Ereignisse dieser Zeit keine Erklärung. Der Begriff des Bonapartismus war also wieder gefragt.
Die Weltwirtschaftskrise in den Zentren der Weltökonomie hat sich auf die sogenannte Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Philippinen und die Türkei ausgewirkt. Wir haben in den Zentren Phänomene wie Trump, Johnson und Macron. Diese drei agieren unter verschiedenen Voraussetzungen in Bezug auf die Kräfteverhältnisse in ihren jeweiligen Staaten. Johnson in England zum Beispiel ist bis jetzt nur seinem Vorhaben nach ein Bonaparte. Auf ihn warten sehr viele Konflikte im Staatsapparat, bis er sich als Bonaparte beweisen kann. Trump unternimmt Schritte, um sich den Staatsapparat vollständig zu unterwerfen. Bisher konnte er diese Pläne aber nicht ganz realisieren, was ihn zu einem schwachen Bonaparte im stärksten Lande macht. Wir sehen unter den Regierungen von Trump und Johnson derzeit eine starke Betonung des ökonomischen Protektionismus der imperialen Mächte als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise. Einen derartigen Protektionismus können sich die Türkei oder beispielsweise Indien u.a. nicht leisten. Die Möglichkeiten eines Bonaparten sind also abhängig davon, welche Grundlage ihm zur Verfügung steht, also in welchem Land dieser Bonaparte herrscht. Der Indische Protektionismus kann nicht dieselbe internationale Aggressivität entwickeln, wie der US-Amerikanische. Worin sie sich gleichen, ist nicht nur die ideologische Ähnlichkeit, sondern auch die Ausschaltung und Eingrenzung der parlamentarischen Rechte sowie die Ausweitung und völlige Ausschöpfung der präsidentiellen Rechte im Sinne einer Personenherrschaft. Michael Löwy kennzeichnete diese als „Presidential dictators“.[1] Der Ansatz von Nicos Poulantzas, den Bonapartismus aus dem Militärapparat und den Faschismus aus der Polizeiapparat her zu begründen – „zum repressiven Staatsapparat und zu einem seiner Zweige – der Armee in der Militärdiktatur, der Zivilverwaltung im Bonapartismus, der politischen Polizei im etablierten faschistischen Staat “[2] – verstehe ich als zu kurz gefasst. Genauso wie der Ansatz von Domenico Losurdo, der den Bonapartismus in seinem Buch „Demokratie oder Bonapartismus“ hauptsächlich als gegen das allgemeine Wahlrecht ausgerichtete Grundmuster jeder bürgerlichen Gesellschaft versteht.
Micha Brumlik betonte hingegen, dass Donald Trump als moderner Bonaparte wie Napoleon III. hektische Betriebsamkeit pflegt. Napoleon III. wollte Frankreich konkurrenzfähig mit der führenden Industrienation England machen. Er förderte besonders die Textil- und Eisenindustrie. Er ließ Eisenbahnkilometer um Eisenbahnkilometer bauen, aber auch Schulen und Krankenhäuser. Paris erhielt unter ihm sein heutiges Antlitz, gestaltet von Georges-Eugène Haussmann. Und er entfesselte die Kräfte des Kapitalismus, finanzierte den Boom mit öffentlichen Anleihen statt über Steuern – eine damals neue Methode. Das Wahlrecht hingegen wurde auf Jahre hinaus stark eingeschränkt, das Parlament war entmachtet, Gewerkschaften blieben für lange Zeit verboten.“[3]
Wie unterschiedlich die bonapartistischen Regime sind, können wir lernen, wenn wir die Geschichte betrachten. Russland war vor dem ersten Weltkrieg beispielsweise eine bürgerliche Monarchie durch die Übernahme bonapartistischer Methoden. In Frankreich war unter Napoleon III. bürgerliche Monarchie und bonapartisches Kaiserreich klar und scharf voneinander unterschieden, während der deutsche Bonapartismus unter Bismarck eine Vereinigung beider Typen darstellt, wobei diese Art des Bonapartismus von Marx als Militärdespotismus definiert wurde.
Bonaparten entstehen aus Pattsituation angesichts der gigantischen Aufgaben, wobei keine Fraktion in der Lage ist, das Land allein zu reagieren. Diese Situationen erlauben es, dass eine starke Figur an die Macht kommt. Während die Bonaparten weltweit in verschiedenen Ländern vorkommen, ist das faschistische Regime in den imperialen Zentren der Ökonomien aufgetaucht. Nicos Poulantzas hat Horkheimers berühmten Satz umgedreht und geschrieben: „Wer vom Imperialismus nicht reden will, soll zum Faschismus schweigen.”[4]
Ein Bonaparte ist Ausdruck davon, dass die Arbeiter noch nicht fähig sind, während die Bourgeoisie nicht mehr fähig ist. Darin liegt auch das Programm gegen den Bonapartismus begründet. Dass die Arbeiter*innenklasse aktiv mit einem eigenem Programm und Methoden wie Streiks und Übernahme der Fabriken und Betrieben unter eigener Kontrolle gegen Privatisierung, Prekarisierung und bonapartistische, reaktionäre Politik vorgeht.
Um aus der Weltwirtschaftskrise ohne Bürgerkriege und größere innere Konflikte herauszukommen, erhoben die Klassen den Bonaparten zum obersten Schiedsrichter über die Nation. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Schwellenländer wie die Türkei, wirtschaftlich nicht ohne weiteres höhere Ränge wie den einer Regionalmacht in der Weltordnung erringen können, ohne ein bonapartistisches Regime zu installieren. Oder was hält Bolsonaro zurück ein faschistisches Regime einzuführen? Die Antwort darauf sind die beschränkten Möglichkeiten der brasilianischen Bourgeoisie, einer Bourgeoisie eines nicht imperialistischen Landes. Sowohl Bolsonaros Brasilien als auch gesamt Lateinamerika sind von der ökonomischen Instabilität ihres Kontinents betroffen. Was ist dabei für die Instabilität ausschlaggebend? „Drei Faktoren sind für die Gestaltung der sehr instabilen Situation in Lateinamerika von grundlegender Bedeutung: der Trump-Faktor, der Handelskrieg zwischen den USA und China und der Rückfluss von Kapital von der Peripherie in das Zentrum (im Kontext der wachsenden regionalen Verschuldung).“[5]
Immanuel Wallerstein bezeichnet unsere Zeit als Zeit der strukturellen Krise (structural crisis). Das bedeutet: „ Erst wenn das System an einem Punkt angelangt ist, an dem es nicht mehr zu einem (beweglichen) Gleichgewicht zurückkehren kann, das seine normalen Abläufe erneuert, gerät es in eine strukturelle Krise. Ein zentrales Merkmal einer solchen Strukturkrise ist die chaotische Unsicherheit.”[6]. Ferner verlagert Wallerstein gleichzeitig den autoritären Staat hauptsächlich in die Semi-Peripherie. Eine strukturelle Krise bedeutet auf keinen Fall eine Endzeit des Kapitalismus, wie Wallerstein andeutet, da sich der Kapitalismus durch die Teilvernichtung der existierenden Produktivkräfte, Natur und Bevölkerung wieder stabilisieren kann. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Boom-Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Sie zeigt, dass wir uns nicht an der Grenze der kapitalistischen Produktion befinden, wie Wallerstein behauptet, die sowohl die Kulturen als auch die Umwelt unwiderruflich und allmählich zerstört und kein höheres Leben für die Menschheit bringen kann. Dagegen fehlt auch eine organisierte Kraft der Arbeitenden. Aus dieser Lücke entsteht die Ära des Bonapartismus als weltweite Erscheinung. Bonapartismus ist nicht die einzige Form der Herrschaft derzeit. Sie ist aber die vorherrschende Staatspolitik der sich radikalisierenden Bourgeoisie.
Der Begriff Bonapartismus ist in der heutigen Diskussion aus verschieden Gründen notwendig. Edward Said und Gayatri Spivak beziehen sich auf die Stelle im 18. Brumaire: „Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden.“ Der moderne Postkolonialismus geht von diesem Satz aus, um das Nicht-sprechen des Subalternen zu begründen, deren Worte niemals ihre eigenen sein können. Allerdings ist diese Eigenschaft eine Dynamik des Bonapartismus. Von einander isolierter Parzellenbauern können sich politisch nicht formieren wie die Arbeiterklasse oder Bourgeoisie. Aus dieser Situation ergibt sich die Möglichkeit für den Bonaparten, seine Ordnung aufzubauen, also durch das Fehlen oder die Schwäche von kollektiven Aktionen. Die Ungleichheiten in der Gesellschaft, die nicht individueller Natur sind, sondern als differenzierte Produktionsbeziehungen mit Kollektiven entstehen, von denen die größte die Arbeiterklasse ist, als große Summe von Menschen, werden auch zur Unterstützung des Bonaparte-Regimes mobilisiert. Auch wenn wir uns die Weltordnung durch Wallersteins Weltsystem oder Negris und Hardts Empire anschauen, werden wir sehen, dass der Bonapartismus dort nicht vorkommt, weil der Bonapartismus mit seinen eigentümlichen Erscheinungen solche Systemansätze, auf die ganze Welt angewendet, grundsätzlich in Frage stellt.
Du hast eine Frage angesprochen, die ich hatte: Ich denke, du hast im Allgemeinen Recht, wenn du sagst, dass die Definition des Faschismus nur auf imperialistische Nationen angewendet werden kann (obwohl Ausnahmen entstehen können, z.B. Indien). Der Bonapartismus scheint jedoch viele der Schwächen zu teilen, die mit dem Konzept des Populismus verbunden sind, vor allem die Tendenz, Regime wie Bolsonaro, Chavez, Duterte und Modi zusammenzuführen, obwohl es wichtige Unterschiede zwischen ihnen gibt. Von linkem und rechtem Bonapartismus oder Populismus zu sprechen, bedeutet, eine zugrundeliegende Gemeinsamkeit zu voraus zu setzen, die nicht ihrer realen Ausprägung entspricht. Braucht das Konzept des Bonapartismus eine weitere Verfeinerung oder enthält es mehrere Konzepte, die identifiziert und entwickelt werden müssen?
Das Konzept des Bonapartismus ist die Weiterentwicklung und Aktualisierung des Begriffs Cäsarismus auf der Grundlage der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Hegel bestimmte den Cäsarismus folgendermaßen: „Cäsar hat zweierlei getan: er hat den inneren Gegensatz beschwichtigt und zugleich einen neuen nach außen hin aufgeschlossen. Denn die Weltherrschaft war bisher nur bis an den Kranz der Alpen gedrungen, Cäsar aber eröffnete einen neuen Schauplatz, er gründete das Theater, das jetzt der Mittelpunkt der Weltgeschichte werden sollte.“[7] Cäsar hat sich demnach durch eine Notwendigkeit an die Macht gebracht. Dem römischen Reich fehlte ein geistiger Mittelpunkt. Es gab danach auch eine Entfremdung zwischen den Bürgern und dem Staat. Die öffentlichen Angelegenheiten wurden durch die Privatautorität der Vornehmen, durch ihre Macht, ihren Reichtum, auf tumultartige Weise entschieden, wie Cicero schrieb. Trotz der Ermordung Cäsars hat sich der Cäsarismus aus diesem Grund durchgesetzt. Die Wiederholungen wurden, was am Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten. „So ist Napoleon zweimal unterlegen, und zweimal vertrieb man die Bourbonen.“[8] Cäsar begrub die alte, verfaulte Republik und stieg als Führung der Weltmacht auf.
Karl Marx hat den Begriff als oberflächliche geschichtliche Analogie angesichts des modernen Klassenkampfes definiert. Mit seiner Schrift zum Bonapartismus „Louis Bonaparte 18 Brumaire“ zielte Marx auf die Beseitigung der „jetzt namentlich in Deutschland landläufigen Schulphrase vom sogenannten Cäsarismus“[9]. Simonde de Sismondis Satz bringt den Unterschied auf den Punkt: „Das römische Proletariat lebte auf Kosten der Gesellschaft, während die moderne Gesellschaft auf Kosten des Proletariats lebt.“[10] Die moderne bürgerliche Gesellschaft unterscheidet sich durch die Intensität der internationalen Handels- und Politikbeziehung sowie durch die Klassenbeziehungen vom antiken Rom.
Der Bonapartismus unterscheidet sich von den Möglichkeiten des Staatsapparats des jeweiligen Landes. In einem industriell rückständigen Land, in dem eine relativ schwache Bourgeoisie einem relativ mächtigen Proletariat gegenübersteht, spielt ausländisches Kapital eine entscheidende Rolle. Der Bonaparte ist entweder eine Polizeidiktatur, um das Interessen des ausländischen Kapitals durchzusetzen oder manövriert mit der Arbeiter*innenklasse (Bauern, Kleinbürgertum usw.), um eine gewisse Freiheit gegenüber dem ausländischen Kapital zu etablieren und macht Zugeständnisse wie die Verstaatlichung von wichtigen Sektoren der Industrie. Cardenas in Mexiko 1938 und Chavez in Venezuela sind solche Bonaparten sui generis. Eine andere Form des Bonapartismus sollte ebenfalls kurz erwähnt werden. Die faschistischen Kräfte aus dem kleinbürgerlichen und deklassierten Sektor ändern ihr faschistisches Projekt nach ihrer Machtergreifung in ein Bonaparte-Regime faschistischer Herkunft, das sich aus der Verwüstung, der Ernüchterung, der Lähmung und der Demoralisierung der Massen zusammensetzt. Diese zeichnen sich durch eine viel größere Stabilität aus wie zum Beispiel die Regime von Mussolini und Hitler.
Ein Bonaparte, der nach einer Revolution an die Macht kommt, unterscheidet sich von anderen Formen des Bonapartismus. Die drei Formen des Regimes der französischen Revolution hatten nicht nur politische Differenzen. Ihre Macht fußte auf einer jeweils unterschiedlichen sozialen Basis. Robespierres soziale Basis waren die Handwerker, das thermidorianische Direktorium stützte sich auf das mittlere Bürgertum, während Bonaparte Napoleon die Banken auf seine Seite gezogen hatte und nach der Zeit des Thermidors auftrat. Das Regime von Bonaparte 18. Brumaire ist auch in diesem Sinne zu verstehen. Es geht um die Verteilung der materiellen Vorteile und politischen Rechte des neuen Regimes unter verschiedene Fraktionen des siegreichen „Dritten Standes“. Das Regime eines Bonaparten nach einer Revolution bedeutet nicht die Beseitigung der sozialen Errungenschaften der Revolution, sondern ist eine rückständige Politik, um die Errungenschaften aus der Revolutionszeit sorgsam zu festigen, zu ordnen und zu stabilisieren. Das kann man bei Napoleon sehen, der auf seine Weise das bürgerliche (auch bäuerliche) Eigentum sowohl vor dem „Pöbel“ als auch vor den aggressiven Kapitalausdehnungen verteidigte. Gerade aus diesem Grund war Napoleon, als die lebendige Verkörperung der Revolution, im feudalen Europa verhasst. Die Degenerierung des Bonapartismus von Napoleon war seine Krönung zum Kaiser sowie die Unterdrückung und die erneute Kolonisierung Haitis und seine Ablehnung zur Ausweitung der dortigen Revolution. Schauen wir zum Vergleich nun auf die ehemalige Sowjetunion. Das Stalinregime war in sich eine Verengung der thermidorianischen Zeit, in der die stalinistische Bürokratie auf Bündnisse angewiesen war. Der stalinistische Bonapartismus als politische Vertretung der Bürokratie ist die Befestigung der Macht der Bürokratie. Diese beiden Fälle markieren den Unterschied zu den anderen Arten des Bonapartismus, bei denen nach der sozialen Umwälzung eine Beseitigung der revolutionären Führung und eine Degenerierung der politischen Inhalte stattfinden. Hier hat vor allem Trotzki versucht, die Begriffe in historischen Analogien zu verstehen und sie weiter zu entwickeln. Der Bonapartismus enthält einen Kern, der in allen Ausartungen gleich ist, unabhängig von Epochen, Klassenverhältnissen im jeweiligen Land, internationaler Weltordnung oder der Fähigkeit der eigenen Bourgeoisie auf der Weltarena: der Aufstieg einer einzelnen Figur, die sich in der Hierarchie über den Staatsapparat stellt. Deshalb sind diese Erscheinungen stark an den Begriff des Bonapartismus gebunden.
[1] https://www.artigercek.com/haberler/michael-lowy-entelektuel-gorev-hakikat-icin-dovusmektir
[2] Nicos Poulantzas, Fascism and Dictatorship, p.,318, NLB, 1974
[3] https://www.zeit.de/2017/10/napoleon-iii-geschichte-donald-trump/komplettansicht
[4] Nicos Poulantzas, Fascism and Dictatorship, p.,17, NLB, 1974
[5] Matias Maiello, https://www.laizquierdadiario.com.bo/Bolsonaro-y-el-impasse-latinoamericano
[6] https://www.iwallerstein.com/chaotic-uncertainty/
[7] G. W. Hegel, Werke 12, S. 379, Suhrkamp
[8] G. W. Hegel, Werke 12, S. 380, Suhrkamp
[9] Karl Marx, MEW 16, S. 560, Dietz Verlag
[10] Karl Marx, MEW 16, S. 359, Dietz Verlag