Abifalle – Warum mich die Prüfungen jetzt in einen Teufelskreis bringen

01.04.2020, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Der Corona-Virus legt die ganze Welt lahm und ich schreibe bald Abitur. Wo liegt nun genau das Problem? Omeima Garci, eine Hamburger Schülerin, berichtet.

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Die Umstände, unter denen ich und 350.000 andere Abiturient*innen uns vorbereiten sollen, sind nicht die besten. Für eine optimale Vorbereitung sind ein Zimmer zum Lernen, ein Laptop zum Recherchieren und eine angenehme Lernatmosphäre notwendig.

Nicht alle von uns haben ein Zimmer, wo sie in Ruhe lernen können, oder uneingeschränkten Internetzugang. Lernräume, wie die Bücherhallen und die Staatsbibliothek, sie sind eine Grundvoraussetzung für viele von uns, um überhaupt für die Prüfungen lernen zu können.
Hinzu kommt, dass nicht alle einen Laptop haben, wo sie sich Informationen beschaffen können, geschweige denn einen Drucker. Es ist äußeren Umständen geschuldet, dass diese Schüler*innen, zu denen ich zähle, sich nun nur bedingt auf die Abitur-Prüfungen vorbereiten können.

Nicht nur materielle Ungleichheit macht das Lernen schwierig. Nicht alle sind psychisch stabil genug, um sich auf das Lernen zu konzentrieren zu können. Die Situation lässt Fragen aufkommen, die niemand so recht beantworten kann – Fragen wie: „Wann hört das auf?“ Dass auf diese Frage keine Antwort gefunden werden kann, löst Unsicherheit aus.

Das Abitur ist ein wichtiger Baustein für unsere Zukunft. Diesen Baustein legen zu können ist ohnehin für die Einen einfacher und für die Anderen eine größere Anstrengung. Weil die Einen aus Haushalten kommen, die “bildungsferner“ sind, und die Anderen aus Akademiker-Familien. Nun spitzt sich die Lage noch mehr zu und Chancenungleichheit ist zum Greifen nah. Das definiert dann auch die Qualität des Bausteins.

Ich habe kein eigenes Zimmer und auch sonst nicht wirklich eine ruhige Ecke, um zu lernen. Viele haben auch keinen Laptop, um vernünftige Recherchen zu tätigen. Weder kann ich was dafür, dass ich kein eigenes Zimmer habe, noch können andere etwas dafür, dass sie keinen Laptop haben.

Jetzt soll die soziale Ungleichheit, die unsere Vergangenheit bestimmt hat, durch erschwerte Bedingungen für die Vorbereitung auf unser Abitur, auch noch unsere Zukunft bestimmen? Ein Teufelskreis.

Chancengleichheit ist ein Wunsch der Liberalen, der realpolitisch nicht existent ist. In Deutschland hängt soziale Herkunft mit dem Bildungserfolg eng zusammen. Mit schlechten Abiturnoten sind nicht alle Studiengänge möglich, und ein schlechtes Abitur ist auch nicht die beste Voraussetzung für eine gute Zukunft.

Ich komme aus diesem Teufelskreis der sozialen Ungleichheit nicht heraus.
Und das Einzige, was mir Hoffnung gab, nämlich das Abitur, ist nun auch in Gefahr.

Mit diesen Sorgen und Ängsten haben wir uns an den Hamburgischen Schulsenator Ties Rabe gewandt, in der Hoffnung, dass man uns zuhört. Wie man seiner Antwort entnehmen kann, ist dies nicht passiert. In einer öffentlichen Pressemitteilung hat er geschrieben, dass die Abitur-Prüfungen stattfinden werden, weil “vergleichbare Maßstäbe über die Jahrgänge hinweg“ gebraucht werden.

Das ist in meinen Augen ein Widerspruch in sich, denn die vergleichbaren Maßstäbe sind nicht gegeben. Diese Situation ist ein Ausnahmefall. Hinzukommt, dass die Jahrgänge vor uns die Möglichkeit hatten, sich in Bibliotheken vorzubereiten, an den Computern der Bücherhallen zu arbeiten und sich in Lerngruppen auszutauschen. Auch dieser Maßstab fehlt also. Die einzige Konstante ist also, dass das Abitur geschrieben wird.

Das Gefühl der Machtlosigkeit ist größer geworden, weil mir solche Antworten zeigen, dass man uns als Schüler*innen nicht ernstnimmt – weder uns, noch unsere Sorgen und Ängste.

Die Entscheidung, das Abitur trotz beschriebener Umstände zu schreiben, heißt für viele von uns Ungerechtigkeit, die sich nun in Form von einem Abischnitt in Zahlen ausdrückt. Nur ist es damit nicht getan.

Der Gedanke, dass dieser Schnitt hätte besser sein können, wenn die Umstände bessere gewesen wären – ich meine damit keine Schulreform, die allen eine Chancengleichheit bieten kann, sondern das einfache Fehlen von Lernräumen und einen rücksichtslosen Beschluss des Kultusministeriums – und dass viele von uns deswegen im schlimmsten Fall nicht in ihr Wunschstudium kommen, wird uns Schüler*innen immer verfolgen.

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