Abschieben, und zwar schnell: Bund und Länder treffen sich zu Flüchtlingsgipfel

10.05.2023, Lesezeit 7 Min.
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Ajdin Kamber / shutterstock.com

Beim heutigen "Flüchtlingsgipfel" beraten Bund und Länder über verschiedene Aspekte der künftigen Asylpolitik. Vordergründig geht es um Fragen der Finanzierung, tatsächlich aber könnten massive Verschärfungen des Asylrechts beschlossen werden.

Wenn sich Bund und Länder streiten, ist in den allermeisten Fällen Geld die Ursache. So scheint es vorgeblich auch beim Flüchtlingsgipfel im Rahmen des Bund-Länder-Treffens zu sein, zu dem Olaf Scholz am Mittwochnachmittag einlud. Bei Betrachtung der Beschlussvorlage der Bundesregierung wird hingegen deutlich, dass die von den Bundesländern angemahnten zusätzlichen finanziellen Mittel nur ein Aspekt der Diskussionen sein können, insofern das Papier Vorschläge zu einer massiven Verschärfung des Asylrechts beinhaltet. Wenn es etwa heißt, dass „Bund und Länder […] die Zahl der Rückführungen ausreisepflichtiger Personen steigern [werden]“, so ist damit letztlich nur gemeint, dass Abschiebungen schneller und noch rigoroser, als es bereits jetzt der Fall ist, vollzogen werden sollen. Um eben jene schnellen Abschiebungen zu gewährleisten, wird die Einrichtung einer zentralen Ankunftseinrichtung befürwortet, aus der heraus direkt abgeschoben werden kann. Parallel dazu sollen die Haftgründe im Asylrecht ausgeweitet werden. Künftig könnte beispielsweise der Verstoß gegen ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot in Abschiebehaft enden. Ebenso soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von derzeit maximal zehn Tagen auf 28 Tage verlängert werden. Damit Abschiebungen nicht an der Haustüre scheitern, soll es den „Behörden […] erleichtert werden, Gemeinschaftsunterkünfte zu betreten.“ Dass die Polizei auch jetzt schon die Räumlichkeiten von Geflüchteten vorzugsweise nachts stürmt, um die Bewohner:innen direkt in ein Flugzeug Richtung Krieg, Umweltkatastrophe oder persönlicher Verfolgung zu befördern, bleibt unerwähnt. So paradox es wirken mag, stellt derzeit eine laufende Klage gegen eine:n Geflüchtete:n ein Hindernis bei der Abschiebung dar, insofern die Staatsanwaltschaft dann beteiligt werden muss. Diese Fälle möchte man zukünftig reduzieren. Ginge es nach FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, so bliebe die von Scholz ausgerufene militärische Zeitenwende nicht allein: Es brauche auch eine Zeitenwende in der Migrationspolitik, was für die FDP die Zuwanderung von Arbeitskräften, nicht aber die „Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme“ bedeutet. Aus Sicht des Kapitals ist eine Verschärfung der Asylpolitik unvermeidlich, insofern die verstärkten Konfrontationen zwischen Staaten, in deren Kontext auch die Aufrüstung steht, mit Kriegen einhergehen, die wiederum zu einer zunehmenden Anzahl an Geflüchteten führen.

Im gemeinsamen Papier der Bundesländer, das als Gegenentwurf zur Beschlussvorlage der Bundesregierung gilt, ist die Forderung zentral, die Zahlungen, die der Bund leistet, an der Zahl der aufgenommenen Personen zu orientieren. Verlangt wird weiterhin auch die vollständige Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung, aber auch eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Bisher fühlten sich die Kommunen, denen die konkrete Organisation von Unterbringung und Versorgung vor Ort obliegt, primär überfordert.

Es ist nicht verwunderlich, dass die vorgeschlagenen Verschärfungen und Erweiterungen von Abschieberegelungen bisher weniger Kontroversen auslösten. Ganz im Gegenteil bringt etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder weitere Ideen ein; selbstverständlich nicht, ohne nochmals zu betonen, dass die CSU auf dem Grundrecht auf Asyl stehe. Jene Floskel hindert ihn nicht am Vorschlag, Länder, die einer Rückführung nicht zustimmen, weiter unter Druck zu setzen: So müsse man künftig über Kürzungen der Entwicklungshilfe nachdenken. Ganz neu sind solche Überlegungen allerdings nicht. Im Januar etwa schlug der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr vor, man könne ja die Rücknahme in Herkunftsländer an Geld für den Klimaschutz koppeln: „Wer seine Landsleute zurücknimmt, erhält im Gegenzug Unterstützung etwa bei der Produktion von klimaneutralen Kraftstoffen für Autos in Deutschland. Das wäre in beiderseitigem Interesse.“ Ginge es nach einem Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums, könnten davon bald noch mehr Staaten betroffen sein, insofern die Erweiterung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer angestrebt wird. Asylanträge von Menschen aus den als sicher eingestuften Herkunftsländern werden grundsätzlich als offensichtlich unbegründet abgelehnt – es sei denn, Geflüchtete können das Gegenteil beweisen. Die Innenminister von Sachsen und Brandenburg, Armin Schuster (CDU) und Michael Stübgen (CDU), fordern darüber hinaus stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien, um die Migration über diese Wege zu begrenzen. Ein Vorbild gibt es bereits: Seit Herbst 2015 führt die Bundesregierung in Bayern Grenzkontrollen zu Österreich sowie Schleierfahndungen an anderen Grenzen durch.

Grenzen, Mauern und Zäune

Von Grenzen, Mauern und Zäunen träumen nicht nur Donald Trump und Konsorten, sondern auch Christian Lindner und Nancy Faeser. Letztere zählt zudem auch Aufnahmezentren an Europas Außengrenzen zu dem von ihr ausgemachten historischen Momentum für die Reform des europäischen Asylrechts. Dies würde dazu führen, dass noch an den Außengrenzen und nicht erst innerhalb der EU Entscheidungen über das Bleiberecht von Geflüchteten getroffen werden. Im Falle einer Ablehnung würden Menschen dann direkt zurück in ihre Heimat abgeschoben werden. Faesers Vorschlag ist Teil einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik, die unter erheblichem Zeitdruck realisiert werden soll, um das Thema nicht in verschiedene Wahlkämpfe einbeziehen zu müssen. Genau genommen begeht die Bundesinnenministerin hier einen Ideenklau und das nicht etwa in den eigenen SPD-Reihen: Bereits 2019 schlug der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eben solche Aufnahmezentren vor, jedoch endete die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im Juni 2020 ohne Einigung in der Asylpolitik. Faeser bedient sich dabei nicht den Überlegungen irgendeines eher gemäßigt konservativen Unionspolitikers, sondern vielmehr hinderte Seehofer mit seiner politischen Ausrichtung die AfD möglicherweise das eine oder andere Mal daran, die CSU von rechts überholen zu können. Hier werden Sozialdemokratie und Fortschrittsregierung wieder einmal schonungslos demaskiert. Seehofer selbst ließ sogleich seine Freude über Faesers Vorhaben verlauten.

Rassistische Außen- und Asylpolitik lässt sich nicht feministisch framen

Dass das Bundesfinanzministerium die Forderungen der Länder nach mehr Geld bereits im Vorfeld des Bund-Länder-Treffens zurückwies, überrascht nicht. 2023 sind rund 26,65 Mrd. Euro für flüchtlingsbezogene Ausgaben vorgesehen. Wie schon bei den Sozialausgaben will Lindner an dieser Stelle sparen. Gleichzeitig beläuft sich der Verteidigungsetat auf rund 50,1 Mrd. Euro, wobei das Sondervermögen von 100 Mrd. Euro noch nicht eingerechnet ist. Das Signal ist mehr als deutlich: Geld für Panzer und Waffen ja, Geld für Bildung, Soziales, Gesundheit und Geflüchtete nein.

Die Debatten rund um den Flüchtlingsgipfel setzen fort, was seit Jahren betrieben wird: Die Festung Europa wird, beispielsweise auch durch Frontex, immer weiter hochgerüstet, Menschen ertrinken im Mittelmeer und Deutschland exportiert Waffen in Länder wie die Türkei, die damit Kurdistan zerbombt. Gut ausgebildete Fachkräfte sollen angeworben werden, um sie hier für die Interessen des Kapitals ausbeuten zu können, während Geflüchtete in Haft genommen und abgeschoben werden. Die geplanten Verschärfungen stehen für eine rassistische Asyl- und Außenpolitik, die auch nicht dadurch menschenwürdiger wird, dass Annalena Baerbock sie als feministisch deklariert.

Ergebnisse vom Bund-Länder-Treffen gibt es vorerst keine: Um kurz vor 18.00 Uhr wurde der Gipfel unterbrochen, die Beratungen sollen zunächst getrennt geführt werden, bevor die Debatte in der gesamten Runde fortgesetzt wird.

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