Abwarten auf eine wackelige Ampel?
Die Verteilung der Sitze im Bundestag steht fest, doch die große Entscheidung steht noch aus: Welches Dreierbündnis kommt zustande? Und wer muss dafür Kröten schlucken?
Selbstsicher grinsend schauen sie in die Kamera, die Spitzenleute von FDP und Grünen. Nachdem sich am Dienstagabend die grünen Parteivorsitzenden Habeck und Baerbock mit FDP-Chef Lindner und seinem Generalsekretär Wissing zur Vorsondierung getroffen haben, veröffentlichten alle vier Teilnehmer:innen auf Instagram ein Selfie, das Willen zum Kompromiss – und Digitalaffinität – demonstrieren soll. Die Bildunterschrift tönt: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
Ob man diese Zeiten nun spannend nennen möchte – turbulent könnten sie werden. Noch nie kam es in Deutschland zu einer Dreierkoalition auf Bundesebene. 2017 scheiterte ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen in letzter Minute an Christian Lindner.
Wie neu die Lage im politischen Berlin ist, lässt sich auch daran ablesen, wie der Koalitionspoker begonnen hat: Nicht mit einer Einladung der stärksten Fraktion an potentielle Partner:innen, sondern mit eben dem Treffen der FDP- und Grünen-Spitzen. Sie wollen „ein gemeinsames fortschrittliches Zentrum“ (Lindner) der kommenden Regierung bilden, an ihnen hängt letztlich, ob Scholz oder Laschet als schwacher Kanzler der Koalition vorstehen darf.
Um nicht ganz an den Rand gedrängt zu werden, drängt die Wahlsiegerin SPD auf schnelle Verhandlungen. Der heute mit 97 Prozent in seinem Amt bestätigte Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich erinnerte dazu an die Jamaika-Verhandlungen von 2017. Das Schauspiel, das die kleinen Parteien damals manchmal auf Balkonen absolviert hätten, werde der Aufgabe nicht gerecht. Schon am Ende der Woche will die SPD in die Sondierung mit den mächtigen Kleinen einsteigen.
Die Union versucht derweil aus einer schwachen Position heraus die Anbahnung einer Ampelkoalition zu torpedieren. Laschet erneuerte trotz seines verheerenden Wahldebakels und stärker werdender Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen das Gesprächsangebot an Grüne und FDP. In einer unübersichtlichen Lage wie dieser müsse, so Laschet, jede demokratischer Partei bereit sein, auch Verantwortung zu übernehmen. Seine Hoffnung kann letztlich nur darin bestehen, dass Lindner und die FDP in den Verhandlungen über die Ampel mehr fordern, als SPD und Grüne preisgeben wollen.
Auf den grünen Sondierer:innen lastet indes der Druck der Basis, nicht mit der Union zusammenzugehen. Davon zeugen nicht nur unzählige Ampel-Emojis unter Habecks FDP-Selfie, sondern auch die Forderung der Grünen Jugend, Laschet nicht zum Kanzler zu machen. „Eine Jamaika-Koalition mit der Union würde die Grüne Jugend nicht mitmachen“, teilte Bundessprecher Georg Kurz der Neuen Osnabrücker Zeitung mit. Welche Konsequenzen die Jugendorganisation in einem solchen Fall ziehen würde, sagte Kurz nicht.
Was die Ampelfarben trennt
Dass SPD und Grüne gut zueinander finden werden, darf als sicher gelten. Die „Brücken über Trennendes“, von denen im gelb-grünen Instagram-Post die Rede war, dürften derweil sehr viel schwieriger zu schlagen sein. Besonders in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind die zu überwindenden Gräben tief.
SPD und Grüne haben versprochen, kleine und mittlere Einkommen steuerlich zu entlasten und dafür bei den höheren Einkommen über 250.000 Euro etwas stärker zuzugreifen. Die Liberalen lehnen als Reichenpartei hingegen Steuererhöhungen ab und wollen Personen mit einem Einkommen über 150.000 Euro sogar 9,7 Prozent weniger Steuern abverlangen als bisher. Gleichzeitig wollen alle drei größere Investitionen tätigen, nicht zuletzt in die Digitalisierung als FPD-Prestigethema. Auch die Schuldenbremse wird nicht angetastet werden, wie der SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans bereits angekündigt hat.
Also: Steuern runter, Schulden runter, Investitionen hoch? Wie soll das zusammengehen?
Auch die Energiewende stellen sich die potentiellen Koalitionär:innen grundlegend anders vor. Dass ihre Programme nicht ausreichen, um die Klimakatastrophe einzudämmen, haben sie zwar gemein. Doch während die Grünen auf gesetzliche Vorgaben setzen, beten die Liberalen die unsichtbare Hand des Marktes an und hoffen, dass klimaschädliche Technologien von selbst verschwinden werden. Während die Grünen etwa auch ein Tempolimit auf den Autobahnen fordern, ist das Recht auf Rasen für die FDP und ihre Klientel eine Herzensangelegenheit. Und während Grüne und SPD in die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr investieren wollen, fordert die FDP deren vollständige Privatisierung. Dass auch SPD und Grüne einer Privatisierung des ÖPNV nicht ablehnend gegenüberstehen müssen, zeigt immerhin das Beispiel Berlin, wo mit Duldung der Linkspartei die Privatisierung der S-Bahn voranschreitet.
Weniger schwierig könnte die Annäherung in Sachen Mindestlohn werden. Scholz bezeichnete vor den Wahlen die Anhebung auf 12 Euro als „mein wichtigstes Gesetz“, an beinahe jeder Straßenecke fand sich im Wahlkampf ein SPD-Plakat, das dafür warb. Die Grünen erheben dieselbe Forderung. Und sogar die Liberalen stehen einer Mindestlohnerhöhung nicht generell ablehnend gegenüber. Sie wollen jedoch damit einhergehend die Stunden erhöhen, die Beschäftigte im Rahmen eines Mini- beziehungsweise Midijobs arbeiten dürfen. Gut möglich also, dass eine Ampelregierung tatsächlich ein zentrales SPD-Versprechen umsetzen würde. Die Lohnerhöhung würde für die meisten allerdings wohl schnell von steigenden Mieten wieder aufgefressen. Denn einen Mietendeckel wird es in einer Regierung mit FDP-Beteiligung kaum geben.
Abwarten auf eine instabile Regierung?
Derzeit scheint eine Ampelkoalition trotz aller Hürden als wahrscheinlichste Option – zu schwach ist die Position von Laschet und der Union nach ihrer historischen Niederlage. Doch bis zur Ampel gibt es für alle Beteiligten eine Menge Kröten zu schlucken. Die Dreierkonstellation macht die Verhandlungen natürlich nicht gerade einfacher. Eine Regierungsbildung wird ohnehin erst gegen Jahresende erwartet.
Dass Grüne und FDP immer auch die Option haben, sich doch mit der Union einzulassen, wird Scholz und die SPD nicht nur in den Verhandlungen unter enormen Druck setzen. Es bliebe auch für seine potenzielle Kanzlerschaft eine Hypothek. Die Post-Merkel-Ära wird erst in einigen Monaten wirklich anbrechen – und ihr Nachfolger wird seine liebe Mühe haben, den Laden zusammenzuhalten.