Abschied von Berlins letztem linken Historiker
Wolfgang Wippermann ist am 3. Januar verstorben. Wer soll sich jetzt mit den historischen Revisionist:innen in Deutschland anlegen?
Deutschlands Historiker:innen neigen in der Regel nach rechts. Ich möchte niemanden namentlich erwähnen, weil ich nicht verklagt werden möchte. Belassen wir es dabei, dass deutsche Gerichte geurteilt haben, dass es in Ordnung ist, Jörg Baberowski, einen Geschichtsprofessor an der Humboldt-Universität, „rechtsradikal“ zu nennen.
Aus diesem Grund werden wir Wolfgang Wippermann vermissen. Er ist am 3. Januar, kurz vor seinem 76. Geburtstag, verstorben. Der Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin war ein Experte für deutschen Faschismus, Verschwörungstheorien, Antikommunismus, Antisemitismus und Antiziganismus, den er richtigerweise als die einzige Form von Rassismus bezeichnete, die heute in der deutschen Mainstream-Gesellschaft akzeptiert ist.
Wippermann war oft der einzige Professor, der sich den rechten Cliquen entgegenstellte, die versuchten, die beispiellosen Verbrechen des deutschen Staates zu relativieren. Deshalb ist auf Wippermanns Wikipedia-Seite der Abschnitt „Kontroversen“ dreimal so lang wie die Biografie.
Die Sache ist die: So links war Wippermann gar nicht. Als Student war er Mitglied einer schlagenden Verbindung gewesen. Außerdem war er ein stolzer Sozi, ein SPD-Mitglied. Seine Dissertation machte er bei Ernst Nolte, der in den 1980er Jahren mit dem Historikerstreit für Aufsehen sorgte. Nolte behauptete, der Holocaust sei nicht einzigartig, sondern eine Reaktion auf die Verbrechen der Bolschewiki in der Sowjetunion gewesen. Natürlich ist dies das gleiche Argument, welches Reichsführer SS Heinrich Himmler zur Rechtfertigung des Völkermordes anführte.
Wippermann wurde bald zu einem führenden Gegner solcher Thesen. Und warum? Nach meinen eigenen, oberflächlichen Beobachtungen würde ich sagen, dass Wippermann einfach sehr gerne stritt, und als sich die deutschen Historiker:innen von Mitte-rechts nach ganz rechts bewegten, war es für ihn ganz natürlich, gegen den Strom zu schwimmen.
Er erzählte mir einmal, wie er früher im Hamburger Hafen gearbeitet hatte und sich dabei mit anderen Hafenarbeitern mit großen Haken prügelte, wie Marlon Brando in „Die Faust im Nacken“. Ich habe keine Ahnung, ob das wahr ist. Wippermann stammte aus einer langen Abfolge deutscher Liberaler, aber er wäre nicht das einzige Kind aus privilegierten Verhältnissen, das nach 1968 eine proletarische Arbeit aufnahm, bevor es eine illustre Karriere einschlug. Wenn man betrachtet, wie gerne er bei Podiumsdiskussionen seine Gegner angriff, kann man sich leicht vorstellen, wie er einen riesigen Haken schwang.
Wippermanns Spezialität war es, sich vor ein großes Publikum aus deutschen Bildungsbürger:innen zu setzen, alle heiligen Kühe ihrer historischen Überzeugungen aufzureihen und dann mit einem rhetorischen Viehtreiber auf sie loszugehen. Er griff beispielsweise den Mythos an, dass sich die Wehrmacht und die großen deutschen Unternehmen von den schlimmsten Verbrechen der Nazis ferngehalten hätten. Der zentrale Begriff der bürgerlichen Ideologie in Deutschland ist heute die „Extremismustheorie“ bzw. die „Totalitarismustheorie“: die Behauptung, dass Faschismus und Stalinismus im Grunde dasselbe und das Dritte Reich und die Deutsche Demokratische Republik deshalb die „zwei deutschen Diktaturen“ seien. Wippermann war zwar kein Fan der DDR, wandte sich aber gegen die gut finanzierte und unwissenschaftliche „Dämonisierung“ des Ostens.
Meine erste Begegnung mit Wippermann war 2007, als die Freie Universität eine Bronzestatue für zehn FU-Studenten einweihte, die in den 1950er Jahren von den sowjetischen Behörden verhaftet und hingerichtet wurden. Die Universität stellte sie als Freiheitskämpfer wie die Geschwister Scholl dar – Wippermann wies darauf hin, dass es sich um Nazis und Agenten einer CIA-gesteuerten Terrorgruppe handelte. Bei einer spärlich besuchten Podiumsdiskussion saß Wippermann neben einer Reihe kritischer Student:innen. Und schon bald geriet er mit einem Antikommunisten im Publikum in ein Wortgefecht – die jungen Leute wirkten im Vergleich dazu allzu brav. Wippermann schien die leidenschaftliche Atmosphäre vergangener Jahrzehnte an der Universität zu vermissen – Jahrzehnte neoliberaler Reformen hatten ihren Tribut gefordert.
Als er mich dann in einem seiner Seminare Flugblätter für eine marxistische Gruppe verteilen sah, tat er sein Bestes, um die anderen Studenten anzustacheln: „Schaut mal, das ist ein Roter! Will sich denn keiner mit ihm anlegen?“ Niemand ist darauf angesprungen.
Wippermann erforschte sowohl, wie der deutsche Faschismus an die Macht kam, als auch, wie die Arbeiter:innenbewegung sich bemühte, ihn zu verstehen und zu bekämpfen. Recht absurd ist aus meiner Sicht, dass Wippermann sich weigerte, Trotzki in sein Buch über Faschismustheorien aufzunehmen. Perry Anderson stellte fest, dass „Trotzkis Schriften über den deutschen Faschismus […] die erste wirkliche marxistische Analyse eines kapitalistischen Staates des 20. Jahrhunderts“ darstellen und „deren Qualität als konkrete Untersuchung einer politischen Situation in der Geschichte des historischen Materialismus“ einzigartig ist.
Wippermann hingegen zuckte mit den Schultern und sagte, Trotzki habe dem Faschismus nie ein Buch gewidmet. Das stimmt – aber in diesem Sinne könnte man auch behaupten, dass Marx nie über die Revolution der Arbeiter:innenklasse geschrieben hat. Nichtsdestotrotz war Wippermann gerne bereit, an einem Podium einer kleinen trotzkistischen Gruppe teilzunehmen, um die Frage zu diskutieren, wie die Nazis hätten gestoppt werden können. Es gibt in Deutschland wohl kaum einen anderen Professor, der sich mit „Linksextremisten“ so zusammensetzen würde.
Eine postmoderne Polemik möchte ich vermeiden. Obwohl ich mir sicher bin, dass Wippermann, sollte es so etwas wie ein Leben nach dem Tod geben, seine Zeit dort damit verbringen wird, mit anderen Historiker:innen zu streiten.
Ich habe ihm viel zu verdanken. Er hat zwei verschiedene Abschlussarbeiten von mir angenommen, die die meisten anderen Professor:innen als kaum getarnte kommunistische Propaganda abgelehnt hätten. (Sogar Wippermann meinte, ich würde damit mein Glück herausfordern.) Er hat einer ganzen Generation antikapitalistischer Historiker:innen in Deutschland eine Chance gegeben, die ansonsten aus der Akademie ausgeschlossen gewesen wären.
Wippermann wird fehlen. Er hinterlässt ein Werk, das künftigen Generationen dabei helfen wird, Deutschlands Rechtsruck herauszufordern.
Dieser Artikel erschien zuerst am 20. Januar auf Englisch bei Exberliner.