80 Cent pro Stunde: Geflüchtete sollen Notstand ausgleichen

17.02.2024, Lesezeit 4 Min.
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Foto: wikimedia.org

Nicht einmal einen Euro pro Stunde bekommen Geflüchtete für sogenannte "Arbeitsgelegenheiten". Wie das trotz gesetzlichem Mindestlohn möglich ist? Indem man ihnen einfachere Chancen auf einen Aufenthalt verspricht und sie damit dazu bringt, "freiwillig" zu arbeiten.

In Mecklenburg-Vorpommern arbeiten einige Geflüchtete für eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde, beispielsweise in Kitas und Pflegestätten. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht solche sogenannten „Arbeitsgelegenheiten“ vor, die von staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern bereitgestellt werden sollen. Asylbewerber:innen, die Leistungen beziehen, in der Lage sind zu arbeiten, und derzeit weder erwerbstätig noch schulpflichtig sind, müssen solche „Arbeitsgelegenheiten“ ausüben – ansonsten sinkt der Anspruch auf staatliche Leistungen. Damit will man sowohl Geflüchtete zu „arbeitstüchtigen Migrant:innen“ erziehen, als auch dem Personalnotstand in diesen Sektoren entgegenwirken. Das Verfahren steht auch bereits in Niedersachsen zur Debatte.

Mit einer wirklichen Arbeitserlaubnis hat das jedoch nichts zu tun. Denn diese bekommen Geflüchtete erst nach frühestens drei Monaten und nur wenn sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Aber auch dann nicht automatisch, sondern mit einem aufwändigen Antragsprozess bei der Ausländerbehörde. Und die kann jeden Antrag individuell ablehnen oder genehmigen – die Berichtigungen für einen Antrag beinhalten etliche Ausnahmen und Sonderregelungen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. In den meisten Fällen zieht sich solch ein Antrag mehrere Monate oder gar Jahre hinweg. Für viele Berufe sind auch bürokratische Hürden notwendig: Anerkennung von Zertifikaten und Diplomen, ein bestimmtes Level an Sprachniveau, Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen oder Integrationskursen und andere Dinge.

Auch eine Arbeitserlaubnis selbst bedeutet nicht, dass es Geflüchteten gut gehen wird. In den seltensten Fällen bekommen sie gutbezahlte Jobs – ein allgemeines Problem in Deutschland in Zeiten von Inflation. Wie oben erwähnt, werden Löhne und Geldleistungen nicht der Inflation angepasst, das heißt, das Gehalt ist in der Praxis immer weniger wert, weil sich die Produkte viel schneller verteuern, als sich das Gehalt erhöht. Der Mindestlohn wurde für dieses Jahr um 41 Cent auf 12,41 Euro erhöht. Netto bekommt man damit in der Steuerklasse 1 (unverheiratet und ohne Kinder) bei einer 40-Stunden-Woche knapp zwischen 1.300 und 1.400 Euro. Das soll für Miete und Lebenshaltungskosten ausreichen. 2021 betrug die durchschnittliche Miete in Deutschland 779 Euro. Das ist mehr als die Hälfte des Einkommens von Mindestlohnverdienenden. 400 Euro im Monat für notwendige Einkäufe und man hat schon nur noch knapp über 200 Euro übrig.

Gerade für Geflüchtete ist das ein massives Problem. Sie zahlen im Durchschnitt mehr Miete, weil sie aufgrund ihrer Herkunft häufig viel schlechter Wohnungen bekommen. Dazu kommt ein enormer Leerstand in Deutschland: Viele Wohnung werden gar nicht erst vermietet, weil sie in Privatbesitz sind und Immobilienkonzerne darauf spekulieren, dass die bundesweiten Mietpreise noch weiter ansteigen, um die Wohnungen für mehr Geld vermieten zu können. Der Sozialwohnungsbau für staatliche Wohnungen ist nicht im Geringsten ausreichend, um den Bedarf an Wohnungen zu decken. 2022 hatten über 600.000 Menschen in Deutschland keine Wohnung – viele von ihnen sind geflüchtete Familien mit Kindern.

Gegen diese Pläne braucht es jetzt Mobilisierungen von allen Linken und Gewerkschaften. Beschäftigte in der Pflege und in Kitas streiken seit Jahren gegen die prekären Zustände in diesen Sektoren. Sie sind unterbesetzt, überlastet und verdienen zu wenig. Die GEW und ver.di müssen sich beide mit den Geflüchteten, die für diese mickrige Aufwandsentschädigung arbeiten müssen, solidarisieren und sich dafür einsetzen, dass alle Menschen ein sofortiges Bleibe- und Arbeitsrecht erhalten. Denn es betrifft auch vor allem ihre zuständigen Sektoren, weil dort viele migrantische Menschen arbeiten, die teilweise jahrelang auf eine Arbeitserlaubnis warten. Alle Beschäftigten müssen ein Anrecht auf einen Tarifvertrag und auf Streiks bekommen.

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