2G und Corona ade?

11.11.2021, Lesezeit 6 Min.
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Bild: Bihlmayer Fotografie / Shutterstock.com

Die Infektionszahlen sind so hoch wie nie und trotzdem soll die epidemische Lage von nationaler Tragweite in zwei Wochen auslaufen. Im Bundestag wurde heute auch über die Ausweitung der 2G-Regel diskutiert. Was hat die Ampel-Koalition nun vor?

Die Pandemiesituation, vor deren Hintergrund der Bundestag heute über die zukünftige Corona-Politik debattiert hat, könnte kaum dramatischer sein. Das RKI meldete am Donnerstagmorgen erstmals mehr als 50.000 Neuinfektionen an einem Tag. Die bundesweite Inzidenz liegt bei 249,1. Den traurigen Spitzenreiter bildet der Landkreis Rottal-Inn, wo eine kaum fassbare Inzidenz von 1.140,4 herrscht. Dazu gab es in den letzten 24 Stunden insgesamt 235 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Auf den Intensivstationen geht vielerorts bereits der Platz aus, Triage wird erneut Realität. Es ist nicht nur der Effekt des sich ankündigenden Winters, der jetzt die Zahlen in die Höhe treibt. Trotz steigender Inzidenzen werden mancherorts – insbesondere an Schulen – die Sicherheitsmaßnahmen verringert. Manche Bundesländer haben die Maskenpflicht für Schüler:innen abgeschafft oder haben es noch vor, wie vor wenigen Tagen die Tagesschau berichtete.

Noch ist die „Fortschrittskoalition” nicht formal geschlossen und Olaf Scholz hat sein Amt noch nicht aufgenommen. Politische Fakten will die kommende Regierung dennoch bereits schaffen. Und diese Fakten machen wenig Mut: Während die Pandemie außer Kontrolle gerät, will sie die epidemische Lage von nationaler Tragweite am 25. November auslaufen lassen – ein verheerendes Signal angesichts der noch immer rasant steigenden Infektionszahlen. Die bislang geltende Rechtsgrundlage für Pandemie-Beschränkungen wird voraussichtlich nach einer Bund-Länder-Konferenz und einer erneuten Parlamentsdebatte in der kommenden Woche mit einem kleineren Katalog möglicher Maßnahmen ersetzt, welche die Länder dann ergreifen können. Noch mehr Entscheidungskompetenz wird auf die Länderebene delegiert. Ein bundesweit einheitliches Vorgehen wird es so gar nicht mehr geben können. Verhältnismäßig milde Maßnahmen, etwa die Abfrage von Impfnachweisen beim Restaurantbesuch oder eine Maskenpflicht, bleiben möglich. Einschneidende Maßnahmen wie ein Lockdown sind dann nicht mehr möglich.

Die katastrophale Lage, in der wir uns jetzt befinden, sind das Resultat der Politik der bisherige Bundesregierung. Das Aussetzen der kostenlosen Bürgertests sollte als Anreiz wirken, dass sich Menschen aus Geiz impfen lassen würden. Die Idee ging aber nach hinten los. Ohne regelmäßiges Testen konnte sich die Delta-Variante wie ein Lauffeuer verbreiten. Die geschäftsführende Bundesregierung hat inzwischen bekanntgegeben, ab kommendem Montag eine tägliche kostenlose Testung wieder ermöglichen zu wollen. Eine Maßnahme, die notwendig ist, aber zu spät kommt.

Was plant die Ampel?

Auch der wahrscheinlich kommende Bundeskanzler Olaf Scholz meldete sich heute zu dem Thema zu Wort. Er sprach sich dabei für eine Ausweitung der 2G-Regel aus, er halte diese „für einen guten Fortschritt.” Diesen Schritt gingen zuletzt bereits Bundesländer wie Sachsen und Thüringen. Damit wird nur noch Geimpften und Genesenen der Zutritt zu Kinos, Restaurant, Bars oder ähnlichen Freizeitorten gestattet. Grünen-Fraktionschefin, Katrin Göring-Eckardt, pflichtete Scholz bei, es sei „eine der wirksamen Maßnahmen, die wir jetzt machen können” mit mehr Nachdruck. Der dritte Koalitionspartner, die FPD, hielt sich dagegen zurück. Tatsächlich sind derzeit viele Hoffnungen mit der 2G-Regel verbunden, doch um das Ruder herumzureißen, wird sie kaum genügen.

Außerdem sollen die Impfzentren wieder geöffnet werden, damit die Booster-Impfungen an Fahrt aufnehmen. Klar ist aber unter Intensivmediziner:innen, dass die Booster-Impfung allein keine ausreichende Maßnahme ist, um die Krankenhäuser zu entlasten. Und solange die Impfpatente bestehen und es in anderen Ländern an Impfstoff mangelt, ist ein Boost nur schwer vertretbar. Tatsächlich geht weiterhin die größte Gefahr von den Ungeimpften aus. Hier hat die Regierung eine sinnvolle Impfkampagne mit umfangreichen Informationsangeboten versäumt. Es wurden zu spät niedrigschwellige Angebote zum Impfen gemacht und zu spät bereitete sich die geschäftsführende Bundesregierung darauf vor, das Land “winterfest machen”, wie Scholz heute forderte. In seiner Rede erwähnte er auch die geringe Impfquote. So spricht er sich weiter dafür aus, dass den Krankenhäusern die finanzielle Möglichkeit gegeben werden, Operationen zu verschieben. Doch einzelne Termine zu verschieben, sind keine Lösung für ein kaputt gespartes Gesundheitswesen, das die prekäre Lage überhaupt entstehen ließ. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zeichnen das Bild einer Regierung, die bereits überfordert ist, noch bevor sie überhaupt zu regieren begonnen hat.

Um den Winter zu überstehen, ist es unerlässlich, noch einmal die Impfkampagne zu verstärken. Dass nun Antigentests wieder kostenlos werden, ist ein richtiger Schritt, doch auch der Zugang zu den präziseren PCR-Tests muss wieder erheblich erleichtert werden, um Infektionsketten wieder viel früher unterbrechen zu können. Für Test- und Impfangebote müssen auch Unternehmen viel mehr in die Pflicht genommen werden, sowohl organisatorisch als auch finanziell.

Damit nicht immer mehr erschöpfte Pflegekräfte das Handtuch werfen, sind sofort umfassende Investitionen und eine drastische Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern nötig. Um eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten, müssen sofort Milliarden Euro bereitgestellt werden. Seit Jahren gehen die Krankenhausbeschäftigten auf dem Zahnfleisch. Die Bundesländer, wo zukünftig mehr Entscheidungen getroffen werden, haben derzeit die Möglichkeit, für bessere Bedingungen in den Kliniken zu sorgen, indem sie die Forderungen der Beschäftigten in den aktuell laufenden Tarifverhandlungen um den TV-L umgehend umsetzen. Dringend nötig ist außerdem eine Ausweitung der Kämpfe für Entlastungstarifverträge, wie es die Berliner Krankenhausbewegung vorgemacht hat. Das Fallpauschalensystem muss abgeschafft werden, damit Gesundheit gefördert und nicht Profite gemacht werden. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer Verstaatlichung des gesamten Gesundheitssystems und der Pharmaindustrie unter Kontrolle der Arbeiter:innen, was nicht nur einen einheitlichen Umgang mit der Pandemie ermöglichen würden. Es könnte auch denjenigen die Zweifel nehmen, die mit der Impfung zögern, weil sie einer profitorientierten Pharmaindustrie misstrauen.

Völlig unsichtbar bleibt in den aktuellen Debatten viel zu häufig die internationale Dimension der Pandemie: Sicher sind wir erst, wenn überall auf der Welt flächendeckend geimpft werden kann, sonst drohen immer neue Virusvarianten. Die Antwort darauf kann nur sein, sofort alle Patente auf Impfstoffe freizugeben.

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