3 Perspektiven im Bildungsstreik

09.02.2012, Lesezeit 6 Min.
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An den Versammlungen des Bildungsstreiks nahmen Tausende Menschen teil, die Dutzende Organisationen und unzählige Einzelmeinungen vertraten. Trotzdem war die Bewegung von drei unterschiedlichen, allgemeinen Perspektiven geprägt, die im Folgenden verglichen werden. Dabei führen die verschiedenen Strategien in ihrer Umsetzung zu unterschiedlichen Aktions- und Organisationsformen.

Linke.SDS und (in manchen Städten) auch die JuSos wollten mit dem Bildungsstreik eine symbolische Bewegung erzeugen, um auf diese Weise Druck auf die Regierung und die Parlamente auszuüben. In diesem Sinne vertreten diese Gruppen eine reformistische Perspektive, denn ihr Ziel ist es, PolitikerInnen zu Reformbemühungen zu bewegen.

Einige linke Studierende, die zum Beispiel den ASten der Berliner Unis nahe stehen, haben eine autonomistische Perspektive. Ihnen geht es darum, eine größtmögliche Freiheit in Nischen der kapitalistischen Gesellschaft zu finden, also quasi hinter dem Rücken des Kapitals.

Revolutionäre Organisationen wie RIO vertreten die Perspektive, den Bildungsstreik als einen Ausgangspunkt für den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus zu nutzen. Wir wollen eine Brücke zwischen tagesaktuellen Fragen (wie z.B. der Frage nach kostenfreier Bildung und selbstbestimmtem Lernen) und der grundlegenden Umwälzung der Gesellschaft bauen.

Aktionsformen

Ein Unterschied in den Perspektiven spiegelt sich auch in den Aktionsformen wider. ReformistInnen wollen – wenn überhaupt – nur möglichst kurze, symbolische Besetzungen, die in den Medien viel Aufmerksamkeit erzeugen. Kommen sie dabei zum Schluss, dass sich daran nicht genügend Leute beteiligen, dann bleiben sie der Aktion fern. In München schlug Linke.SDS vor, dass die Beteiligung vieler Menschen eine Voraussetzung für eventuelle Besetzungen sei, während diesselbe Gruppe in Berlin die Besetzungen als „linke Stellvertreterpolitik“ kritisierte. Die Möglichkeit, die Besetzungen für weitere politische Aktionen und Mobilisierungen zu nutzen, wurde total außer Acht gelassen.

Autonome wollen Besetzungen, die sehr lange bestehen bleiben können. Daher ziehen sie eher unbedeutende Räume vor, wenn es die Möglichkeit erhöht, die Besetzung länger aufrecht zu erhalten und dort – ohne dass sie den kapitalistischen Normalbetrieb wirklich stören oder gar gefährden würden – geduldet zu werden. Dementsprechend fiel die Wahl öfters auf abgelegene Räume, welche für die Infrastruktur der Universität eine nur geringe Bedeutung haben, anders als etwa Präsidien oder Mensen.

RevolutionärInnen wollen dagegen, dass Besetzungen möglichst viele Leute mit einbeziehen. Besetzungen sollen die Infrastruktur der Uni und der ganzen Stadt lahmlegen, anstatt Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, denn diese Konfrontationen können zur Bewusstseinsbildung genutzt werden.

Eine weitere Strategie von RevolutionärInnen ist es, die Isolation verschiedener Kämpfe zum Beispiel durch Delegationen von Studierenden zu laufenden Arbeitskämpfen, Grußbotschaften von Streikenden auf studentischen Vollversammlungen oder gemeinsame Demonstrationen zu überwinden. RIO hat in diesem Sinne mehrmals studentische Delegationen zum CFM-Streik organisiert, was dazu führte, dass ein Block der CFM-ArbeiterInnen die Berliner Bildungsstreik-Demonstration begleitete (und ein studentischer Block begleitete die CFM-Solidemonstration).

Solche Aktionen können alle Beteiligten motivieren und ihnen die Zusammenhänge verdeutlichen. Denn das Erkennen dieser Zusammenhänge ist die Voraussetzung gemeinsamer Aktion. Praktische Solidarität zwischen Jugendlichen und ArbeiterInnen ist es, die die herrschenden Zustände in Frage stellen kann.

Organisationsformen

Schließlich führt der Unterschied in den Perspektiven auch zu unterschiedlichen Organisationsformen. ReformistInnen geht es fast nur um die Medienwirksamkeit von Veranstaltungen. Ein beliebtes Mittel dabei ist es, prominente AkademikerInnen oder PolitikerInnen zu „Events“ einzuladen. Dementsprechend ist es der Verdienst von Linke.SDS (Berlin), zu den ersten Treffen von „Occupy FU“ eingeladen zu haben, um diesen Protestslogan medienwirksam aufzugreifen – allerdings haben sie im weiteren Verlauf immer weniger daran teilgenommen und sich stattdessen auf „Teach-Ins“ konzentriert. Versammlungen stehen für reformistische Gruppen wie Linke.SDS nicht im Vordergrund, denn schließlich haben sie ihre eigenen Strukturen und vor allem eigene Ressourcen.

Für Autonome sind solche Versammlungen selbst schon ein Ziel. Daher möchten sie diese so lange wie möglich ausdehnen. Dabei nehmen sie auch in Kauf, dass bei langen Plena zwangsläufig weniger Menschen teilnehmen können. Hinzu kommt, dass sie dazu tendieren, wichtige Entscheidungen aus solchen größeren Versammlungen auszulagern, hinein in kleine Arbeitsgruppen. Die jeweiligen Aktionen des Protests sollten aber nicht ausschließlich auf Initiativen von einem Teil der AktivistInnen beruhen, denn ein solches „Initiativprinzip“ kann die Diskussion der gesamten Gruppe kaum voranbringen. Der Protest wird zerstückelt und kann dadurch sogar an Legitimation verlieren. Besetzungen können im Bildungsstreik eine positive Rolle spielen. Aber sie müssen „diskutiert, vorbereitet, gefordert und organisiert werden, trotz der möglichen Widerstände innerhalb der Bildungsstreikbewegung“[1].

Demgegenüber wollen RevolutionärInnen auch, dass Versammlungen wichtige Entscheidungen abstimmen und VertreterInnen gewählt werden können. Diese sollen aber nur die Entscheidungen der Versammlungen mit einem imperativen Mandat umsetzen und jederzeit abwählbar sein, statt wie etwa in parlamentarischen Parteien oder Gewerkschaften als Vorsitzende Entscheidungen „nach ihrem eigenen Gewissen“ zu fällen. Es soll eine möglichst breite demokratische Diskussion und Entscheidung über die Strategie der Bewegung geben, welche allerdings von gemeinsamer Aktion begleitet wird. Es braucht eine lebendige Massendemokratie, bei der Entscheidungen in großen Plena, also von möglichst allen Protestierenden getroffen werden können, bei denen es gewählte und jederzeit abwählbare VertreterInnen gibt[2].

Diese verschiedenen Punkte wird RIO auch weiterhin im Bildungsstreik aber auch im universitären Alltag vertreten. Wir glauben, dass für ihre Umsetzung der Aufbau einer revolutionär-marxistischen Strömung an der Universität notwendig ist.

[1] Arbeitskreis Gewerkschaften: Münchener Manifest.

[2] Siehe das umfangreiche Bildungsstreik-Dossier in Klasse gegen Klasse Nr.1

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