30 Jahre Pogrom in Rostock-Lichtenhagen

25.08.2022, Lesezeit 7 Min.
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Ein Symbol für die Kontinuitäten rassistischer Gewalt: Am Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen gedenken wir den Opfern und prangern die Mittäterschaft von Medien, Politik und den jubelnden Rassisten an.

Diese Woche wird an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gedacht, das vom 22. bis zum 26. August 1992 das widerliche Gesicht rassistischer Debatten und Angriffe zeigte. Heute reist der Bundespräsident Steinmeier nach Rostock, um das Sonnenblumenhaus, die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber, zu besuchen und einen Kranz niederzulegen. Dem Ort, an dem am 22. August 1992 bis zu 2.000 Menschen zusammenkamen und im Anschluss das Haus niederbrannten.

In gleicher Manier bedauerte Scholz: „Wo Menschen Schutz suchten, wurden sie angegriffen – eine schreckliche Tat.” Und Nancy Faeser betonte : „Es ist bis heute erschütternd, dass kaum einer gegen den Mob einschritt“, so prangerte sie auch „das zögerliche und halbherzige Verhalten der Sicherheitskräfte und die zu geringe Empathie in Politik und Gesellschaft“ an, wie die tagesschau berichtet.

Kommentare wie diese kommen seit Montag aus jeder Ecke. Es ist ein richtiges Betroffenheitsschauspiel, bei dem alle möglichen Politiker:innen oder öffentlichen Figuren die „schreckliche Tat” betonen – Als wäre es ein tragischer Einzelfall. Wir wissen: Das sind keine Einzelfälle, im Rahmen eines Jahrestages zu gedenken, reicht nicht aus, um die rassistischen Zustände in Deutschland aufzuarbeiten und zu verändern.

Das Pogrom 1992

Vor 30 Jahren überfielen in Rostock-Lichtenhagen hunderte Neonazis die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber:innen und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter:innen, Rom:nja, Geflüchtete und Arbeiter:innen aus anderen Ländern oder mit sonstigen kulturellen und politischen Merkmalen außerhalb rechter Weltanschauungen wurden tagelang gewaltsam überfallen. Das Wohnheim der ehemaligen Vertragsarbeiter:innen wurde in Brand gesteckt und von Neonazis gestürmt, während sich ca. 100 der migrantischen Arbeiter:innen in dem Gebäude aufhielten.

Tausende nebenstehende Anwohner:innen bejubelten das rassistische Progrom und blockierten absichtlich Feuerwehreinsätze. Es gab auch Gegenwehr, es existierten Bemühungen des Widerstands. Nicht nur die Anwohner:innen im Sonnenblumenhaus wehrten sich, auch die „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) reiste zum Schutz der attackierten migrantischen Lohnabhängigen an und wurde daraufhin von der Polizei angegriffen. Im Gegensatz dazu griff die Polizei bei den rechten Pogromen nur halbherzig ein und zog sich gewollt schnell zurück.

Ein Klima der rassitischen Asylpolitik

Im Gegensatz zum Framing von Politik und bürgerlichen Medien einer zufälligen und scheinbar unkontrollierbaren Situation, gingen der rassistischen Gewalt Monate der anti­ziganistischen Hetze voran. Spätestens in Hinblick auf die Konsequenzen der rassistischen Angriffe wurde sichtbar: Es gab keine. Noch schlimmer: Als Reaktion verschärften CDU, FDP und SPD 1993 das Asylrecht. Der “Asylkompromiss” schränkte das Grundrecht auf Asyl massiv ein, die “Drittstaatenregelung” wurde eingeführt und finanzielle Hilfen gekürzt. Die Asyldebatte führten Rassisten wie der damalige CDU-Generalsekretär Herbert Reul an. Er sprach damals von einer „Vergiftung des öffentlichen Klimas durch die Sinti und Roma.“

Die Ereignisse sind nie lückenlos aufgearbeitet worden, es gab weder Entschädigungen noch Unterstützungsangebote für die Betroffenen. Im Gegenteil, in den darauffolgenden Jahren mussten die meisten um ihren Aufenthaltsstatus kämpfen. Die meisten Rom:nja, die den Angriff überlebten, wurden später nach Rumänien abgeschoben.

Heute wie damals wurden lokale und bundesweite Medien zum Sprachrohr der rassistischen Hetze. Sie reproduzierten die rassistischen Aussagen von Politiker:innen und haben damit zur Gewalt beigetragen. Und der rechte Diskurs wird bis heute weitergetragen. Statt über die Zunahme rechter Gewalt zu sprechen, sehen wir, wie sich die Asylpolitik weiter verschärft.

Im Jahr 2016 verhinderte der Sozialsenator von Rostock die weitere Unterbringung von Flüchtlingsfamilien im Stadtteil Groß Klein, nachdem er bereits eine Unterkunft für junge Asylbewerber hatte räumen lassen, wie die taz berichtete. Und auch heute noch schreckt die Hansestadt Rostock davor zurück, die Geschehnisse von Lichtenhagen klar als Pogrom zu benennen. Deshalb steht eine Forderung bei der diesjährigen Gedenk-Demo im Vordergrund: „Rassistische Gewalt benennen und bekämpfen!“ (Samstag, 27. August, Rostock-Lichtenhagen, 14:00 Uhr).

Lichtenhagen ist kein Einzelfall und rassistische Angriffe kein Phänomen der Vergangenheit.

Solingen, Hanau, Halle, wie viele Städte müssen noch dem rechten Terror zum Opfer fallen? Es gibt weder in der Politik noch in der Justiz ernsthafte Bemühungen, Rassismus und rechte Gewalt aufzudecken und zu bekämpfen. Noch immer reihen sich Einzelfälle an weitere Einzelfälle. Offener Faschismus wird wahrgenommen, aber die strukturellen Ursachen dafür werden ignoriert . Die einzige Gemeinsamkeit der Fälle scheint die „fehlende Empathie in Politik und Gesellschaft“ zu sein.

Auf eine Anfrage der Linksfraktion antwortete das Bundesinnenministerium, dass die Behörden im ersten Halbjahr 2022 insgesamt 424 rechtsmotivierte Straftaten verzeichneten. Das ist ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum, in dem 576 rechtsmotivierte Straftaten gezählt wurden. Doch immer noch werden in Deutschland im Schnitt zwei Asylbewerber:innen pro Tag Opfer rechter Gewalt und diese Angriffe werden zunehmend brutaler.

Laut einer Übersicht des evangelischen Pressedienstes waren im ersten Halbjahr 2022 86 AsylbewerberInnen, davon drei Kinder, Opfer von rechten Straftaten. In einem Viertel der Fälle handelte es sich um Taten wie Brandstiftung, Körperverletzung und den Einsatz von Waffen und Sprengstoffen. Es gab 43 Anschläge auf Unterkünfte von Asylbewerber:innen und 12 Angriffe gegen Hilfsorganisationen, sowie freiwillige Helfer:innen im Bereich Flucht und Asyl.

Die Angriffe können nur in einem Klima stattfinden, das selbst immer wieder Rassismus reproduziert. Sie reihen sich ein in eine systematische Abschottungspolitik, wie die Pläne zu den neuen Erstaufnahmestellen in Berlin zeigen und weiten sich aus bis zu den europäischen Außengrenzen.

Im Kampf gegen rechts ist auf Polizei, Sicherheitsdienste oder die Regierung kein Verlass!

Wie man schon in Rostock gesehen hat, wird auch heute immer wieder klar, dass Regierung, Polizei oder Staatsanwaltschaften nicht daran interessiert sind, Fälle rechter Gewalt und Angriffe aufzuklären oder zu verfolgen. Die strukturierten Angriffe werden ignoriert und als Einzelfälle der Vergangenheit abgetan, genau wie das Auftauchen von rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr.

Der Kampf gegen Rechts ist ein Kampf um die Gewerkschaften, gegen die Bürokratie und gegen die Polizei, die auf der Seite des kapitalistischen Staates und gegen die Arbeiter:innenklasse stehen. Die Polizei darf deshalb kein Teil der Gewerkschaften sein, da sie ein Teil des rassistischen Apparates ist, gegen den die Arbeiter:innenklasse sich organisieren und mobilisieren muss.

Der Staat ist Bestandteil und Förderer von Rassismus, weshalb die Arbeiter:innenklasse und linke Organisationen die Verteidigung gegen den Faschismus selbst übernehmen müssen. Diejenigen, die sich gegen den Faschismus stellen, müssen sich notwendigerweise gegen den Kapitalismus stellen.

Das heißt, dass allen voran die Gewerkschaften sich klar auf die Seite der Arbeiter:innenklasse und gegen die Bürokratie stellen müssen. Sie müssen breite Massen mobilisieren und Forderungen aufstellen. Forderungen wie die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von der Staatsangehörigkeit, die transparente und konsequente Verfolgung von Straftaten der Polizei, das Aufstellen von unabhängigen Komitees zur Bekämpfung von Hasskriminalität. Die Arbeiter:innenklasse muss sich organisieren und gemeinsam gegen Faschismus und Rechtsextremismus kämpfen,das ist die einzige Möglichkeit wirksamen Widerstand gegen rechte Angriffe aufzubauen.

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