700 Rechtsextreme in Grevesmühle: Die Kontinuität rassistischer Gewalt

02.02.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Ayrin Giorgia

In Grevesmühlen protestieren 700 Rechte gegen eine neue Geflüchtetenunterkunft und greifen das Gebäude an. An den EU-Außengrenzen wird die Existenz und Nutzung von Geheimgefängnissen der Küstenwachen nachgewiesen. Rassistische Gewalt und Hetze gegen Geflüchtete nimmt immer mehr zu.

In der mecklenburg-vorpommerschen Grevesmühle kam es am 27. Januar 2023 zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Rechten, darunter bekannte Rechtsextremisten und NPD-Abgeordnete wie Sven Krüger. Eine Demonstration mit 700 Teilnehmenden richtete sich gegen eine neue Geflüchtetenunterkunft in Greversmühle, in dem 400 Menschen untergebracht werden sollten. Bei den Ausschreitungen verschaffte sich ein Demonstrant sogar Zugang zum Gebäude, um eine Stürmung zu ermöglichen. Letztendlich wurde die Versammlung und der Stürmungsprozess von der Polizei unterbunden und aufgelöst. Berichten zufolge kam es zum Einsatz von Pyrotechnik.

Der Aufmarsch reiht sich in eine Reihe von rechtsextremen Angriffen auf Geflüchtete und Migrant:innen in ganz Deutschland ein. Allein 2022 gab es bei einer Zählung im November bereits 65 offiziell gezählte Angriffe auf Notunterkünfte. Zuletzt gab es Ende Oktober einen weiteren Angriff in Mecklenburg-Vorpommern, bei dem eine ganze Unterkunft in Wismar in Brand gesetzt wurde. Im selben Jahr gab es auch um den Zeitraum der Jährung der Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen einen versuchten Brandanschlag in Leipzig-Grünau. Zwischen 2016 und 2019 gab es eine Reihe von Brandanschlägen gegen migrantische und geflüchtete Menschen in Neukölln. Zu den Opfern gehören auch der kurdische Aktivist und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Ferat Kocak und seine Eltern, die bei diesem Anschlag dem Tod knapp entkommen konnten, ebenso wie Heinz Ostermann, dessen Buchhandlung mehrmals angegriffen wurde und der beim Anschlag auf Ferat und seine Familie mitbetroffen war. Und wenn wir von rechtsextremer Gewalt sprechen, müssen wir auch von den Attentaten auf Walter Lübcke, den Anschlägen in Hanau und Halle und dem NSU-Komplex sprechen. All das sind nur wenige Beispiele der akuten Gefahr von rechtsextremer Gewalt, bei denen jedes Jahr mehrere Menschen gezielt getötet werden.

Die Kontinuität rechter Hetze in den Medien

Die Angriffe werden immer häufiger und radikaler, doch sowohl die Strafverfolgung, als auch die mediale Aufmerksamkeit bleiben verhältnismäßig gering. Letzteres ist dem Grund verschuldet, dass die meisten Nachrichtenportale nur bürgerliche Medien unter den Krallen der deutschen Bourgeoisie sind. Auch liberale und vergleichsweise „linke“ Medienportale, wie die Tagesschau oder die taz-Zeitung, stellen da keine Ausnahmen, weil sie sich nicht klassenkämpferisch und linkspolitisch mit den Geschehnissen befassen.  Wenn es also um aufklärende Artikel zu solchen Angriffen geht, haben wir wenig Verlass auf linkspolitische Einordnungen und Beurteilungen in deutschen Medien. Umso mehr gewinnen stattdessen rassistische Hetzkampagnen an Fahrt. Dafür werden auch gerne Fakten verdreht, ignoriert oder gar gänzlich erfunden, wie am Beispiel der Neuköllner Silvesternacht. Wo wir zuvor von 145 Verhaftungen hauptsächliche migrantischer Randalierender gelesen haben, bekamen wir wenige Wochen später bereits eine Bestätigung, dass es sich um deutlich weniger Täter:innen handelte, diese überwiegend Deutsche waren und Neukölln deutlich weniger Vorfälle verzeichnete als das Brandenburger Tor und der Alexanderplatz. Die Medien stürzten sich auf die haltlosen Vorwürfe, schürten das Narrativ von „gescheiterter Integration” und stellten das Feindbild “Der migrantische Jugendliche” in den Mittelpunkt. Was eine gängige Praxis der bürgerlichen Medien ist, ist gefundenes Futter für die rassistischen Köpfe von Rechtsextremen, aber auch Liberalen und “besorgten Bürger:innen”.

Auch Statistiken spielen hierbei eine große Rolle, denn viele dieser werden unter rassistischen Bedingungen aufgezeichnet. Genauer gesagt: Wenn die Berliner Polizei täglich Razzien und rassistische Polizeikontrollen in Neukölln, Wedding, Kreuzberg und Tempelhof macht, während kaum bis gar keine dieser Razzien im Zentrum oder am Prenzlauer Berg stattfinden, dann ist selbsterklärend, dass deutlich mehr Straftaten dort aufgenommen werden, wo die Razzien und Kontrollen stattfinden. Und diese finden auch nicht einfach in beliebigen Geschäften, sondern hauptsächlich, wenn nicht gar ausschließlich nur in Restaurants, Cafés und zentralen Treffpunkten von Migrant:innen statt. Hier werden sie in ihren eigenen Läden oder in Parks wie dem Görli der Kriminilaität verdächtigt, erleben ununterbrochen Racial Profiling und werden öfter und schneller Opfer von Polizeigewalt. Dieses Vorgehen beim Erstellen von Statistiken beruht auch auf die rechtsorientierten Strukturen innerhalb der bürgerlichen Mediengesellschaft Deutschlands, zu der nicht nur die Springerpresse gehört, sondern auch öffentlich-rechtliche Sender wie das ZDF, die ARD und ihre Nachrichtenportale wie die Tagesschau oder auch funk.

Die rassistische Politik spielt eine entscheidende Rolle

Seitdem die Ampelkoalition die Regierung stellt, hat sich nicht viel an den Zuständen der Migrant:innen in Deutschland verändert. Die Lebensumstände für Geflüchtete sind weit unter einem würdigen Existenzminimum, sowohl finanziell als auch materiell. Viel zu kleine Räume für teilweise fünf oder mehr Personen, extreme Einschränkung der Bewegungsfreiheit, größtenteils keine Arbeitserlaubnis, keine therapeutische und pädagogische Hilfe für ihre Flucht- und Kriegstraumata und gebunden an einen in der Duldung festgelegten Ort, den sie nicht ohne Weiteres verlassen dürfen.

Die steigende rechtsextreme Gewalt und die unzähligen Angriffe auf Notunterkünfte für Geflüchtete werden in den seltensten Fällen aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt. Nicht nur am Beispiel von Ferat, sondern auch am Beispiel von Hanau bringt dieser Fakt verheerende Probleme für Überlebende und Angehörige der Opfer mit sich. Der Vater des Täters ist immer noch auf freiem Fuß, bedroht die Familienangehörigen, ist ein bekannter Rechtsextremist und muss weiterhin erstmal keine schweren Maßnahmen gegen ihn befürchten. Während die Polizei anfangs den Vater wegen eventueller Racheangriffe der Überlebenden und Familienangehörigen unter Polizeischutz stellte, macht sie aktuell keine Anstalten für dieselben Vorkehrungen bei den Familien in Hanau. Denn auch die Polizei ist eine rechte Institution, die ihresgleichen bedingungslos beschützt, während sie die Anderen mit exzessiver Polizeigewalt unterdrückt.

Mehr als Lippenbekenntnisse und Trauerreden gibt es von Seiten der Parteimitglieder im Bundestag nicht. Die Aufklärung des NSU-Komplexes wurde verhindert, die Akten sollten weitere 120 Jahre verschlossen bleiben, wenn nicht der satirische ZDF-Moderator Jan Böhmermann die Akten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen veröffentlicht hätte.

Rassistische Migrationspolitik nicht nur in Deutschland

Nicht nur die Ankunft und Bleibe von Geflüchteten in Deutschland ist von Stress, Leid und ständigen rassistischen, verbalen und gewalttätigen Angriffen geprägt. Schon die Flucht allein ist ein einziges Horrorszenario. Angefangen mit den Fluchtwegen und -routen, die die vor Krieg und Armut fliehenden Menschen auf sich nehmen, bis zu hin zur repressiven Gewalt an den europäischen Außengrenzen sorgen dafür, dass so wenig wie möglich Geflüchtete an den EU-Grenzen vorbeikommen. Das ARD-Magazin “Monitor” hat vor einigen Tagen bei einer Recherche sogar die Existenz von Geheimgefängnissen auf Schiffen der europäischen Küstenwachen nachgewiesen. Sie zeigten Bilder von den Geflüchteten in Kerkern, Abstellkammern und Schächten, teilweise gefesselt an Fenstergitter oder zur Hälfte in Abwasser liegend. Viele Geflüchtete sprachen von Gewalt und Einsperrungen bis zu 30 Stunden. In den Gefängnissen gehalten sollten die Geflüchteten zurückgeschickt werden an die libyschen und griechischen Grenzen.

An den EU-Grenzen sind seit Jahren Zehntausende Geflüchtete in Camps und Lagern zusammengepfercht und den extremen Folgen der Klimakrise ausgesetzt. Kälte- und Hitzewellen, die zu Unterkühlung oder Hitzekollaps mit Todesfolge führen. Gleichzeitig wurde bereits in mehreren Videos und Berichten nachgewiesen, wie viel aggressive Gewalt die Geflüchteten in den Camps von Polizei und Militär erfahren. Bereits bei der Überfahrt von der türkischen Küste werden ihre Boote und Schiffe von Frontex aufgehalten, beschossen und versenkt, bevor die Geflüchteten überhaupt die griechischen Inseln erreichen können. Und wenn wir schon bei Frontex sind, dann können wir auch gleich darüber reden, welche verehrten Damen und Herren sich für ihre europäischen Küstenwachhunde immer und überall einsetzen, in Schutz nehmen und auch tatkräftig mit Geldmitteln und Aufrüstung unterstützen – nämlich unter Anderem und gerade vor allem die deutsche Bundesregierung, allen voran die feministische Außenpolitiksexpertin Frau Annalena Baerbock. Diese verlangte im Juli 2022 von den griechischen Behörden eine Aufklärung über die Vorwürfe von illegalen Pushbacks. Selbstverständlich hat sich bisher nichts und wirklich gar nichts nach dieser Bitte getan – selbstverständlich, weil wir immerhin von den Grünen sprechen, die sich mit Be- und Verhinderung von Aufklärung ja bestens auskennen, wie im Falle der NSU-Akten.

Auch die Türkei spielt weiterhin eine große Rolle in der Geflüchtetenpolitik der EU. Bei ihrem letzten Besuch traf sich Fancy Faeser mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, um die Verhandlungen und Abkommen mit der Türkei in der Migrationspolitik zu pflegen. Hierbei geht es um die Milliarden Euro, die seit 2016 jedes Jahr an die Türkei gezahlt werden, damit diese illegale Einwanderungen verhindert und Geflüchtete in Griechenland, deren Asylanträge abgelehnt wurden, kompromisslos aufnehmen. Die Türkei nutzt das natürlich auch zu ihren Gunsten, um der EU ihre eigenen Interessen und Forderungen aufzudrängen, beispielsweise die Auslieferung von politisch-verfolgten Kurd:innen, die in der EU Zuflucht und Asyl suchen.

Rechte Gewalt ist das Ergebnis rassistischer Politik

Was in Grevesmühle, in Deutschland und an den EU-Grenzen passiert, ist das Zeugnis einer rassistischen Regierungspolitik, eines kapitalistischen, profitorientierten Wirtschaftssystems und eines rasant steigenden Rechtsrucks – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern. Die Angriffe auf Geflüchtetenheime, die zunehmenden Aufmärsche von Nazis in mehreren Städten Deutschlands und die immer grässlicher Form annehmende Haltung von Minister- und Politiker:innen beschwören schon seit Jahren genau diesen Hass herauf. Dabei ist das Problem nicht nur die AfD, die NPD oder offen Rechtsextreme auf den Straßen, sondern auch die immer rassistischere Politik der bürgerlichen Mitte von CDU, SPD, FDP und GRÜNE. Das Versagen der Linkspartei, eine kämpferische Opposition zu bilden, die sich vereint gegen den Rechtsextremismus stellt, ist ebenso mitverantwortlich für die Angriffe. EU und NATO tragen ihren Beitrag zur Gewalt an den Grenzen, in Kooperation mit der Türkei und Interventionen der USA in Kriegsgebieten. 

Die Arbeiter:innen aller Länder müssen sich gemeinsam organisieren, um den rassistischen Strukturen des Kapitalismus ein Ende zu bereiten. Ihre Bürokratien müssen überwunden und Grenzen vernichtet werden, um eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, in der alle ohne strukturelle Diskriminierung von Herkunft, Hautfarbe, Sexualität und viele Weitere leben können.

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