5 Thesen zum Absturz der Linkspartei

28.09.2021, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Martin Heinlein

Die Partei DIE LINKE hat bei den Bundestagswahlen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Welche Konsequenzen die antikapitalistische Linke dringend ziehen muss.

4,9 Prozent und drei Direktmandate: So schlecht war das Wahlergebnis der Partei DIE LINKE für den Bundestag seit der Fusion zwischen PDS und WASG noch nie. Hätte sie ein weiteres Direktmandat verloren, wäre sie hochkant aus dem Bundestag geflogen, nachdem sie 2017 noch 9,2 Prozent erhalten hatte.

Schaut man sich die Ergebnisse genauer an, werden vier Dinge ersichtlich: 1. Die Linkspartei ist flächendeckend abgestürzt, darunter besonders dort, wo sie an Landesregierungen beteiligt war. 2. Die Partei verlor den Großteil ihrer Wähler:innen an die SPD, an die Grünen – und an Nichtwähler:innen. 3. DIE LINKE hat ihre bisherigen Hochburgen im Osten an die AfD verloren. 4. Und zwar nicht, weil sie sich zu wenig an die AfD angebiedert hätte. Denn selbst in NRW, wo Sahra Wagenknecht Spitzenkandidatin war, stürzte DIE LINKE von 7,5 auf 3,7 Prozent ab.

Besonders bemerkenswert ist der Absturz in Berlin: Dort stürzte DIE LINKE von 18,8 auf 11,4 Prozent für den Bundestag ab, und selbst für das Abgeordnetenhaus erreichte sie nur noch 14 Prozent, obwohl zugleich der Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen auf 57 Prozent Zustimmung stieß. Offenbar wurde das Bekenntnis der LINKEN zu diesem Hauptthemas des Wahlkampfs kaum ernstgenommen – ohne dies wäre sie vermutlich noch weiter abgestürzt.

Wie erklären sich nun diese desaströsen Ergebnisse für DIE LINKE? Und welche Konsequenzen müssen Antikapitalist:innen daraus ziehen?

1. Der Volksentscheid zeigt die Möglichkeiten radikaler Politik – aber DIE LINKE profitiert als Teil des Regimes nicht davon

Über eine Million Berliner:innen haben am Sonntag parallel zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl für die Enteignung von Immobilienkonzernen gestimmt. Sie haben damit ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die Mieten- und Wohnungskrise nicht durch den kapitalistischen Markt gelöst werden kann. Oder anders gesagt: Die Enteignung von Großkapital ist für die Mehrheit der Wähler:innen ein legitimes Mittel – eine krachende Absage an die neoliberale Wohnungspolitik der Berliner Regierungen, die an ein radikales antikapitalistisches und sozialistisches Gesamtprogramm anschlussfähig ist.

Zugleich haben mehr Personen für die Enteignung gestimmt als für RRG in Berlin zusammen, und vor allem weit mehr als für DIE LINKE. Während die SPD sich gegen den Volksentscheid aussprach, bekundeten die Grünen in Berlin Zustimmung. Dennoch war DIE LINKE die einzige der großen Parteien, die neben Zustimmung zum Volksentscheid auch dafür Kampagne gemacht hatte.

Ganz offensichtlich wurde die radikale Lösung des Mietenproblems durch Enteignung der Immobilienkonzerne nicht hauptsächlich mit der Linkspartei identifiziert. Im Gegenteil wird DIE LINKE als Teil des Regimes wahrgenommen. Schließlich war sie in der RRG-Regierung in Berlin für die Wohnungspolitik zuständig. Im rot-roten Senat der 2000er Jahre hat sie auch selbst die Wohnungen privatisiert, die jetzt enteignet werden. Das kombinierte Ergebnis aus Volksentscheid und Wahlresultat für DIE LINKE zeigt auf, dass antikapitalistische Forderungen mehrheitsfähig sind, eine vollständig institutionalisierte Linkspartei als SPD 2.0 aber nicht.

2. DIE LINKE ist an ihrer Regierungspolitik und an ihrer eigenen Logik des geringeren Übels gescheitert

Allgemeiner gesprochen: DIE LINKE ist an ihrer eigenen Regierungspolitik gescheitert. Nirgendwo konnte sie in der Regierung Punkte zulegen; im Gegenteil bekam sie selbst in Bremen, wo sie erst seit 2019 Teil der Landesregierung ist, zu spüren, dass sie an der Regierung an Vertrauen verliert: Sie konnte nur 7,7 Prozent holen – eine Halbierung ihres Bundestagswahlergebnisses von 2017, wo sie 13,4 Prozent erlangte –, obwohl sie noch 2019 mit 11,3 Prozent in die Bürgerschaft einzog und seitdem Teil der RRG-Regierung ist.

An der Regierung verantwortet DIE LINKE Sozialabbau, Privatisierungen, Polizeigewalt und Abschiebungen mit. Sie wird nicht als Partei der sozialen Kämpfe gegen diese Bedingungen wahrgenommen, sondern höchstens als linkes Feigenblatt einer rechten Politik. Doch eine SPD 2.0 braucht niemand.

Die Linkspartei ist überdies ihre eigene Logik des geringeren Übels gestolpert: Um Armin Laschet zu verhindern, haben die Wähler:innen eher der SPD oder den Grünen ihre Stimme gegeben. Das gilt auch für die antikapitalistischen Aktivist:innen am linken Rand der Linkspartei: In den sauren Apfel zu beißen, um Wahlkampf für DIE LINKE zu machen, obwohl die Partei vollständig Kurs auf Regierungsbeteiligung legt, konnte nur dieselbe Logik des geringeren Übels stärken – und am Ende entschieden die Wähler:innen sich nicht einmal mehr für die Linkspartei. Die Partei hat sogar über eine halbe Million Wähler:innen ans Nichtwähler:innenlager verloren hat.

Eine Logik des geringeren Übels kann uns nicht aus der Misere der LINKEN führen – nur eine konsequent antikapitalistische und revolutionäre Perspektive, die aber mit der Linkspartei nicht zu machen ist.

3. Der Kampf gegen Rechts kann nicht aus der Regierung heraus stattfinden

DIE LINKE war früher eine Partei „des Ostens“. Diesen Status hat sie inzwischen fast vollständig verloren, das musste selbst Dietmar Bartsch am Wahlabend anerkennen. Stattdessen ist die AfD an vielen Orten konsolidiert oder sogar gestärkt worden – nicht zuletzt auch in Thüringen, wo die Linkspartei seit Jahren mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt.

Die Regierungspolitik der Partei hat also zum Teil direkt, zum Teil indirekt die AfD gestärkt, weil DIE LINKE nicht als Partei der sozialen Kämpfe, sondern als Teil des Regimes gesehen wird. Wer Abschiebungen durchführt, Hartz IV mitverwaltet und im Interesse der Regierungspolitik grundlegende linke Positionen wie die Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Auflösug der NATO preisgibt, ist unfähig, sich als radikale Systemalternative zu präsentieren.

Stattdessen kann der Kampf gegen Rechts und gegen die konsolidierte AfD, aber auch gegen die ultrarechten Kleinstparteien nicht aus der Regierung heraus stattfinden, sondern nur durch eine Perspektive der Mobilisierungen und Streiks für soziale und demokratische Rechte und gegen Rassismus, Sexismus, LGBTIQ-Feindlichkeit und jegliche Form von Unterdrückung.

4. Die Parteiführung wird den Rechtsruck in der Partei vertiefen

Diese Analyse wird aber von der Parteiführung nicht geteilt. Im Gegenteil hat sie schon erkennen lassen, dass sie ihre Wahlniederlage vor allem in der nicht ausreichend erklärten Perspektive auf Regierungsbeteiligungen sieht. Sie wird das Bekenntnis zu Rot-rot-grün vertiefen und auch die letzten „roten Haltelinien“ über Bord werfen, wie sie es schon zuletzt bei ihrem „Sofortprogramm“ getan hat.

Währenddessen verurteilt die Vertreterin des sozialchauvinistischen Flügels der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, zwar oberflächlich die Orientierung auf RRG. Aber auch sie bietet alles andere als einen progressiven Ausweg an, sondern flirtet mit Positionen der AfD und spielt auf reaktionäre Weise Arbeiter:innenklasse und soziale Bewegungen gegeneinander aus. Wagenknecht bietet keine Alternative zum innerparteilichen Rechtsruck, nur einen anderen Weg dahin.

DIE LINKE wird sich in der Opposition nicht „erneuern“. Die gesamte DNA der Partei ist darauf ausgerichtet, Reformen durch Regierungsbeteiligung zu erreichen, anstatt eine militante Massenbewegung auf der Straße und in den Betrieben aufzubauen, die sich Kapital und Staat entgegenstellt. Nicht zu vergessen, dass die Linkspartei weiterhin an Landesregierungen beteiligt und setzt weiterhin soziale Angriffe und antidemokratische Politik mit um.

5. Schluss mit der Illusion in die institutionelle Linke – für eine revolutionäre Alternative!

In ihren ersten Nachwahlanalysen scheuen sich die verbliebenen linken Kräfte in der Linkspartei jedoch, vollständige Konsequenzen aus dem Wahlergebnis zu ziehen. Das ist unter anderem der Fall der Plattform Antikapitalistische Linke (AKL), an der auch die Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) und die Sozialistische Alternative (SAV) beteiligt sind. So schreibt die AKL in ihrer Wahlanalyse zwar richtigerweise, dass der Absturz der LINKEN auf ihre Regierungsperspektive zurückzuführen ist. Aber zugleich schürt sie weiterhin die Illusion, dass es sich bei der Linkspartei um zwei Parteien in einer handle, oder dass man, wie sie schreibt, „die Partei vor ihrer Fraktion verteidigen“ könne. Doch diese Gegenüberstellung zwischen der (Bundestags-)Fraktion und der Partei als Ganzes ist illusorisch. In jedem einzelnen Landesverband der Linkspartei ist die Regierungsperspektive in der überwältigenden Mehrheit.

Ähnlich argumentiert auch die SOL, dass man „jetzt erst recht [in der LINKEN] aktiv“ werden und „dort für einen sozialistischen Kurswechsel [eintreten]“ soll. Der sozialistische Kurswechsel ist aber nicht nur mit der Fraktion, sondern auch mit dem gesamten Parteiapparat nicht machbar. DIE LINKE war nie eine Oppositionspartei, sondern in ihrer gesamten Geschichte immer an Landesregierungen beteiligt. Der aktuelle Bundestagswahlkampf, ebenso wie die große Kluft zwischen dem Wahlergebnis der LINKEN in Berlin und dem Ergebnis des Volksentscheids zur Enteignung von Immobilienkonzernen, zeigt auf, dass dieser Parteiapparat Teil des in den bürgerlichen Staat integrierten Parteiregimes ist. Diese Realität kann nicht länger ignoriert werden.

Um zu verhindern, dass bei den nächsten Wahlen erneut antikapitalistische Positionen der Regierungsperspektive geopfert werden, müssen antikapitalistische Aktivist:innen innerhalb und außerhalb der Linkspartei scharfe Konsequenzen ziehen. Es ist notwendig, ab heute Schritte für eine tatsächliche Partei der sozialen Kämpfe zu gehen, die vollständig unabhängig von Staat, Kapital und Bürokratien ist. Eine Partei, die mit einem revolutionären Programm auf der Straße, in den Betrieben, Schulen und Unis, aber auch bei den Wahlen antritt. Das Ergebnis des Volksentscheids zeigt, dass antikapitalistische Positionen mehrheitsfähig ist. Lasst uns eine Partei links der Linkspartei aufbauen, die den Kampf für Enteignung und für einen sozialistischen Ausweg aus der Krise konsequent angeht.

Wir wollen über diese Perspektive diskutieren – mit all jenen, die die Regierungsbeteiligungen ablehnen und einen neuen Weg außerhalb der institutionellen Linken suchen wollen.

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