§218 und 219a wegstreiken!

16.04.2018, Lesezeit 8 Min.
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Der Paragraph 219a des Strafgesetzbuches ist aktuell in aller Munde. Was häufig nicht erwähnt wird: Die Einschränkung des Rechts auf Abtreibung trifft prekarisierte und migrantische Frauen besonders hart. Wie können wir uns gemeinsam dagegen organisieren, um alle reaktionären Anti-Abtreibungs-Gesetze abzuschaffen? Was können wir von Frauenbewegungen in aller Welt lernen?

Der Paragraph 219a wird heute in Deutschland breit diskutiert, während ihn noch vor einem Jahr kaum jemand kannte: Dieser Paragraph verbietet angeblich „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche, in Wahrheit werden aber auch bloße Informationen verboten. Seit die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, gibt es Kampagnen zu seiner Streichung, und auch im Bundestag fordern Grüne und Linkspartei die Abschaffung – auch wenn die SPD erstmal einen Rückzieher machte.

Dass die Diskussion um Abtreibung gerade jetzt aufkommt, ist kein Zufall. Im Zuge des Rechtsrucks der vergangenen Jahre wurde auch immer wieder der Zugang zu Abtreibung in Frage gestellt. Die Zahl der Anzeigen wegen des Paragraph 219a ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, ebenso wie die Teilnehmer*innen bei den Demos der selbsternannten „Lebensschützer“. Sexismus und Rassismus verbinden sich in diesem Bereich recht offensichtlich: Bestimmte Frauen sollen mehr Kinder bekommen – während andere daran gehindert werden, wie die Aussetzung beispielsweise des Familiennachzugs für Geflüchtete zeigt. Alle Menschen, die nicht den Cis- und Heteronormen entsprechen, sollen ebenso vom Kinder kriegen und der Vorstellung der Elternschaft ausgeschlossen werden. Ein williger Helfer bei dieser Agenda des Sexismus und des Rassismus: die Prekarisierung.

Die Paragraphen 219a und 218 und Prekarisierung – sind das nicht zwei vollkommen unterschiedliche Themen? Nein! Wenn wir näher hinschauen, zeigt sich, wie sehr Prekarisierung, Sexismus und Rassismus alle Lebensbereiche durchziehen und sich gegenseitig stärken – und damit auch den Zugang zu Abtreibung betreffen.

Was ist eigentlich Prekarisierung? Prekarisierung bezeichnet einen Prozess, durch den Arbeitsbedingungen immer unsicherer werden. Immer mehr Menschen arbeiten in Leiharbeit, haben Teilzeitjobs, befristete Verträge, niedrige Löhne und ultra-flexible Einsatzpläne. Ziel dieses Prozesses – der in Deutschland vor allem durch die Hartz-Gesetze beschleunigt wurde – ist die Spaltung und Disziplinierung der Beschäftigten und natürlich die Erhöhung der Profite.

Und aus der Prekarisierung der Arbeit folgt auch die Prekarisierung des Lebens. Menschen hangeln sich von Monatsende zu Monatsende, von Vertrag zu Vertrag, von Schicht zu Schicht. Sie haben zu wenig Zeit und Sicherheit, um ihr Leben planen zu können und es wird immer schwerer, die eigene Reproduktion – das heißt Zeit für kochen, schlafen, putzen, ausruhen – zu sichern, geschweige denn die anderer.

Diese Prekarisierung wirkt aber nicht für alle gleich und betrifft nicht alle im gleichen Ausmaß. Sie verbindet sich mit anderen Strukturen, die in unserer Gesellschaft wirken, wie mit Sexismus und Rassismus. Und so sind es gerade Frauen, auf die die Prekarisierung der Arbeit und des Lebens wirkt: 64,3 Prozent der geringfügig Beschäftigten sind Frauen, 83 Prozent der Teilzeitbeschäftigten – und viele davon würden gerne Vollzeit arbeiten. Insgesamt 70,4 Prozent der sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit, Leiharbeit, Minijobs) betreffen Frauen – damit arbeiten 57,4 Prozent aller Frauen in diesen für sie typischen angeblich atypischen Jobs.

Die direkte Folge: Eine Lohndiskriminierung von durchschnittlich 21 Prozent und im Schnitt nur halb so viel Rente wie Männer. Eine andere Folge ist aber auch, dass dadurch traditionelle Rollenverständnisse weiter gestärkt werden: Frauen werden so noch mehr in die unbezahlte Hausarbeit gedrängt – sie verdienen ja eh weniger, arbeiten Teilzeit, da wirkt es in vielen heterosexuellen Beziehungen logisch, dass sie es sind, die sich um das Putzen, Kochen und Kindererziehen kümmern. Sie werden so auch in ökonomische Abhängigkeit gedrängt, die es ihnen im schlimmsten Fall schwieriger macht, aus gewalttätigen Beziehungen zu entkommen. Der Umkehrschluss ist aber auch, dass die sexistischen Vorstellungen davon, was Frauen zu tun haben und wie sie zu leben haben, dadurch weiter am Leben gehalten werden. Der Sexismus blüht durch die Prekarisierung nur noch mehr auf – und damit auch eine Ideologie und ein Verständnis davon, was „Weiblich“ ist, das über die konkret Betroffenen hinaus wirkt.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Situation in Berufen, die oft gesellschaftlich als „Frauenberufe“ verstanden werden, wie zum Beispiel in Kitas oder in der Pflege. Dort wird oft Arbeit verrichtet, die in anderen Situation im Haushalt unbezahlt geleistet wird. Und indem sie als „eigentlich unbezahlt“ verstanden wird, kann sie leichter außer Haus auf prekäre Art organisiert werden – und damit die Arbeiter*innen, in überwiegender Mehrheit Frauen, stärker in Prekarisierung und Abhängigkeit drängen. Das hat auch eine Auswirkung über die Beschäftigten hinaus: Hohe Arbeitsbelastung und schlechte Bedingungen betreffen auch die Nutzer*innen – eine Situation, unter der wiederum prekär arbeitende Menschen besonders leiden, weil sie sich keine teuren Privatanbieter leisten können. Und auch hier sind es oft die Frauen, die mit diesen Situationen für die ganze Familie Lösungen finden müssen, denn sie sind es ja, denen diese Rolle zugeordnet wurde.

Von diesen ultra-prekären Arbeitsverhältnissen sind besonders auch migrantische Frauen betroffen. Häufig sind sie es, die illegalisiert in Privathaushalten arbeiten müssen, während sich reichere Frauen dadurch von dieser Arbeit „frei kaufen“ können. Der reguläre Arbeitsmarkt ist, wie Studien es immer wieder belegen, so stark rassistisch strukturiert, dass nicht-weiße Frauen noch geringere Jobchancen haben und noch schlechtere Löhne verdienen. Unter der schon angesprochenen Lohndiskriminierung leiden sie besonders stark.

Wie prekär die Arbeitsbedingungen einer Person sind, prägt also grundlegend, wie sie ihr ganzes Leben organisieren und erfahren kann. Und dabei baut die Prekarisierung auf dagewesene Unterdrückungsmechanismen auf und verstärkt sie.

Und so treffen Gesetze, die so aussehen, als ob alle Frauen gleichermaßen gemeint sind – unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit, ihrem Einkommen oder ihrer Herkunft –, letztlich bestimmte Frauen besonders hart. Dies ist auch der Fall bei staatlichen Abtreibungsverboten und Hürden. Alle Frauen leiden natürlich darunter, dass in manchen Regionen die nächste Ärzt*in, die Abtreibungen vornimmt, 100 Kilometer weit weg lebt. Aber Frauen, die wenig Geld und vielleicht einen ultra-flexiblen Schichtplan haben, werden damit größere Probleme haben. Frauen mit wenig Geld und ökonomischer Abhängigkeit werden es auch schwerer haben, sich in einem konservativen Umfeld gegen Widerstände durchzusetzen. Frauen und andere Betroffene, die wenig Geld verdienen, können sich im Zweifel eher seltener sichere Verhütungsmittel leisten und kommen so eher in Situationen, abtreiben zu zu müssen. Am schwierigsten ist die Sache sicherlich für geflüchtete Frauen, mit Residenzpflicht und eingeschränktem Zugang zu Gesundheitssystem.

Jede Hürde, die ihnen bei der Ausübung ihrer körperlichen Selbstbestimmung in den Weg gestellt wird, wirkt für sie also doppelt oder dreimal so hoch. In Ländern, in denen Abtreibung vollständig illegalisiert wird, sieht man es ganz klar: Diejenigen, die an Abtreibungsverboten sterben, sind arme Frauen.

Und gleichzeitig bedeutet eine ungewollte Schwangerschaft und die Aufgabe, ein Kind ernähren und erziehen zu müssen, gerade für prekär Arbeitende eine größere Bürde.

Aber es gibt auch eine Perspektive des Kampfes auf diese Frage. Denn es sind gerade die prekär Arbeitenden, die sich mobilisieren und kämpfen. Das zeigten vor allem die Beschäftigten in Krankenhäusern, aber auch die Studierenden von TV-Stud, oder die Kolleg*innen im TVöD. Sie alle sind in den letzten Wochen und Monaten in den Streik getreten und haben sich gegen ihre niedrigen Löhne gewehrt. Und auch die Frauen im Spanischen Staat haben am 8. März zu sechs Millionen gezeigt, wie gegen Prekarisierung und Unterdrückung zu kämpfen ist: mit Streiks.

Es ist an der Zeit, eine solche Bewegung auch in Deutschland aufzubauen. Wie wir dies gemeinsam schaffen können, wollen wir bei einer Veranstaltung diskutieren:

§218 und 219a wegstreiken!

Wann? Mittwoch, 25. April, 18-20 Uhr
Wo? Laika, Emser Str. 131, S+U Neukölln
Organisiert von Aktivist*innen von TVStud, mit Beiträgen von:
– Sophie Obinger von der Tarifkampagne der studentischen Beschäftigten (TVStud) über Streiks als mögliche Organisationsform von Frauen*
– Mina Khani über die Situation migrantischer Frauen*, rassistische Gesetzgebungen und reproduktive Rechte
– einer Beschäftigten der Vivantes Service Gesellschaft über die prekäre Situation in Krankenhäusern (angefragt)
– dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung über die Kampagne gegen 219a (angefragt)
– einem Grußwort aus dem Spanischen Staat, und aus Argentinien, über den Frauenstreik am 8. März

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