Abmahnung von Leonie: Ein Angriff auf den feministischen Kampf für körperliche Selbstbestimmung
Abmahnung gegen die Hebamme Leonie Lieb: Diese antifeministische Attacke richtet sich nicht nur gegen sie, sondern gegen die Selbstbestimmung Gebärender über ihre Geburt und ihren Körper.
Leonie und ihre Kolleginnen kämpfen seit einigen Monaten für den Erhalt ihres Kreißsaals in Neuperlach, der mit dem Kreißsaal Harlaching zusammengelegt werden soll. Die Klinikleitung reagiert mit Repression: Leonie Lieb erhielt eine Abmahnung wegen eines Interviews über den Kampf gegen die Schließung, welches sie der Jungen Welt gab.
Die Hebammen kämpfen für den Erhalt ihres Kreißsaals, weil sie bisher in ihrem Kreißsaal die Gebärenden ohne Personalmangel begleiten können, was eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Geburt ist. Und diese Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein feministischer Grundsatz.
Selbstbestimmt Gebären
Geburten sind für Gebärende eine enorme psychische und physische Belastung und jede Geburt ein einzigartiges Ereignis. Damit ist die Arbeit von Hebammen anstrengend: von der Feststellung der Schwangerschaft über die eigentliche Geburt bis zur Beratung während der Stillzeit und der Begleitung in den Wochen nach der Geburt. Die Betreuung vor der Schwangerschaft kann maßgeblich beeinflussen, wie eine Geburt abläuft, wie anstrengend und medizinisch kompliziert sie für alle Beteiligten ist. Denn dazu gehört die Aufklärung über den Umgang mit Schmerzen und die Möglichkeiten von Schmerzmitteln oder Eingriffen.
Dafür braucht es gut geschultes und vor allem ausreichendes Personal. Also eine Hebamme, die vor, nach und besonders während der Geburt die Zeit hat, auf die gebärende Person eingeht, ihr zuhören kann.
Fakt ist, dass Geburten ein Zusammenspiel zwischen Gebärenden, dem Baby und der Hebamme sind. Die notwendige Zeit aber in immer weniger Kreißsälen zur Regel gehören: Durch den Mangel an Personal und den Zeitdruck, ausgelöst durch auf Profit orientierte Gesundheitsversorgung, gelenkt durch das DRG-System, kann oft keine 1:1-Betreuung gewährleistet werden. Hebammen müssen so üblicherweise mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen. Die Initiative für gerechte Geburt wertet die strukturelle Unterversorgung von Hebammen, fehlende Raumkapazitäten und Personalmangel als Gewalt bei der Geburt. Denn während einer Geburt allein zu sein, kann traumatisch sein: Hebammen müssen aber zwischen drei bis vier Gebärenden hin und her rennen. Die Gebärenden selbst wissen dann gar nicht, wann die Hebamme wieder kommt und werden allein gelassen. Auch der Mangel an Ärzten gefährdet die Selbstbestimmung und die körperliche Gesundheit. In meinem Praktikum war ich dabei, als eine Assistenzärztin einen Dammriss nähen musste, obwohl sie darin noch nicht genug geübt war. Das führte dazu, dass die Betäubung während des Eingriffs nicht vollständig wirkte und die Mutter den Schmerzen ausgesetzt war. All das, weil die zuständige Gynäkologin gerade woanders beschäftigt war und alles schnell schnell gehen musste.
Jede dritte Geburt ist in Deutschland ein Kaiserschnitt. Es ist wichtig, dass es für Gebärende diese Möglichkeit gibt, wenn es denn notwendig ist. Die Entscheidung dafür oder dagegen sollte gut begründet sein. Denn Kaiserschnitte können für die Gebärenden psychisch und physisch belastend sein, die medizinischen Auswirkungen dieses operativen Eingriffs werden oft unterschätzt. Während meines Praktikums sah ich eine Gebärende während einem Kaiserschnitt weinen, die ganze Zeit. Aus Angst vor den Schmerzen nach der Operation. Aber Kaiserschnitte werden in dem momentanen Gesundheitssystem auch oft durchgeführt, wenn sie medizinisch nicht notwendig sind. Sondern eben, weil sie planbar sind und weniger Zeit kosten, der Klinik also mehr Geld bringen.
Die Entscheidung über Untersuchungen, Eingriffe und Medikamente während des Prozesses der Geburt sollte bei der gebärenden Person liegen! Dafür muss sie vor, nach und während der Geburt aufgeklärt werden. Diese Aufklärung oder auch die Absprache von Eingriffen scheitert jedoch oft am Zeitdruck, dem die Hebammen ausgesetzt sind, denn das DRG System sieht vor, möglichst viele Geburten in möglichst wenig Zeit durchzuführen.
Respekt vor einer langen Geburt sollte zu Geburten dazu gehören, aber Angst vor Entscheidungen, die nicht abgesprochen oder hinterher in Ruhe erklärt werden, oder sogar Traumata aufgrund der Erlebnisse nicht.
Die Hebammen in Neuperlach schätzen an ihrem Kreißsaal, dass ihre Lage nicht ganz so prekär ist wie an anderen Orten. Es gibt keinen Personalmangel und deswegen können sie sehr individuell und bedürfnisorientiert Geburten begleiten. Auch die Kaiserschnittrate liegt im Kreißsaal Neuperlach viel niedriger. Um diesen verhältnismäßig guten Stand der Einrichtung zu erhalten und auch weiterhin gebärenden Personen eine gute Betreuung sowie deren Kindern einen sicheren Start ins Leben zu ermöglichen, kämpfen die Hebammen.
Die Schließung dieses Kreißsaals würde bedeuten, dass zukünftig Gebärende in eine andere Klinik fahren müssen, in der es weniger Personal gibt und deswegen die Kaiserschnittrate höher ist etc. Also ist die Schließung des Kreißsaals auch ein Einschnitt in die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, was ein feministischer Grundsatz ist.
Angriff
Aus diesem feministischen Grundsatz heraus haben sich Feminist:innen unter anderem von Brot und Rosen, RIO, Studierende und Beschäftigte in einem Solidaritätskomitee zusammengeschlossen, um den Kampf gegen die Schließung zu unterstützen. Mit den Hebammen zusammen startete eine Petition gegen die Schließung, die mittlerweile über 23.000 Mal unterschrieben wurde. Mit der öffentlichen Politisierung der Schließung auf Kundgebungen und Veranstaltungen wurde der Stadtrat gezwungen, eine Verschiebung der Schließung auf 2028 zu beschließen. Ein klarer Erfolg des Protests der Kolleginnen am Kreißsaal und des Solidaritätskomitees! Die Schließung ist rausgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Die Abmahnung ist auch ein Versuch der Klinikleitung, die Selbstorganisierung durch die Einschüchterung der Kolleg:innen zu schwächen. Denn letztlich war es nur der Initiative der Kolleg:innen zu verdanken, dass der Kreißsaal Neuperlach erhalten bleibt. Für die München Klinik bleibt das natürlich ein Dorn im Auge, denn je besser die Beschäftigten untereinander organisiert sind, desto schwieriger werden sie in Zukunft, Einsparung und Profitmaximierung durchsetzen zu können.
Die Hebammen im Kreißsaal Neuperlach kämpfen auch repräsentativ für den Weiterbestand von anderen Kreißsälen, denen die Schließung droht. Schließungen bedeuten schlechtere Versorgung von Gebärenden und sind damit ein Teil von Gewalt unter der Geburt, hierbei ausgeübt von einer Sparpolitik im Gesundheitssystem.
In Solidarität mit den Hebammen fordern wir die Klinikleitung dazu auf, die Abmahnung zurückzunehmen! Solidarität mit dem Kampf gegen die Schließung! Für ein Gesundheitssystem, in dem Frauen und gebärfähige Menschen frei über ihre Körper entscheiden können und darüber, wann und wie wir Kinder bekommen!