45 Jahre nach dem Vietnam-Kongress

16.02.2013, Lesezeit 6 Min.
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// Einleitung zum Artikel „Hinter der Bühne der Revolte“ //

Am 30. Januar 1968, in der Nacht zum vietnamesischen Neujahrsfest (Tet), begann die Nationale Front zur Befreiung Südvietnams (FLN) ihre Tet-Offensive. Die Kampagne endete mit einer militärischen Niederlage der FLN, doch zugleich mit einem propagandistischen Erfolg. Denn die US-amerikanische Besatzungsmacht schien plötzlich verwundbar. Drei Wochen später berichtete im fernen Westberlin ein Journalist vom Springer-Verlag aus einem anderen „Heerlager“:

Am Samstag, dem 17. Februar, versammelten sich bis zu 6.000 vorwiegend junge Menschen im Hauptgebäude der Technischen Universität zum Internationalen Vietnam-Kongress. Im Audimax gab es keine freien Stehplätze mehr – und kaum frische Luft. Hinter der Bühne prangte ein rot-blaues Banner mit einem gelben Stern und dem Spruch „Sieg der vietnamesischen Revolution“. Die Reden wurden in benachbarte Hörsäle sowie ins Foyer übertragen. Auch hier standen die StudentInnen dicht an dicht. 3.000 Teilnehmer waren aus Westdeutschland und dem Ausland angereist. Die mit über 100 Fahrzeugen die DDR durchquerenden auswärtigen TeilnehmerInnen hatten beim Grenzübergang die übliche Fünf-Mark-Gebühr vom ostdeutschen Zoll erlassen bekommen (allerdings durften sie nicht im Konvoi, sondern nur einzeln weiter fahren).

Zu den ausländischen Gästen gehörten Alain Krivine aus Paris von der Jeunesse Communiste Révolutionnaire (JCR), der im Mai desselben Jahres zum Gesicht der Barrikadenkämpfe an der Seine werden sollte, sowie Tariq Ali, ein in London studierender junger Pakistani, der im März 1968 eine Anti-Kriegsdemonstration mit 100.000 Menschen in der Stadt an der Themse anführen wird. Der Star des Kongresses an der TU war jedoch Rudi Dutschke. „Genossen, Antiautoritäre, Menschen!“, rief er bei der Podiumsdiskussion am Abend aus: „Wir haben nicht mehr viel Zeit. In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen!“

Gelächter erscholl, als jemand aus dem Publikum den Studentenführer laut fragte: „Arbeitest du auch mit Gorillas zusammen?“ Dutschke stellte heiter klar: „Nicht mit Gorillas direkt.“ Um sodann ausführlich zu begründen, warum Revolutionärinnen in Westeuropa die Guerilleros in der sogenannten „Dritten Welt“ unterstützen müssten. Auch der belgische Ökonom Ernest Mandel argumentierte leidenschaftlich für den bewaffneten Kampf am Beispiel des Widerstandes gegen die Militärdiktatur Argentiniens.

Die Abschlusserklärung forderte „den Übergang vom Protest zum politischen Widerstand“ durch Aufbau einer „zweiten revolutionären Front gegen den Imperialismus in dessen Metropolen“. Die TeilnehmerInnen des Vietnam-Kongresses sahen eine wichtige Aufgabe darin, Aufklärungsarbeit unter US-amerikanischen Soldaten zu leisten, um sie zur Desertion zu bewegen oder zu anderweitiger Sabotage des Krieges in Vietnam. HafenarbeiterInnen sollten zu Streiks aufgerufen werden, um den Transport von Kriegsmaterial nach Indochina zu verhindern. Das Ziel war eine weltweite „Einheitsfront“ zwischen den antikolonialen Kämpfern in der „Peripherie“ und den Revolutionären im Zentrum des imperialistischen Systems.

Diese Vorsätze wollte man bereits am nächsten Tag umsetzen – mit einer Demonstration am Sonntag, den 18. Februar. Der Berliner Polizeipräsident hatte ein Aufmarschverbot verhängt, doch während der letzten Podiumsdiskussion am Samstag hatte der damals noch linke Anwalt Horst Mahler bekanntgegeben, dass dieses gekippt worden sei. Die geplante Route nach Dahlem, hin zum Hauptquartier der US-Streitkräfte und den Kasernen der GIs, war indes nicht genehmigt worden. So zog am Folgetag der Zug der 15.000 DemonstrantInnen zur Deutschen Oper, wo im Vorjahr, am 2. Juni 1967, der Student Benno Ohnesorg vom Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras erschossen worden war. Die jungen DemonstrantInnen liefen eingehakt in dichten Reihen. Sie führten unzählige rote Fahnen wie auch Bilder von Marx, Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg, Mao, Castro und natürlich von Ho Chi Minh mit sich. Auf antikommunistische Provokationen vom Straßenrand reagierten sie nicht. Die Demonstration verlief friedlich. Nichtsdestotrotz titelte die Springer-Zeitung „Morgenpost“ am nächsten Tag: „Berlin darf nicht Saigon werden!“

Der Vietnam-Kongress war eine Art Coming Out für die trotzkistische Bewegung Westdeutschlands, die bis dahin konspirativ in sozialdemokratischen Verbänden gearbeitet hatte. Sie hatte maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Vietnam-Kongresses. Krivine, Ali, Mandel und der am Samstag wegen Aufruf zur noch nicht genehmigten Demonstration verhaftete 19-jährige Peter Brandt, Sohn des damaligen bundesdeutschen Außenministers, waren Mitglieder des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale. In den folgenden Monaten sollten sich mehrere trotzkistische Gruppierungen gründen, die schnell auf Hunderte Mitglieder anwuchsen.

Am 21. Februar rief der Westberliner Senat zu einer Gegendemonstration auf. Sie zählte bis zu 80.000 Menschen, da Angestellte des Öffentlichen Dienstes hierfür extra freigestellt wurden. Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) wollte, wie er ausdrücklich betonte, aus seiner Stadt keinen „Tummelplatz für Extremisten“ machen lassen. Der Oppositionschef von der CDU forderte im gleichen Ton ein Ende des „gefährlichen Rüpelspiels der Randalierer“. Die Hassparolen vor allem gegen den „Volksfeind Nr. 1“, Dutschke, zeitigten böse Folgen. Studentisch aussehende junge Männer wurden angegriffen. Die Demonstration gegen „Randalierer“ und „Extremisten“ forderte 30 Verletzte. In einem öffentlichen Appell warfen Wolfgang Abendroth, Theodor Adorno, Jürgen Habermas und weitere Intellektuelle dem Berliner Senat vor, eine „Pogromstimmung“ entfacht zu haben. In der Tat dauerte es keine zwei Monate, bis ein junger Hilfsarbeiter drei Mal auf Dutschke schoss und ihn schwer verletzte. Der Attentäter hatte die rechtsextreme „National-Zeitung“ bei sich, mit der Schlagzeile „Stoppt den roten Rudi jetzt!“ Die „Bild“-Zeitung hatte bereits zehn Tage vor dem Vietnam-Kongress gefordert: „Man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.“

Trotz Hetze und Repression war der Vietnam-Kongress die erste erfolgreiche Aktion des Jahres 1968, in dessen Verlauf viele Länder rund um den Globus von Protesten erschüttert wurden.

dieser Artikel im Neuen Deutschland

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