50 Jahre Putsch in Chile: Wie die BRD Nazi-Organisationen nutze, um den Putsch vorzubereiten
Vor 50 Jahren putschte sich in Chile der General Pinochet an die Macht, verübte eines der größten politischen Genozide nach dem zweiten Weltkrieg und entwickelte das Land zu einem „Labor des Neoliberalismus“. Jetzt zeigen zwei Recherchen von WDR und MDR, wie tief auch die Bundesrepublik Deutschland in diesem Genozid verwickelt war und wie sie dafür gezielt ehemalige Angehörige der SS und Gestapo einsetzten, um die politische und gewerkschaftliche Linke Lateinamerikas zu vernichten.
„Solución final“ – Endlösung – hieß die Abteilung der von Augosto Pinochet geschaffenen Geheimpolizei DINA, die sich mit der Vernichtung von Oppositionellen befasste. So organisierte der Chef der „Abteilung Endlösung“, Walther Rauff, beispielsweise die Verbrennung von Ermordeten im Hundekrematorium der Hauptstadt Santiago de Chile, plante das Konzentrationslager „Chacabuco“, in dem tausende Oppositionelle gefangen, gefoltert und ermordet wurden, oder entwickelte in der Fischfabrik von San Antonio eine Vernichtungsanstalt. „Ausgefolterte“ politische Gefangene wurden hier vergast und anschließend zusammen mit Fischresten geschreddert und zu Fischmehl verarbeitet. Das für die industrielle Vernichtung eingesetzte Nervengift Sarin stammte aus Deutschland – wie auch der Chef der Abteilung “Endlösung”, der ehemalige SS-Standartenführer Walter Rauff. Im Reichssicherheitsamt war er für die Umsetzung des Vernichtungsbefehls europäischer Jüdinnen:Juden verantwortlich und entwickelte LKWs, die zu mobilen Gaskammern umgebaut wurden. 300.000 Menschen wurden während der NS-Diktatur in jenen „Gaswagen“ ermordet.
Nach dem Krieg floh Rauff nach Ecuador, wo er als Handelsvertreter für Mercedes-Benz und für den Waffenhändler und BND-Agenten Gerhard Mertins arbeitete, mit dem ihn seine SS-Vergangenheit verband. 1956 lud der damals als Militärattaché in Ecuador stationierte Augosto Pinochet Rauff nach Chile ein. Zwei Jahre später begann Rauff, als Agent für den Bundesnachrichtendienst (BND) zu arbeiten. Er sollte für den Geheimdienst der BRD ein Quellennetzwerk im Lateinamerika aufbauen und leiten, um „die Ausbreitung des Kommunismus auf dem amerikanischen Kontinent zu verhindern.“ Die Eignung von Rauff für diesen Job begründete der BND in einem Gutachten unter anderem damit, dass er „in der nachrichtendienstlichen Tätigkeit eine Fortsetzung seines früher eingeschlagenen Lebenswegs“ sähe. Für den westdeutschen Geheimdienst schaffte er ein großes Netzwerk an ehemaligen SS- und Gestapo-Angehörigen in Lateinamerika, welches auch tief in den chilenischen Sicherheitsapparat reichte. Zwar wurde Rauff 1963, nachdem er in Deutschland wegen Massenmord angeklagt wurde, als BND-Agent offiziell abgeschaltet, doch das von ihm geschaffene Nazi-Netzwerk agierte weiter für den BND. Rauffs Sohn arbeitete beispielsweise für die chilenische Marine und als Leiter der BND-Funkstation in Santiago de Chile. Bei diesem Netzwerk an BND-Informant:innen, welches Rauff aufbaute, handelt es sich wahrscheinlich um die rund 1.000 Nazis umfassende Gruppe, die von Militärs der Pinochet-Diktatur als „unsere deutsche Truppe“ bezeichnet wurde. Sie bildeten das Militär der Diktatur in Folter- und Geheimdienstmethoden der Gestapo und SS aus und organisierten den Genozid in Chile.
Gestützt wurde der Pinochet-Putsch auch durch die deutsche Botschaft in Chile. Wenige Wochen nach dem Putsch befürwortete der deutsche Botschafter in Chile die Reise einer chilenischen Wirtschaftsdelegation in die BRD und bat das Auswärtige Amt, den Export von Handfeuerwaffen an die Diktatur zu genehmigen. Während die Bilder und Berichte von Massenverhaftungen und Erschießungen um die Welt gingen, meldete die deutsche Botschaft ans Auswärtige Amt, dass die Militärregierung die Lage „unter Kontrolle“ hätte. Berichte deutscher Medien über Menschenrechtsverletzungen seien „übertrieben“ und würden die ausgezeichnete Kooperation der Botschaft mit der Militärregierung gefährden. Geschrieben wurden die Berichte vom damaligen Militärattaché und BND-Residenten in Chile. Wie auch andere Diplomat:innen pflegte er eine Tennisfreundschaft mit dem ehemaligen SS-Mann Rauff.
Neben dem „deutschen Tennisclub“ gab es noch ein anderes, unter deutschen Diplomat:innen und Agent:innen sehr beliebtes Ausflugsziel: die „Colonia Dignidad“. Eine christliche Sekte aus Deutschland, deren Anführer Paul Schäfer mit einigen hundert Anhänger:innen in den 60er Jahren nach Chile flüchtete, um einen Prozess wegen Kindesmissbrauch in Deutschland zu entgehen. Hier bauten sie eine streng abgeschottete deutsche Kolonie auf, in der der Sektenführer Paul Schäfer nicht nur systematisch hunderte Kinder vergewaltigte, sondern auch den Militärputsch mit vorbereitete und für Pinochets Geheimdienst ein Foltergefängnis betrieb, in dem hunderte Linke ermordet wurden. Deutsche Offizielle kamen jedoch offenbar nicht nur in die Colonia Dignidad, um deutsches Essen und Kultur zu genießen. Sondern auch, um den Putsch vorzubereiten. Über die Colognia Dignidad wurden seit dem Jahr nach der Wahl von Allende illegale Waffenlieferungen abgewickelt. In für das Krankenhaus der Kolonie bestimmten Sauerstoffflaschen wurden Maschinengewehre geschmuggelt. Und auch hier hatte offenbar der BND seine Finger im Spiel. Darauf verwies zumindest ein ehemaliger Waffenhändler, der die Kolonie vor dem Putsch mit Kriegswaffen belieferte, gegenüber MDR-Fakt. Auch der ehemalige Arbeitgeber von Rauff, der Nazi Mertens, der dank seiner Arbeit für den BND zum einem der größten Waffenhändler seiner Zeit wurde, erklärte im Zuge eines Verfahrens gegen ihn 1989, dass er vom BND aufgefordert wurde, Kontakt zur Colognia Dignidad herzustellen. Auch er lieferte offenbar Waffen, um den Putsch vorzubereiten. Nach dem Umsturz reiste der Waffenhändler Mertens zusammen mit dem damaligen Botschafter der BRD in die Kolonie, während unter ihren Füßen hunderte politische Gefangene gefoltert wurden.
Bis zum Ende der Militärdiktatur 1990 wurde Pinochet immer wieder von deutschen Politiker:innen, Diplomat:innen und Agent:innen geschützt. Pinochets Geheimdienst DINA tauschte Namenslisten von Oppositionellen mit dem BND, Politiker wie Franz-Joseph-Straß schlossen große Waffendeals mit dem Regime und deutsche Militärattachés in Chile verteidigten immer wieder öffentlich die Diktatur.
Die Außenpolitik der BRD war nie so friedlich, wie sie sich gerne darstellt. Und auch Verwicklungen in Putschversuche, Unterstützung faschistischer Kräfte und totalitärer Regime gehört keinesfalls der Vergangenheit an. Trotz den unzähligen Menschenrechtsverletzungen und Massenexekutionen von Geflüchteten in Saudi-Arabien liefert Deutschland Waffen an die Monarchie, um die „Energiepartnerschaft“ zu sichern. Für die Abwehr von Menschen, die vor Krieg und Hunger nach Europa flüchten, setzt die BRD seit Jahren auf Kooperationen mit autokratischen Ländern und Diktaturen wie der Türkei, dem Sudan oder Libyen, welche deutsche Militärtechnik dann auch gegen die Opposition nutzen. Und Indizien deuten darauf hin, dass FDP und CDU in dem Putsch gegen den linkspopulistischen Präsidenten Perus vergangenes Jahr verwickelt waren.