9. November: Aus der Novemberrevolution lernen, um den Rechtsruck zu bekämpfen!

09.11.2018, Lesezeit 8 Min.
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Vor genau 100 Jahren stürzte die Novemberrevolution die Monarchie, wurde dann aber von SPD und Freikorps im Blut ertränkt. Über nützliche Lehren für den Kampf gegen den Rechtsruck heute.

100 Jahre Novemberrevolution, 80 Jahre Reichspogromnacht: Der 9. November ist dieses Jahr ein besonderer Jahrestag. 100 Jahre sind seit dem Sturz des Kaisers Wilhelm II. vergangen, der das Ende des 1. Weltkriegs besiegelte und auf dessen Trümmern sich der Traum einer sozialistischen Gesellschaft errichtete. 80 Jahre her ist der Höhepunkt der Novemberpogrome, bei denen jüdische Einrichtungen, Synagogen, Geschäfte und Menschen Zielscheibe antisemitischer Mobs wurden, die die letzten Reste jüdischen öffentlichen Lebens in Deutschland gewaltsam beseitigen wollten.

Heute nutzen rechtspopulistische und rechtsradikale Gruppen den 9. November zudem in Anspielung auf den Mauerfall, der 1989 am selben Tag geschah, um die Notwendigkeit einer neuen „nationalen Revolution“ zu propagieren. Warum das eigentlich eine kaum verhüllte Hommage an die antisemitischen Hetzjagden von 1938 ist und die wirklichen sozialen und demokratischen Fragen der sogenannten „Wende“ 1989 damit in den Dreck gezogen werden, dazu an anderer Stelle mehr. Uns interessiert hier eine andere Parallele zu 1938: Um heute, 80 Jahre nach den Novemberpogromen den erneuten Aufstieg rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer, frauenfeindlicher Kräfte zu stoppen, müssen wir Lehren aus jenem anderen 9. November ziehen, der vor 100 Jahren die Welt erschütterte: die (letztlich gescheiterte) Novemberrevolution.

1938 ist nicht ohne 1918 zu erklären

Der Erste Weltkrieg hatte eine bis dahin nie gesehene Zerstörung angerichtet und Millionen von Menschen für die Interessen ihrer jeweiligen nationalen Bourgeoisien geopfert. Ende Oktober und Anfang November 1918 weigerten sich Matrosen in Wilhelmshaven, Kiel und anderen Hafenstädten, weiterhin Befehle auszuführen und forderten unter anderem das sofortige Ende des Krieges. Der Matrosenaufstand weitete sich schnell auf das ganze Land aus und überall wurden „Arbeiter- und Soldatenräte“ ins Leben gerufen. Am 9. November 1918 erreichte der Aufstand Berlin. Der Kaiser musste abdanken, die Monarchie war gestürzt, der Krieg beendet.

Schon ein Jahr zuvor hatten die Arbeiter*innen und Soldaten in Russland erst den Absolutismus beseitigt und im Oktober 1917 auch die Bourgeoisie enteignet und so die erste sozialistische Revolution der Geschichte eingeläutet. Diesem Vorbild folgend, sollte auch in Deutschland eine Räterepublik entstehen. Karl Liebknecht rief unter dem Jubel der Massen die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus, doch die SPD – die im August 1914 den Kriegskrediten zugestimmt und so den Ersten Weltkrieg unterstützt hatte – proklamierte eine bürgerlich-demokratische Republik und forderte „Ruhe, Ordnung und Sicherheit“. Sie paktierte mit den Kräften der alten Ordnung, um die Revolution im Keim zu ersticken. Schaffen konnte sie es aus drei Gründen: nackte Repression, politische Manöver und Unerfahrenheit der revolutionären Kräfte.

Obwohl die SPD alles daran setzte, eine sozialistische Revolution zu verhindern, vertrauten ihr noch viele Arbeiter*innen. Die Revolutionären Obleute, der Spartakusbund und danach die neugegründete KPD konnten die Mehrheit der Massen nicht auf ihre Seite ziehen. Die SPD erreichte durch verschiedene Manöver, dass der Reichsrätekongress im Dezember 1918 nicht das Rätesystem zur Grundlage einer künftigen Republik machte, sondern Wahlen zur Nationalversammlung ausrief und die Selbstauflösung der Räte beschloss.

Anfang Januar 1919 erschütterten ein Generalstreik und ein bewaffneter Aufstand Berlin. Die SPD paktierte mit dem alten Militärapparat und den Freikorps – reaktionäre, protofaschistische Soldatenverbände, die nach dem Kriegsende von der Front zurückkehrten und die sozialistische Republik gewaltsam verhindern wollten. Sie schlugen den Aufstand blutig nieder. Wichtige Anführer*innen der Arbeiter*innenbewegung, von denen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die bekanntesten sind, wurden erschossen. Die revolutionäre Periode endete zwar erst 1923 vollständig, doch mit der Ertränkung der Novemberrevolution im Blut und mit der Abstimmung der Weimarer Verfassung zähmte die SPD den revolutionären Geist der Arbeiter*innenklasse in Deutschland.

Und noch eins mehr erreichte die SPD: Mit ihrer Förderung der Freikorps ebnete sie den Weg für die protofaschistischen Banden, die nach der Niederschlagung des Aufstands in Berlin durch das ganze Land zogen und überall die Ausbrüche der Revolution im Blut ertränkten. Wenige Jahre später wurden die Freikorps die erste Stütze für den Aufstieg der NSDAP.

Die SPD paktierte, um die Revolution zu verhindern, mit den reaktionärsten Kräften, die sich später gegen sie selbst wenden sollten. Ohne die Erstickung der Novemberrevolution im Keim und ohne die Förderung der Freikorps wäre der Aufstieg des Faschismus unmöglich gewesen. Durch die harte Niederlage, die die Arbeiter*innenklasse hinnehmen musste, und durch die ein Jahrzehnt später folgende katastrophale Wirtschaftskrise, konnte der Faschismus an die Macht gelangen.

Rosas Erbe verteidigen

Eine der zentralen Figuren der Novemberrevolution, deren Erbe wir verteidigen, ist Rosa Luxemburg. Als polnisch-jüdische Emigrantin war die revolutionäre Sozialistin unter den Freikorps, aber auch unter den Reformist*innen der SPD, verachtet. Sie stand stets auf der Seite der Revolution: 1899 gegen den „Revisionisten“ Bernstein, der den Marxismus über Bord werfen wollte; 1905 auf Seiten der neu entstehenden Sowjets in der Russischen Revolution; 1910 auf Seiten der Massen in der Generalstreikdebatte gegen die Parteiführung der SPD; 1914 auf Seiten des Internationalismus gegen den chauvinistischen Verrat zu Beginn des Ersten Weltkriegs; und 1918 für eine sozialistische Räterepublik gegen Eberts SPD und seinen „Bluthund“ Noske, die für ihren Tod verantwortlich sind.

Heutzutage wird Rosa Luxemburg häufig von Reformist*innen, im Schulunterricht und sonst wo als Feindin der Revolution behandelt – dabei war ihre Haltung genau das Gegenteil: „Die Bolschewiki haben gezeigt, daß sie alles können, was eine echte revolutionäre Partei in den Grenzen der historischen Möglichkeiten zu leisten imstande ist. […] Worauf es ankommt, ist, in der Politik der Bolschewiki das Wesentliche vom Unwesentlichen, den Kern von dem Zufälligen zu unterscheiden. […] [N]icht diese oder jene Detailfrage der Taktik, sondern: die Aktionsfähigkeit des Proletariats, die Tatkraft der Massen, der Wille zur Macht des Sozialismus überhaupt. In dieser Beziehung waren Lenin und Trotzki mit ihren Freunden die ersten, die dem Weltproletariat mit dem Beispiel vorangegangen sind, sie sind bis jetzt immer noch die einzigen, die mit Hutten ausrufen können: Ich hab’s gewagt!“

Nicht umsonst stellte sich Rosa Luxemburg im November 1918 an die Spitze der revolutionären Bewegung und trieb die Gründung der KPD voran. Sie hatte verstanden, dass der einzige Garant für den Fortschritt der russischen Revolution die Revolution im imperialistischen Deutschland war. Für diese Überzeugung musste sie ihr Leben geben – diejenigen, die heute süffisant ihren Ausspruch über die „Freiheit der Andersdenkenden“ zitieren, um die Revolution zu diskreditieren, sind diejenigen, an deren Händen Rosas Blut klebt. Und noch einmal: Ohne die Schlächter von Luxemburg, Liebknecht und so vielen anderen hätte der Faschismus nicht siegen können.

2018: Um ein zweites 1938 zu verhindern, brauchen wir ein neues 1918!

Heute stehen wir weder vor einem neuen 1938 noch einem neuen 1918. Doch um das eine zu verhindern, müssen wir das andere vorbereiten. Denn auch wenn die Wirtschaftskrise 2008 von Deutschland in die Peripherie ausgelagert werden konnte, und auch wenn aktuell noch keine Partei existiert, die mit der NSDAP vergleichbar wäre, zeigen der Aufstieg der AfD und ihr immer stärker werdender faschistischer Flügel, dass Geschichte sich unter neuen Vorzeichen wiederholen kann, wenn wir nicht die richtigen Lehren ziehen. Als Beweis genügt, dass Hetzjagden auf „nicht deutsch“ Aussehende in den vergangenen Jahren längst wieder zum Alltag geworden sind.

Der aktuelle Rechtsruck ist Resultat der internationalen Krise, die als Begründung für Kürzungen, Prekarisierung, rassistische Gesetze und innere Militarisierung herhalten musste, die den Nährboden für neue rechte Phänomene wie die AfD darstellen.

Vor 100 Jahren haben sich viele auf die SPD und den entstehenden bürgerlichen Staat verlassen, doch ihre Hoffnungen wurden in Blut ertränkt. Blut, das die faschistischen Umtriebe nährte, die die Macht übernahmen, als eine neue Wirtschaftskrise brutale Konsequenzen forderte. Bis heute ist die SPD, selbst in ihrem langsamen Niedergang, ein zentraler Stützpfeiler dieses Staates.

Um heute den Rechtsruck zu bekämpfen, brauchen wir eine starke Bewegung, die sich in Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften organisiert. Wie #unteilbar gezeigt hat, ist es nötig, eine unteilbare Einheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu schaffen – unabhängig vom Staat, bürgerlichen Parteien und dem Kapital. Denn sie haben kein Interesse daran, die tiefen Ursachen des Rechtsrucks – Prekarisierung und Militarisierung – zu bekämpfen. Im Gegenteil schüren sie sie aktiv selbst.

Lasst uns deshalb darüber diskutieren, wie wir diese Einheit aufbauen können, ohne dass sie von der Regierung und ihren Parteien kooptiert und machtlos gemacht wird. Lasst uns gemeinsam gegen Prekarisierung und Rechtsruck kämpfen – in Abwandlung an Rosas großen Ausspruch haben wir die Wahl: Aufbau einer internationalen Bewegung für den Sozialismus, oder sterbende Sozialpartnerschaft, imperialistische Misere und schließlich wieder Barbarei.

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